Datenmüll verbrauchen: Noch 148.713 Mails checken
Das Mail-Postfach quillt über, das nervt und verschwendet Ressourcen. Leert also eure Postfächer! Das befreit auch den Kopf.

I n einem meiner Postfächer liegen 7.697 ungelesene Mails. Weil die meisten Mails eben nichts Wichtiges mit sich bringen, sondern unnötige Angebote, unschöne Reminder und leider auch Verzweiflung über die eigene Unfähigkeit zu organisieren. Das britische Ministerium für Umwelt, Ernährung und Agrarangelegenheiten springt jetzt allen zur Seite, die sich – wie ich – selbst nicht zum digitalen Ausmisten aufraffen können und fordert: Löschen Sie ihre alten Mails – für die Umwelt. Danke.
Die aktuelle Wasserknappheit in England wurde bereits als „national bedeutsam“ eingestuft, die Wasserstände vieler Flüsse und Stauseen sinken immer weiter, und Anfang der Woche hat sich deswegen eine nationale Dürregruppe getroffen. Dabei rausgekommen ist auch ein Appell an die Bevölkerung. „Löschen Sie alte E-Mails und Bilder, denn Rechenzentren benötigen große Mengen an Wasser, um ihre Systeme zu kühlen.“ Auch wenn Expert*innen darauf hinweisen, dass das Löschen von Mails weniger spart als etwa eine reduzierte Gartenbewässerung. Schaden wird es nicht. Wie viel Wasser Rechenzentren verbrauchen, hängt vom Kühlsystem und der Umgebungstemperatur ab. Laut der schweizerischen Handelszeitung sind es zwischen ein und neun Liter Wasser, die pro kWh Serverenergie verdampft werden. Also: höchste Zeit, jetzt endlich mal digital aufzuräumen.
Auf meinem Handy sind über 350 Tabs geöffnet, von denen einige immer wieder nachladen, also wieder Energie ziehen. Auf meinem Laptop über 70. Warum? Weil ich Angst habe, Informationen zu verlieren. Den Online-Artikel, den wollte ich doch dringend noch lesen! Die Dokumentationsseite linker Wohnkultur, die hat mir eine Freundin geschickt. Vor 6 Jahren, klar. Aber ich brauche den doch!
Wie sehr kann man sich optimieren?
„Does it spark joy?“, fragte Aufräumprofi Marie Kondō in ihrer Serie von 2019. Damals wurde das Ausmisten und der Minimalismus mal wieder so richtig modern. Ein bisschen zu Recht, ein bisschen aber als überhebliche Angeberei: Schau nur, wie toll ich mich von Dingen trennen kann, wie optimiert ich bin. Digital funktioniert die Frage nicht unbedingt. Viele meiner über 400 geöffneten Tags bereiten Freude. Oder würden sie, wenn ich sie denn nun wirklich endlich läse. Was ich auch nicht lese: den Newsletter vom konservativen Lokalmedium. Und die Ankündigung der Neuerscheinungen vom Comic-Verlags in meinen Mails? Ich gehe eh lieber in den Buchladen. Abmelden!
Eine Mail zu senden, zieht Energie. Bei einer kurzen Mail sind es 0,3 Gramm CO2, die draufgehen, wenn sie länger ist oder Anhänge hat, ist es entschieden mehr. Nur fürs Senden. Bitte entscheiden Sie sich jetzt nicht deswegen für einen Brief! Der kommt auf 20 Gramm CO2. Viel wichtiger ist die Überlegung: Muss ich diese Mail schicken? Wirklich an so viele Menschen? Wirklich mit Foto? Hinzu kommt dann noch das Aufbewahren. Während die Psyche schon extrem davon profitieren kann, wenn es keine ungelesenen Mails mehr gibt, tut es der Umwelt vor allem gut, wenn wir sie löschen. Am besten wäre es, wenn wir sie gar nicht erst bekommen.
Leider müssen wir auch ans Thema Freizeit ran: Streaming wird seit Jahren immer wieder – zu Recht – für seine miese Ökobilanz kritisiert. Statt allein vor dem Laptop zu sitzen, braucht es eine Rückkehr zum Filmabend! Manches Streaming ist aber wirklich unnötig, sinnfrei in die Länge gezogene Zoom-Gespräche in der Arbeit etwa. Wer dabei seine Kamera ausschaltet, spart schon mal ein bisschen was an Energie (und Wasser), kann nebenbei die Augen verdrehen und Wäsche aufhängen.
Außerdem müssen wir aufhören, Chat-Gruppen vollzuspammen. Das schadet der Umwelt und nervt. Manchmal hilft schon eine kleine Entscheidung. Schicke ich das Foto mit den Stachelschweinen oder das mit den Affen nach meinem Tag im Tierpark? Beide? Falsch! Die Antwort lautet: Stachelschwein.
Die Cloud frisst und säuft
Das heißt nicht, dass das Affenbild nicht auch Energie frisst. Denn wird es vielleicht automatisch in die Cloud geladen? Die Cloud ist praktisch. Sie lässt uns einfach Daten teilen und bewahren. Und sie frisst Energie und säuft unser Wasser.
Die digitale Raupe Nimmersatt heißt aber KI. Laut einer Studie der University of California und der University of Texas von 2023 brauchte es 5,4 Millionen Liter Wasser, um ChatGPT-3 zu trainieren. 700.000 Liter davon allein für die Kühlung der Rechenzentren. Hinzu kommt das, was wir mit unseren Chat-Anfragen weglitern. Klar, wir alle dürfen rumspielen, Spaß haben, chatten. Aber wir sollten uns darüber bewusst sein, was das für unseren Planeten bedeutet und ein bisschen runterfahren.
Doch es hilft nichts, wenn vor allem an Privatpersonen appelliert wird. Wichtig wären härtere Regelungen für Tech-Firmen. Damit sie ressourcensparender KI trainieren. Damit sie die Daten von Nutzer*innen kürzer aufbewahren, verarbeiten und teilen. Und wir löschen währenddessen unsere Mails!
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