Annäherung von Armenien und Türkei?: Historischer Besuch mit marginalem Ergebnis
Armeniens Staatschef Paschinjan besucht seinen türkischen Amtskollegen Erdoğan. Er kommt als Bittsteller: Denn sein Land braucht dringend Konzessionen von dem übermächtigen Nachbarn.

Mitten in der Krisendiplomatie rund um den Krieg von Israel und USA gegen den Iran gewährte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan dem armenischen Regierungschef Paschinjan am Freitagabend eine knappe Stunde im Dolmabahçe-Palast in Istanbul. Erstaunlich, dass das Treffen überhaupt zustande kam – denn Paschinjan kam eindeutig als Bittsteller.
Einhundertzehn Jahre nach dem Völkermord an den Armeniern im Osmanischen Reich versucht Paschinjan nun, Erdoğan dafür zu gewinnen, dass dieser sich für einen annehmbaren Frieden Armeniens mit Aserbaidschan einsetzt. Dieser soll dem kleinen Armenien etwas Luft zum Atmen lassen und seine Existenz sichern. Im Krieg 2023 verlor Armenien den Krieg um die jahrhundertelang armenisch besiedelte, völkerrechtlich aber auf aserbaidschanischem Gebiet liegende Enklave Bergkarabach mit dem engen Türkei-Verbündeten Aserbaidschan.
Nun will Aserbaidschans autokratischer Führer İlham Əliyev einem Friedensvertrag mit Armenien nur unter zwei Bedingungen zustimmen: Wenn die Armenier ein für allemal auf Karabach verzichten und außerdem einer Teilung des Landes zustimmen, durch die Aserbaidschan eine direkte Landverbindung zu seiner Exklave Nachitschewan bekommen würde. Diese ist durch einen Streifen armenischen Landes von aserbaidschanischem Staatsgebiet getrennt.
Armenien in einer ökonomischen Zwickmühle
Aus ökonomischen Gründen braucht das völlig isolierte Armenien dringend eine Öffnung der Grenze zur Türkei, damit es sich endlich in den internationalen Warenverkehr einbringen kann. Bislang hat das zwischen Aserbaidschan und der Türkei eingeklemmte Armenien nur zwei offene Grenzen: nach Georgien und in den Iran. Auch wenn viele Armenierinnen und Armenier sich weigern, die brutale Realität anzuerkennen: Das Land befindet sich doch in einer prekären Lage. Russland, bis 2023 faktische Schutzmacht Armeniens, weigerte sich damals, Armenien im Kampf gegen Aserbaidschan beizustehen.
Nun versucht die Regierung Paschinjan, Anschluss an den Westen zu bekommen. Doch niemand will sich des kleinen, armen Landes annehmen. Die EU hat eine bescheidene Beobachtermission geschickt – und ein weiterer Prozess der Heranführung an Europa ist nicht in Aussicht. Und die USA, schon gar nicht unter Präsident Donald Trump, wollen sich nicht in den russischen Hinterhof im Kaukasus einmischen.
In dieser Situation muss Armenien auf vieles verzichten. Statt wie in den vorangegangenen Jahrzehnten die Anerkennung des Völkermordes durch die Türkei zur Voraussetzung für eine diplomatische Normalisierung zu machen, hat Paschinjan im Gegenteil erklärt: Armenien werde seine diplomatischen Bemühungen für eine internationale Anerkennung des Völkermordes einstellen.
Deutschland hält sich aus dem Konflikt raus
Deutschland hatte erst 2016, nach jahrelangen Debatten rund um den Gedenktag „Hundert Jahre Völkermord 2015“, im Bundestag eine für die Regierung nicht bindende Resolution verabschiedet, in der erstmals die Massaker an den Armeniern als Völkermord benannt wurden und die deutsche Mitverantwortung zugegeben wurde.
Deutsche Unterstützung für Armenien ist daraus nicht entstanden. Im Gegenteil: Deutschland und die EU beziehen Öl und Gas aus Aserbaidschan und halten sich aus dem Konflikt lieber heraus. Es liegt nun ganz in der Hand von Erdoğan, wie es weitergeht. Nach dem Treffen verbreitete sein Büro lediglich eine kurze Erklärung, man werde den Friedensprozess zwischen Armenien und Aserbaidschan unterstützen. Ein mageres Ergebnis dafür, dass Paschinjan diese bittere Reise auf sich genommen hat.
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