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HitzefreifürReiche

Durch den Klimawandel werden auch deutsche Großstädte gefährlich heiß. Unser Datenprojekt zeigt: Wohlhabende leben oft in kühleren Gegenden – Arme müssen schwitzen

Von Lalon Sander

Heiligensee ist ein ganz normales Berliner Reichenviertel. Zumindest, was die Hitze betrifft. Umgeben von Havel und Tegeler Forst hat es eine sommerliche Oberflächentemperatur von 28 Grad. Die arbeitende Bevölkerung gehört mit einem mittleren Monatseinkommen von 4.700 Euro zu den wohlhabendsten in Berlin, und mit nur 5,4 Prozent Trans­fer­leis­tungs­emp­fän­ge­r:in­nen liegt Heiligensee deutlich unter dem Berliner Durchschnitt.

Das Gesundheitsrisiko durch Hitze ist in Städten ungleich verteilt. Generell gilt: Die kühleren Gegenden sind auch die teuersten. In Einzelhaussiedlungen am Stadtrand, an breiten Alleen mit wenig Verkehr oder in der Nähe eines großen Parks, eines Walds oder eines Sees lebt es sich kühler als neben Autobahn und Industriegebiet oder in der zubetonierten Innenstadt. So sind oft gerade jene Menschen durch Hitze gefährdet, die nur sehr wenig Möglichkeiten haben, sich zu schützen. Das gilt für Amsterdam und Helsinki, für Los Angeles und Washington – und auch für Berlin. „Wir reden von urbanen Hitzeinseln“, sagt die Klimafolgenforscherin Inga Menke. „In der Stadt ist es normalerweise mindestens ein oder zwei Grad wärmer als in der Umgebung.“

Eine Datenanalyse der taz liefert nun Belege dafür, wie sich dieses Muster in Berlin zeigt. Wir haben Daten zum Anteil der Arbeitslosen und Emp­fän­ge­r*in­nen von Transferleistungen wie Sozialgeld in 542 Kiezen – so nennt man in Berlin kleine, voneinander abgegrenzte Nachbarschaften – mit der von Satelliten gemessenen Oberflächentemperatur verbunden. Diese ist an sonnigen Tagen deutlich höher als die Lufttemperatur, weil sich die Erdoberfläche schneller aufwärmt, als die Luft. Der Zusammenhang zwischen der wirtschaftlichen Situation eines Haushalts und Hitze ist eindeutig. In den kühleren Gebieten leben ausschließlich Wohlhabende. In den heißen, dicht besiedelten Gebieten in der Innenstadt dagegen leben mal reiche Menschen, mal arme Menschen. Denn: Reiche können sich aussuchen, ob sie kühl oder zentral leben wollen. Arme können das nicht, sie leben ausschließlich in heißen Gebieten.

Ein gutes Beispiel für eine heiße Gegend ist der Beusselkiez im Berliner Stadtteil Moabit. An Sommermittagen steigt die Oberflächentemperatur im dicht bebauten Mietskasernenviertel zwischen Spree, Bahngleisen und Industriegebiet auf fast 40 Grad. Insgesamt 22 Prozent der Ein­woh­ne­r*in­nen sind hier arbeitslos oder erhalten Transferleistungen. In einem Papier beklagt das Quartiersmanagement, ein von der Stadt gefördertes Team zur Verbesserung des Lebens im Viertel, dass die vorhandenen Spielplätze kaum Schatten bieten und ein neuer Park am Fluss aufgrund seiner abgelegenen Lage kaum genutzt wird.

Die Situation im Schulenburgpark-Kiez in Neukölln ist noch dramatischer. Rund 44 Prozent der hier lebenden Menschen sind arbeitslos oder erhalten Transferleistungen. Im Sommer steigt die Oberflächentemperatur auf bis zu 39 Grad. Gut die Hälfte des Gebiets wird vom Neuköllner Hafen sowie von benachbarten Industrie- und Gewerbegebieten eingenommen. Etwa 6.000 Menschen wohnen in einer sogenannten High-Deck-Siedlung. In dieser Siedlung verbinden erhöhte Decks die Wohnblöcke für Fußgänger miteinander. Die Wohnungen gelten heutzutage als unattraktiv, sodass diejenigen, die es sich leisten können, wegziehen – wer bleibt oder dazukommt, sind Haushalte, die auf dem angespannten Berliner Wohnungsmarkt keine andere Option haben.

Die kühleren Gegenden sind auch die teuersten. Am Stadtrand oder in der Nähe eines großen Parks lebt es sich kühler als neben Auto-bahn und Industriegebiet

Kühle Viertel wie Heiligensee befinden sich dagegen in allen Himmelsrichtungen am Stadtrand. Neben den Gebieten Krumme Lanke und Wannsee im Südwesten haben auch Rahnsdorf und Müggelheim im Südosten besonders niedrige Quoten von Trans­fer­leis­tungs­emp­fän­ge­r:in­nen und verzeichnen zugleich die angenehmsten Temperaturen. Das einzige kühle innerstädtische Stadtviertel ist die Stralauer Halbinsel, gegenüber vom Treptower Park und umgeben von der Spree.

Die Datenanalyse der taz zeigt, dass sich Reiche in Berlin aussuchen können, ob sie lieber kühl am Stadtrand leben wollen oder in zentralen, aber dafür heißeren Gebieten. Im Viertel Alter Schlachthof in Prenzlauer Berg etwa leben Berlins Spit­zen­ver­die­ne­r*in­nen mit einem mittleren Monatseinkommen von 6.400 Euro in Stadthäusern und -villen. Nur rund 2 Prozent der Bevölkerung erhält hier Transferleistungen oder ist arbeitslos – trotzdem ist der Kiez mit einer Oberflächentemperatur von fast 40 Grad einer der heißesten Berlins. In der Nachbarschaft gibt es zwar einige Parks, doch diese haben keine Bäume, die für eine Abkühlung aber unverzichtbar sind.

Betrachtet man die gesamte Stadt, ergibt sich folgendes Bild: Es gibt keine kühlen Viertel mit hoher Armutsquote. Zu einem ähnlichen Schluss kam im vergangenen Jahr eine Studie, die für 14 europäische Städte, darunter auch Berlin, den Zusammenhang zwischen Hitze und Einkommen untersuchte. Überall sind ärmere Bevölkerungsteile überdurchschnittlich viel Hitze ausgesetzt. Städteforschung aus den USA kommt zum gleichen Ergebnis.

Dabei müssen Innenstädte nicht heiß sein. Auch zentrale Wohnviertel können so geplant oder umgebaut werden, dass sie kühlend wirken. Wie das gehen kann, zeigt eine Studie der Klimaforscherin Inga Menke. Ihr Forschungsteam hat mehrere Zukunftsszenarien für ein Baugebiet in Prenzlauer Berg durchgespielt. Stadtbäume und grüne Korridore seien entscheidend, so Menke: „Nur dort, wo Bäume nahe beieinander stehen, gibt es einen wirklichen Kühlungseffekt.“

In dem kühlsten Szenario zeigen die Gebäude auf dem Gelände nicht mehr nach Südwesten, sondern nach Nordosten, damit sie sich möglichst wenig aufheizen. Und sie sind höher gebaut, um möglichst wenig Fläche einzunehmen. Sie stehen an den Rändern eines langgestreckten Parks mit vielen Bäumen. Diese spenden nicht nur Schatten, sondern tragen auch zur Artenvielfalt bei.

Ein Mann schützt sich mit Sonnenschirm vor der Hitze in Berlin- Schöneberg. Wo sich wohl die Reichen herumtreiben? Foto: Karsten Thielker

Der Berliner Senat arbeitet derzeit an einem Hitzeaktionsplan. Im Mai 2024 angekündigt, soll er diesen Herbst ins Abgeordnetenhaus kommen. Der Plan umfasst Maßnahmen wie Kühlzonen, Wasserspender und Informationen zu Hitzeschutzmaßnahmen. Im Rahmen des Klimaanpassungsgesetzes Berlin sollen außerdem bis 2040 hunderttausende Bäume gepflanzt werden.

Solche Anpassungen werden mit jedem Zehntelgrad notwendiger. Weltweit ist die Durchschnittstemperatur im Vergleich zur vorindustriellen Zeit um 1,3 Grad gestiegen, in Deutschland bereits um 1,8 Grad. Laut dem Robert-Koch-Institut gab es in den Sommern 2023 und 2024 in Deutschland eine hitzebedingte Übersterblichkeit von circa 3.000 Personen.

Hitze ist also hochpolitisch – und wird es wegen des Klimawandels auch bleiben. Denn mit den Temperaturen steigt auch die Zahl der Hitzetage und Tropennächte – also der Tage, an denen die Hitze gefährlich für Menschen werden kann, und der Nächte, die wegen der Hitze kaum oder keine Erholung bringen.

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