Der Fall Georges Abdallah: Frei nach über 40 Jahren Haft in Frankreich
Der Libanese Georges Abdallah sitzt seit 1984 in einem französischen Gefängnis. Jetzt kommt das „Symbol des palästinensischen Widerstands“ frei.

Georges Abdallah ist heute 74 Jahre alt. Seit 1984 war er in Frankreich wegen Beihilfe zu Terrorismus inhaftiert und 1987 zu einer lebenslangen Gefängnisstrafe verurteilt worden. Diese hat schließlich fast 41 Jahre gedauert, was – nicht nur für französische Verhältnisse – außerordentlich lange ist.
Der Eindruck entstand, dass der französische Staat aus Abdallah einen Testfall für die unnachgiebige Bekämpfung des Terrorismus machen wollte. Denn als im November 2024 die zuständige Gerichtsinstanz dem Antrag auf Haftentlassung stattgab, weil sie die lange Haft als „unverhältnismäßig lange“ erachtete, legte die Antiterrorstaatsanwaltschaft sofort Berufung ein. Offenbar, weil sie den Libanesen weiterhin als gefährlich einschätzte und der Forderung seiner linken Sympathisanten nicht nachgeben wollte.
Als Mitglied einer propalästinensischen Gruppe libanesischer Marxisten, der FARL (Forces armées révolutionnaires libanaises), war er 1984 in Lyon festgenommen worden. Er sei Komplize bei der Ermordung zweier Diplomaten gewesen, des Amerikaners Charles Robert Ray und des Israelis Yacov Barsimantov. In einer von ihm gemieteten Wohnung wurde eine Waffe gefunden, mit der die beiden Diplomaten 1982 in Paris getötet worden waren.
Spielball politischer Auseinandersetzungen
Abdallah hatte eine Beteiligung stets abgestritten, aber den Terroranschlag als „Widerstandsakt“ legitimiert. In seiner langen Haft hat er seine politische Haltung nie aufgegeben und korrespondierte weltweit mit Sympathisanten.
Seit 25 Jahren konnte sein Anwalt, gestützt auf die Regeln des Strafvollzugs, seine Freilassung beantragen. Dass dies immer wieder abgelehnt wurde, hängt damit zusammen, dass Abdallah von Beginn an zum Spielball politischer Auseinandersetzungen wurde. Die amerikanischen Behörden hatten Druck auf die französische Justiz ausgeübt, um zu verhindern, dass Abdallah seine Gefängniszelle in Lannemezan in Südfrankreich „vorzeitig“ verlassen und in den Libanon zurückreisen durfte.
Die US-Behörden, die 1987 beim Prozess als Nebenkläger aufgetreten waren, hatten geltend gemacht, Abdallah habe seiner Gesinnung nie abgeschworen und nie „Reue“ gezeigt – was freilich im französischen Recht nicht als Argument gegen eine Freilassung vorgesehen wäre. So blieb Abdallah, der in den 1980er Jahren in Frankreich als Staatsfeind Nummer eins galt, hinter Gittern ein gefährlicher Terrorist.
In der französischen Öffentlichkeit war sein Name in Vergessenheit geraten, doch für die propalästinensische Linke, die jetzt einen Sieg feiert, war er ein Opfer seiner politisch motivierten Feinde, die ein Exempel statuieren wollten. Die Zeitung Libération sieht in ihm ein „Symbol des palästinensischen Widerstands der Vergangenheit“.
Ähnlich sah es das Berufungsgericht in der Begründung seines Entscheids: Abdallah sei ein „letztes Überbleibsel der weltlichen, marxistischen und kommunistischen FARL“ und einer „vergangenen Geschichte des gewaltsamen ultralinken Aktivismus“ aus dem Nahen Osten. Für seine Freilassung spreche auch, dass diese Kreise „seit 1984 in Frankreich und anderswo keine Attentate mehr verübt haben“.
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