Friedenspreis des deutschen Buchhandels: Frühzeitiger Warner
Der Osteuropahistoriker Karl Schlögel erhält verdientermaßen den Buchhandelspreis. Niemand hierzulande kennt den postsowjetischen Raum so gut wie er.
C hapeau! Karl Schlögel kann seiner langen Liste von Auszeichnungen eine weitere hinzufügen: Der renommierte Osteuropahistoriker wird mit dem diesjährigen Friedenspreis des Deutschen Buchhandels geehrt. Seit Dekaden erkundet Schlögel akribisch das Innenleben der Sowjetunion und ab 1991 auch all jener Staaten, die aus ihr hervorgegangen sind. Er, der den heutigen postsowjetischen Raum aus eigener Anschauung so gut wie hierzulande kein Zweiter kennt, fand übrigens nichts dabei zu konstatieren, in Bezug auf die Ukraine selbst lange einen blinden Fleck gehabt zu haben. Mea culpa im besten Sinne! Derlei schonungslose Selbsterkenntnis wäre auch so manchen westlichen politischen Entscheidungsträger*innen zu wünschen.
Sollten sie sich überhaupt jemals in Schlögels Werke vertieft haben, so haben sie diese entweder nicht ernstgenommen oder beschlossen, die Befunde des Wissenschaftlers schlichtweg zu ignorieren. Seit Langem schon warnt Schlögel vor einer aggressiven Expansionspolitik von Russlands Präsident Wladimir Putin. Erinnert sei an den russisch-georgischen Krieg um die Region Südossetien im August 2008.
Spätestens 2014, dem Jahr der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim und dem offenen Ausbruch der fälschlicherweise als Bürgerkrieg bezeichneten Feindseligkeiten im Donbass, hätte man wissen können, wohin die Reise in der Ukraine geht. Doch da glaubten immer noch einige Politiker*innen fest daran, mit den Minsker Abkommen den Konflikt einhegen und befrieden zu können.

Die taz ist eine unabhängige, linke und meinungsstarke Tageszeitung. In unseren Kommentaren, Essays und Debattentexten streiten wir seit der Gründung der taz im Jahr 1979. Oft können und wollen wir uns nicht auf eine Meinung einigen. Deshalb finden sich hier teils komplett gegenläufige Positionen – allesamt Teil des sehr breiten, linken Meinungsspektrums.
Das sind übrigens teilweise dieselben Leute, die heutzutage unverdrossen Friedensverhandlungen mit Moskau das Wort reden und alle Waffenlieferungen an Kyjiw, anders als Schlögel es fordert, schon gestern eingestellt hätten. Dabei kann es an den Kriegszielen Moskaus wahrlich keine Zweifel mehr geben. So wie es aussieht, wird Schlögel auch weiter seine warnende und mahnende Stimme erheben – gut so. Nur müssten wir dann auch hinhören, es lohnt sich. Und zu spät ist es dafür nie.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!