piwik no script img

Yehudis Fletcher über ihre Autobiografie„Ich bin die verkörperte Rebellion“

Die Autorin Yehudis Fletcher ist Mitglied einer ultraorthodoxen jüdischen Gemeinschaft in Manchester und lebt offen lesbisch. Wie geht das zusammen? Darüber hat sie ein Buch geschrieben.

Yehudis Fletcher bereitet vor dem Schabbat das Essen vor für Freunde und Familie Foto: Steve Forrest

An einem Vormittag im Juni empfängt Yehudis Fletcher in ihrem Haus im jüdisch-orthodoxen Viertel Manchesters. Kürzlich hat sie ihre Autobiografie veröffentlicht, deshalb sind wir zum Gespräch verabredet. Auf dem Esstisch steht ein Laptop, daneben stapeln sich Dokumente, sie scheint voll in der Arbeit zu stecken. Ihre Partnerin und zwei ihrer Kinder im Teenageralter sind auch zu Hause, sie schauen während des Interviews kurz herein.

taz: Frau Fletcher. Sie leben als orthodox-jüdische Frau. Hat Ihr Tag heute mit Morgengebeten begonnen?

Yehudis Fletcher: Beten habe wir heute noch nicht geschafft. Normalerweise versuchen meine Lebenspartnerin und ich zusammen zu beten. Ich musste heute aber meinen ältesten Sohn um 5.45 Uhr in die Schule fahren, weil er das Frühstück jüngerer Schüler beaufsichtigt, die vor dem Unterricht Thora lernen wollen …

taz: … also das Alte Testament. Sie sprechen von Ihrem Sohn Noam, richtig?

Fletcher: Ja, wobei die Namen im Buch nicht die echten meiner Kinder sind, sondern die Namen, die ich vor ihrer Geburt ausgesucht hatte. Es wurde mir nicht gestattet, die Kinder so zu nennen. Bei uns ist es so, dass der Rabbi einen Namen erlauben muss, und er hat meine Vorschläge abgelehnt.

taz: Ein ziemlicher Eingriff.

Fletcher: Ja, eigentlich ist die Namensgebung das Recht der Mutter, aber bei unserer Form der messianischen Tradition entscheidet der Rabbi.

taz: Wie ging Ihr Vormittag weiter?

Fletcher: Meine Partnerin hat mir Kaffee und Ei gekocht. Nach dem Frühstück habe ich mich mit einem Wissenschaftler ausgetauscht, der sich mit der ultraorthodoxen Gemeinschaft beschäftigt, danach hatte ich ein Meeting mit einer großen Hilfsorganisation. Und jetzt sind Sie da.

taz: Sie haben vor Kurzem Ihre Autobiografie veröffentlicht. Ist es Ihr erstes Buch?

Fletcher: Nein, mein erstes Buch habe ich mit sechs Jahren geschrieben, ich habe es selbst illustriert. Ich kann mich noch an den Aufbau erinnern und dass ich die Seiten zusammenband. Mit 16 habe ich dann einen Blog geschrieben. Auf die Idee, meine Autobiografie zu schreiben, bin ich vor vier Jahren gekommen, nach einem wahnsinnigen Streit mit einem meiner Brüder.

taz: War das der Moment, als Sie ihm sagten, dass Sie lesbisch sind?

Fletcher: Genau. Er beschimpfte mich als Schwein. Ich bin wütend aus seinem Büro in den Regen gestürzt und landete völlig durchnässt im Park. In meiner Verzweiflung rief ich eine Freundin an, die Journalistin ist. Sie schlug vor, dass ich über mein Leid, über die Homophobie, die ich erlebte, schreiben sollte.

taz: Und das haben Sie getan.

Fletcher: Ja. Ich wollte gehört werden, ich wollte nicht mehr im Verborgenen sein. In einer ultraorthodoxen Gemeinschaft zu leben bedeutet eine große Einschränkung. In meiner Geschichte geht es aber nicht nur um verrückte religiöse Fanatiker:innen, sondern generell darum, welchen Schaden Ideologien anrichten können. Wahrscheinlich können sich die Leute in Deutschland, die in der DDR die Stasi erlebt haben, am besten vorstellen, wie es in meiner Gemeinschaft zugeht.

taz: Es gibt eine starke Kontrolle?

Fletcher: Die Gemeinschaft ist hierarchisch organisiert. Es werden Druckmittel benutzt, damit die Normen eingehalten werden. Ich hatte zum Beispiel Schwierigkeiten, als offen lesbische Frau meine Kinder in jüdischen Schulen unterzubringen.

taz: Sie beginnen Ihr Buch mit dem Akt einer Rebellion. Sie sind sechs Jahre alt und waschen heimlich Ihre Hände nicht nach dem traditionellen Ritus vor dem Schabbatmahl. Was war das für ein Moment?

Fletcher: Das rituelle Händewaschen bezieht sich auf das Wegwaschen von potenziellen Dämonen, als wäre etwas mit meinem Körper verkehrt. Ich wollte das testen. Dieser Moment spricht für mich, der unreinen Person per se, die ich in den Augen vieler orthodoxer Juden bin. Es ist der Faden, der sich durch mein ganzes Leben zieht.

taz: Ihre Eltern gingen mit Ihnen und Ihren Geschwistern nach Israel. Als Jugendliche fühlten Sie sich dort so isoliert, dass Sie versuchten, sich das Leben zu nehmen. Ihre Eltern schickten Sie daraufhin nach England zurück, wo Sie als 15-Jährige bei einem pädophilen ultraorthodoxen Mann wohnten.

Fletcher: Er hat versucht mein Vertrauen zu erschleichen, um mich dann sexuell zu missbrauchen. Damals hatte ich noch nicht die Worte, um das auch so zu benennen. Ich glaubte, dass ich sündige, weil ich nicht verhindern konnte, dass dieser Mann durch mich verführt wurde.

taz: Rabbiner des Beit Din, des traditionellen religiösen jüdischen Gerichts, konfiszierten daraufhin Ihr Beweismaterial und empfahlen dem Täter eine Therapie.

Fletcher: Das Beit Din hätte die Polizei verständigen und den Missbrauch melden müssen. Stattdessen haben sie versucht, ihn zu vertuschen. Sie schlugen auch vor, dass die Töchter des Täters lange Morgenröcke tragen sollten. Damit sagten sie nichts anderes, als dass junge Mädchen in Pyjamas zu verführerisch sind.

taz: Die Verantwortung wurde den Mädchen zugeschoben.

Fletcher: Man muss ausgebildet sein, um mit sexuellem Missbrauch richtig umzugehen. So eine Ausbildung fehlt Rabbinern. Missbrauch hat nichts mit Scheidungen, koscherem Essen oder finanziellem Streit zu tun, also all den Dingen, womit sie sich auskennen. Bei mir hatten sie vor allem im Hinterkopf, wie es aussieht. Man wollte das störende Mädchen, das unangenehme Sachen sagt, zum Schweigen bringen. Dabei wussten alle in der Gemeinschaft, dass er ein Kinderschänder war. Trotzdem durfte er seine eigenen Sommerlager veranstalten und Mit­be­woh­ne­r:in­nen haben.

taz: Niemand hatte Sie oder Ihre Eltern gewarnt, besser nicht bei ihm einzuziehen?

Fletcher: Nein. Ich glaube, es mangelte am Verständnis dafür, was Missbrauch bei Kindern anrichtet. Die Leute sagten: Schaut euch das arme Mädchen an, ihre Eltern können sich nicht um sie kümmern. So rechtfertigten sie das.

taz: Jahre später wurde der Mann, der Sie missbraucht hatte, zu 13 Jahren Haft verurteilt.

Fletcher: Ich sagte als Zeugin in dem Prozess gegen ihn aus. Dass er schuldig gesprochen wurde, war natürlich gut. Solange er hinter Gittern saß, war Manchester etwas sicherer. Für mich war aber vor allem wichtig, Teil des Prozesses zu sein, denn es bedeutete, dass ich vor dem Gesetz als Person zähle.

Mein erster Ehemann war sehr gewalttätig. Ich entkam ihm und musste dann beweisen, dass die Scheidung nicht meine Schuld war. Im orthodoxen Judentum kann eine Frau sich genauso wenig von einem Mann trennen wie ein Pferd sich von seiner Besitzer:in

taz: In Ihrem Buch schildern Sie den sexuellen Missbrauch schockierend konkret. War es schwer, das aufzuschreiben?

Fletcher: Es sind Einzelheiten, die ich nicht vergessen kann, und statt sie in meinem Kopf herumspuken zu lassen, habe ich sie auf Papier gebracht. So bekomme ich sie aus meinem Körper. Der Prozess des Schreibens half mir auch bei der Einordnung. Manche Sachen habe ich erst da verstanden.

taz: Als junge Erwachsene blieben Sie zunächst den traditionellen religiösen Erwartungen an Sie treu.

Fletcher: Ich wurde zweimal verheiratet und zweimal geschieden. Meine Familie arrangierte die Ehen nach traditionellem Brauch. Mein erster Ehemann war sehr gewalttätig. Ich entkam ihm und musste dann beweisen, dass die Scheidung nicht meine Schuld war. Im orthodoxen Judentum kann eine Frau sich genauso wenig von einem Mann trennen wie ein Pferd sich von seiner Besitzer:in. Ich hatte ihn im Ehebett mit einer Frau erwischt, das half mir. Ich unterschrieb ein Dokument, dass ich das nie gesehen hätte, man gab mir 10.000 Pfund …

taz: … umgerechnet 11.700 Euro.

Fletcher: Die Scheidung war eine Art Tauschgeschäft. Ich besitze das Dokument bis heute, eine Kopie davon liegt im Jüdischen Museum in Manchester. Es soll zeigen, in was für unmögliche Situationen Frauen gebracht werden können. Mit 19 war ich also bereits einmal geschieden und heiratete wieder.

taz: Sie lebten in der zweiten Ehe, hatten drei Kinder, als Sie sich zu Ihrer Homosexualität bekannten. Wie kam es dazu?

Fletcher: Schon als ich 17 Jahre alt war, wurde mir klar, dass ich lesbisch bin. Mein Rabbiner sagte mir, dass dieses Gefühl für Frauen mit meiner Ehe verschwinden würde. Heute weiß ich, dass das nicht wahr ist, aber damals wollte ich, dass der Rabbiner recht hat. Ich glaubte, dass ein liebender Ehemann mich hetero machen könnte. Es klappte nicht. Eines Tages stand ich in einer Bar für Lesben in London und wurde leidenschaftlich von einer Frau abgeknutscht. Von da an gab es kein Zurück mehr. Ich trennte mich von meinem zweiten Ehemann. Er stand der Scheidung nicht im Wege. Meine drei Kinder leben heute bei mir.

taz: Als lesbische geschiedene Frau wagten Sie den Bruch mit der Tradition. Wie hat Ihr Umfeld, mal abgesehen von Ihrem Bruder, reagiert?

Fletcher: Einige haben das akzeptiert. Für andere ist es wichtiger, Teil unserer Community und ihres Gedankenguts zu bleiben, etwa für meine Mutter. Sie hat selbst keinen ultraorthodoxen Hintergrund, sie hat Literatur studiert und ist ausgebildete Lehrerin, aber sie heiratete meinen Vater. Sie will vor allem keinen Streit. Sie rennt durchs Leben, ist immer beschäftigt, geht auf Hochzeiten, da bleibt wenig Platz für eine Reflexion der Gefühle, wie ich sie von ihr erwarten würde.

Im Interview: Yehudis Fletcher

Die Person

Yehudis Fletcher, geboren 1987 in Glasgow, ist Wissenschaftlerin, Autorin und Aktivistin. Sie hat unter anderem für Ha’aretz, The Forward und The Times geschrieben. Sie lebt und liebt in einer ultraorthodoxen jüdischen Gemeinde in Manchester und hat drei Kinder.

Das Buch

Yehudis Fletcher: „(K)eine von euch. Mein Leben als Rebellin in der orthodoxen Welt“. Aus dem Englischen von Erica Fischer. Piper, München 2025, 288 Seiten, 22 Euro.

taz: Sie schreiben in Ihrem Buch, dass Sie es sich erlauben, in der ultraorthodoxen Gemeinschaft zu bleiben. Was heißt das genau?

Fletcher: Ja, das Bleiben ist mir persönlich sehr wichtig. Die Leute sagen: Wenn es dir nicht gefällt, dann geh. Aber wieso sollte ich gehen? Es ist nicht richtig, dass ich nur Teil der Gemeinschaft sein kann, wenn ich mich in meinen individuellen Rechten einschränke. Der Schutz der Menschenrechte sollte überall gelten. Leider sehen das nicht alle so. Mein Bruder sagte mir, dass die Leute hier im orthodoxen Viertel Menschen wie mich nicht um sich haben wollten.

taz: Sie bleiben, trotz aller Widerstände.

Fletcher: Die Tatsache, dass ich lesbisch bin, sollte nicht bedeuten, dass ich meine Sachen packen und die Gemeinschaft verlassen muss. Ich muss auch deshalb bleiben, weil ich Synagogen, jüdische Schulen und koschere Lebensmittelgeschäfte in meiner Nachbarschaft benötige. Ich will auch in der Nähe meiner Freun­d:in­nen leben, weil ich am Schabbat kein Fahrzeug benutze. Aber ja, ich bin sozial isoliert. Jeder Akt ist politisch, selbst wenn ich nur rausgehe, um den Müll vor die Haustür zu tragen. Ich bin für alle sichtbar. Einfach weil ich da bin, als lesbische orthodoxe Jüdin. Immer beobachtet zu werden ist anstrengend.

„Der große jüdische Gelehrte Maimonides – auch Rambam genannt – hat gesagt, dass wir nach den Geboten leben, aber nicht an ihnen zugrunde gehen sollen“ Foto: Steve Forrest

taz: Machen Sie es sich nicht unnötig schwer? In anderen jüdischen Gemeinden sind queere Menschen willkommen.

Fletcher: Es geht mir weniger um meine religiöse Praxis, sondern um das, was ich in meinem sozialen und wirtschaftlichen Rucksack mit mir herumtrage. Ich habe eine andere Geschichte als liberale Jüdinnen und Juden. Zum Beispiel durfte ich keine richtige Schule besuchen. Meine erste Hochschulausbildung begann ich, nachdem ich drei Kinder in die Welt gesetzt hatte. Im dritten Studienjahr stand ich aufgrund meiner Scheidung als Alleinerziehende ohne Dach über dem Kopf da. Das sind andere Lebensumstände als sie die meisten Jüdinnen und Juden kennen. Wenn ich mich der ultraorthodoxen Gruppe entziehe, fehlt zudem mein Widerspruch gegen Frauenverachtung und Homophobie. Wenn niemand widerspricht, werden unsere Mädchen weiter in arrangierte Ehen gezwungen und können nicht selbst über ihre Sexualität bestimmen.

taz: Sie tragen heute eine Hose, ein T-Shirt und offene Haare. Sie rebellieren auch gegen Kleidungsvorschriften?

Fletcher: Wer eine lange Bluse mit Rock tragen will, soll das tun. Aber wenn eine Frau sie nur trägt, um nicht aus der Gemeinschaft geworfen zu werden, dann fehlt die eigene Wahl.

taz: Welche Synagoge besuchen Sie?

Fletcher: In Manchester gibt es keine Synagoge, in die ich gehen kann. Ich werde schlecht behandelt. Deshalb halte ich wöchentliche Feiern wie Schabbat und jährliche Feste wie Purim bei mir zu Hause ab, gemeinsam mit anderen, größtenteils lesbischen, schwulen, bisexuellen und trans Menschen, die entweder noch in der Gemeinschaft leben oder gezwungen waren zu gehen. Manchmal gehe ich in eine orthodoxe Synagoge in London. Obwohl die noch strikter in ihrer Interpretation sind als hier, ist meine Anwesenheit dort kein Thema.

taz: Sie schrieben, dass bei der Bar-Mizwa Ihres ersten Sohnes, die mit 13 gefeiert wird, die ultraorthodoxe Synagoge in Manchester halb leer war.

Fletcher: Halbleer wäre schön gewesen, fast ganz leer! Eine Zeitlang bin ich noch weiter dorthin gegangen, weil es Verbindungen gab zu meiner Familie. Aber irgendwann hörte ich auf, nicht zuletzt, weil sie Whiskey ausschenkten, der von jenem Mann gesponsert wurde, der mich als 15-Jährige sexuell misshandelt hatte.

taz: Wie halten Sie es als ultraorthodoxe lesbische Person mit dem, was die heiligen Schriften über gleichgeschlechtliche Beziehungen sagen?

Fletcher: Die Thora verlangt für schwule Männer die Todesstrafe. Lesben gelten als angeblich ungezügelt. Wissen Sie, es hängt davon ab, wie man die Gesetze auslegt. Der große jüdische Gelehrte Maimonides hat gesagt, dass wir zwar nach den Geboten leben, aber nicht an ihnen zugrunde gehen sollen.

taz: Woran hängen Sie in dieser Welt des orthodoxen Judentums?

Fletcher: Dieses Leben ist mein Zuhause, es ist meins. Ich kann den Geschmack meiner Seele nicht von mir stoßen. Es ist der Lebens-, Tages-, Wochen- und Monatszyklus. Die ganze Woche geht es um die Frage, was ich am Schabbat machen werde.

taz: Gilt das nicht für das Judentum generell?

Fletcher: Ich glaube, es gibt Unterschiede. Die Art, wie wir uns etwa auf die hohen Feiertage im September vorbereiten, ist vollkommen anders, viel intensiver, glaube ich. Nichtorthodoxe Jüdinnen und Juden sehen uns als die ärmeren, weniger kulturell ausgereiften Cousin:innen. Wir werden als altmodisch abgeschrieben.

taz: Sie kritisieren die orthodoxe Gemeinschaft auf der einen Seite, auf der anderen stehen Sie für sie ein.

Fletcher: Weil ich selbst dazugehöre und deshalb das Recht habe, mich kritisch zu äußern. Es ist meine Gemeinschaft, ich lebe nach vielen ihrer Regeln und Gebote, vor allem nach dem Gebot, dass wir einander lieben sollen. Deshalb habe ich auch ein Problem damit, dass Menschen uns verurteilen, wenn ich mit meiner Lebenspartnerin auf die Straße gehe.

taz: Um Veränderungen zu bewirken, haben Sie vor einigen Jahren mit anderen die Organisation Nahamu gegründet.

Fletcher: „Nahamu“ bedeutet auf Hebräisch „trösten“. Wir sind da, um ein anderes Modell für das Leben der Ultraorthodoxen anzubieten, in dem Traditionen bewahrt werden, aber das schutzbedürftige Menschen auch ein Leben in Würde ermöglicht. Wir müssen keine Pädophilen schützen oder Menschen zur Heirat zwingen, damit unsere Kultur erhalten bleibt.

wochentaz

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

taz: Gibt es Leute, die Ihnen zur Seite stehen?

Fletcher: Viele meiner Freunde sind aus der orthodoxen Community. Wir haben zudem großartige Allianzen mit Menschen verschiedenster Herkunft, deren Familientraditionen auch sehr restriktiv sind, etwa aus Südostasien. Aber ich muss Ihnen sagen, unter all denen sind wir die extremsten.

taz: Tatsächlich?

Fletcher: Die Hilfsorganisationen für südostasiatische und Schwarze Frauen haben teils noch nie von den Dingen gehört, die ich beschreibe. Etwa das Abrasieren der Haare von Frauen nach ihrem Menstruationszyklus. Oder dass Kinder, deren Mütter Auto fahren, aus den Schulen geworfen werden. Ich möchte langfristige Veränderungen, damit wir das bewahren können, was für uns wertvoll ist.

taz: Sie sagen auch, Sie helfen anderen, indem Sie in der Community bleiben. Haben Sie dafür ein Beispiel?

Fletcher: Auf dem Spielplatz und vor der Schule werde ich von anderen Eltern immer gemieden. Eine Frau, die ihre Kinder auf dieselbe Schule wie meine schickt, war Teil dieser Leute. In der Bäckerei hörte ich eines Tages, wie jemand meinen Namen rief. Hinter einem der Regale versteckte sie sich. Als ich näher kam, flüsterte sie: „Bitte, Yehudis, kannst du mir sagen, wo ich abtreiben kann?“ Und das tat ich.

taz: So etwas geht nur, wenn Sie in der Gemeinschaft sind.

Fletcher: Ich bin die verkörperte Rebellion und sende damit eine Botschaft an andere Menschen: Wenn sie etwas brauchen, das in der Community nicht erlaubt ist, können sie mich fragen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • Tolles Interview, im "Gegensatz" hierzu ein ebenso bewegendes Interview. Daniel Grossmann, der Künstlerische Leiter des JEWISH CHAMBER ORCHESTRA MUNICH, spricht mit dem Schauspieler, Moderator, Sprecher und Autor Ilja Richter über seine jüdische Identität.

    www.youtube.com/watch?v=MWfH9PwHJGk