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Biografie über Harry Rowohlt erschienenDer Bart, die Stimme

An den Legenden um seine Person strickte Harry Rowohlt lange. Eine neue Biografie über den Übersetzer, und begnadeten Vorleser dröselt das gut auf.

Literaturfest in Salzburg 2010: Harry Rowohlt liest – Betonung ohne Schausaufen Foto: Manfred Siebinger/imago

Am 27. März wäre Harry Rowohlt 80 geworden. Am 15. Juni ist Harry Rowohlts 10. Todestag. Also gleich zwei Anlässe, um die Biografie von Alexander Solloch zu würdigen, die „Harry Rowohlt“ heißt und – damit verrate ich hoffentlich nicht zu viel – ganz ausgezeichnet ist. Und zwar schon allein aus dem Grund, weil der Biograf ganz viel von Harry zitiert und man davon gar nicht genug kriegen kann, denn immer wieder leuchtet der hintergründige Humor Rowohlts auf, der sich viel seiner Kratzbürstigkeit, aber auch seiner Liebenswürdigkeit verdankt und immer unerwartet um die Ecke kommt.

Ob als Übersetzer, Vorleser, Geschichtenerzähler, Briefeschreiber, Schauspieler, das hervorstechendste Merkmal war dieser unnachahmliche Witz, aus dem über die Lebensjahre hinweg ein Gesamtkunstwerk entstand, das man schlicht „Harry Rowohlt“ nennen könnte.

Zum Gesamtkunstwerk gehört Legendenbildung, an der Rowohlt lange strickte: Nachdem Harry die ersten drei Jahre seines Lebens geschwiegen hatte, war das Erste, was er schließlich sagte, nicht „Mama“ oder „Papa“, sondern: „Ich habe gelogen, betrogen, gestohlen; meine Hände sind schmutzig.“ Seine Mutter war nämlich eine „weltberühmte unbekannte Schauspielerin“, die vor dem Laufställchen ihres Sohns „Medea“ von Anouilh memorierte.

Harry, der Penner aus der Lindenstraße

Obwohl er später als Harry, der Penner, in der „Lindenstraße“ selbst schauspielerte (auch wenn er nur sich selbst spielte), war die frühkindliche Prägung keineswegs positiv und seine Sicht auf die Schauspielerei schon gar nicht, weshalb er sich später zum Paradoxon des Epimenides hinreißen ließ: „Alle Schauspieler sind dumm“, eine Wahrheitsbehauptung, die nicht wahr sein kann, aber gerade das ist ja das Schöne.

Hier schimmert sein schwieriges Verhältnis zu seinem Elternhaus durch, auch wenn es in lustigen Episoden verpackt ist, wie die vom 13-jährigen Harry, der gesagt haben soll: „Ich will jetzt zum Judentum übertreten. Und wenn mein Vater mich wieder schlägt, lasse ich in die Zeitung setzen: Deutscher schlägt Juden!“

Als der Verleger Ernst Rowohlt 1960 starb, erbte sein Sohn Harry 49 Prozent der Verlagsanteile. Sein 37 Jahre älterer Halbbruder Heinrich Maria Ledig-Rowohlt führte den Verlag zwar weiter, aber irgendwann würde Harry den Verlag übernehmen müssen, obwohl er „antikapitalistisch“ eingestellt war und „keine Ambitionen“ zeigte, „je ein großes Haus führen zu wollen“, wie ihm schon bescheinigt wurde, als er gerade mal 16 war.

Die Biografie

Alexander Solloch: „Harry Rowohlt“. Kein & Aber, Zürich 2025, 320 Seiten, 26 Euro

Diese Aussicht auf Verantwortung setzte ihm arg zu, weil er sich einfach nicht vorstellen konnte, mit lauter normalen und langweiligen Verlagsmenschen sein Leben zu verbringen, frei nach Asterix: „Lauter Idioten, und ich bin ihr Chef.“ Oder in den Worten Harrys: „Da ich nie jemanden umgebracht hatte, fragte ich mich, weshalb ich eigentlich ‚lebenslänglich‘ kriegen soll.“ Umgekehrt war in Reinbek die Angst vor der Unberechenbarkeit Harrys groß, weil man in ihm ein „gefährliches revolutionäres Potenzial schlummern“ sah.

Die lange nachwirkende Krise

Er machte eine richtige Krise durch, die noch lange nachwirkte, denn als sich fast alle großen Verlagshäuser um die Taschenbuchrechte seiner Autobiografie „In Schlucken-zwei-Spechte“ bemühten, waren ihm alle recht, nur beim Rowohlt Verlag wollte er sein Buch nicht veröffentlicht sehen.

Auch wenn man auf Harry Rowohlt nur ein Loblied singen kann, war er alles andere als ein Genie, aber das machte er gut. Als junger Mann mit seinen langen Haaren und seinem Parka war er für den Altnazi, der im neuen BRD-Deutschen steckte, ein Penner und Hippie. Und genau diese Erwartungen erfüllte Harry. Er hatte keine großen Ambitionen, die Welt umzustürzen wie die Genossen, aber in Kneipen flippern, kiffen und trinken bereitete ihm durchaus große Befriedigung.

Im Grunde strebte er nicht nach Höherem. Als er viel später von einem Verlag um eine Kurzbiografie gebeten wurde, antwortete er: „Wenn ich doch aber keine Biografie habe? Scheiße. Ich hab nun mal nichts erlebt, und ich will, dass es nach Möglichkeit so bleibt.“ In gewisser Weise stimmte das sogar, war aber trotzdem eine charmante Lüge.

Nachdem er alle möglichen Lehren für seine künftige Karriere als Verlagschef durchlaufen hatte, unter anderem eine bei einem Barsortiment in Stuttgart, bei Suhrkamp, bei der New Yorker Grove Press, wo er bei einem Streik mitmachte und entlassen wurde, freundete er sich langsam mit dem Gedanken an, als Übersetzer zu arbeiten. „Die grüne Wolke“ von A. S. Neill ist Harry Rowohlts erstes Buch und wird von seinem „Brüderchen“ für unübersetzbar gehalten, weil darin 40er-Jahre-Gangsterslang vorkommt. Genau das richtige für Harry, der mit „Verfatz dich!“ für „Hau bloß ab“ die deutsche Sprache bereicherte, was ihn mehr als alles andere gefreut hat. Immerhin war es das erste Kinderbuch, das es jemals in die Spiegel-Bestsellerliste geschafft hat.

Das Tor zur Welt

Das Übersetzen hat ihm tatsächlich das Tor zur Welt geöffnet, aber nicht die Welt der großen, bedeutenden, ernsten Literatur, sondern die Welt der abseitigen und schrägen Literatur, die es nur in Ausnahmefällen in die Bestsellerlisten schafft, wie Frank McCourts „Die Asche meiner Mutter“, die er allerdings, wie er sich beim Verlag beschwerte, viermal übersetzen musste, einmal aus dem Englischen und dreimal aus dem Lektorat, weil eine übereifrige Verlagsmitarbeiterin seine Übersetzung glatter machen wollte.

Mit den Büchern unter anderem von Philip Ardagh, „Der dritte Polizist“ von Flann O’Brien und „Der Wind in den Weiden“ von Kenneth Grahame wurde schon von Beginn an deutlich, welcher Literatur Harry den Vorzug gab, nämlich der der Sonderlinge, Irrlichter, Außenseiter und Rabauken, deren Geschmack eher im Absurden, Überraschenden und Kindlichen zu finden war, von Schriftstellern eben, die einen ganz eigenen Stil haben, den man nur findet, wenn man es ernst meint mit der Literatur. Kurz, Literatur, die den Leser nicht belehrt, sondern eine unverantwortliche Fröhlichkeit ausstrahlt.

Nicht immer hielt das ins Deutsche zu bringende Buch, was es versprach. Dann übersetzte Harry es einfach „wech“ und schrieb eine „Pooh’s Corner“-Kolumne in der Zeit darüber, dass „Nasen wie, um keine Namen zu nennen, David Sedaris“ sich ständig wiederholen, weil ihnen gerade nichts anderes einfällt. Für Harry Rowohlt eine Todsünde. Wahrscheinlich ist ihm bei solchen Büchern dann irgendwann der Gedanke gekommen, den man auch als Warnung für Übersetzer verstehen kann: „Was ist das denn für eine Übersetzung, wenn dasselbe drin steht wie im Original?“

Pro Lesung eine Flasche Whiskey

Am größten war Harry vermutlich als Vorleser, denn seine Stimme war „so tief wie die Schlucht, in die die Busse fielen“, wie Peter Hacks es einmal ausgedrückt hat. Jedenfalls hat sie ihm eine Stange Geld gekostet, anfänglich sogar pro Lesung eine Flasche Whiskey, die er im Laufe eines Abends vertilgte, ein Ritual, von dem er im Laufe der Zeit aus nachvollziehbaren Gründen abwich, ohne dass jedoch die Bühnenpräsenz darunter litt. Seine Lesungen waren legendär, obwohl er sein Programm nur peu à peu änderte. Sein Publikum war ihm ergeben.

Die Rowohlt-Biografie des NDR-Literaturredakteurs Alexander Solloch ist rundum gelungen, und wenn sich ein Kollege in einem Podcast ein wenig darüber mokierte, dass er wie Harry Rowohlt zu klingen versucht, so muss man auch sagen, dass er damit zumindest literarischen Geschmack bewiesen hat, und das ist schon mal besser, als sich wie ein Literaturredakteur anzuhören. Solloch hat außerdem über die biografische Selbstauskunft Harrys ­hinaus vieles recherchiert, das nicht so bekannt war, er hat mit der Witwe Ulla Rowohlt gesprochen, die wertvolle Hinweise gab, und er hat mit Sympathie und Hingabe geschrieben.

Einwenden könnte man höchstens, dass der „politische Harry“ ein klein wenig zu kurz kommt. Eine seiner bemerkenswerten, aber häufig nicht sehr geschätzten Seiten war seine Unbekümmertheit um die öffentliche Meinung, er war „radikal in Zu- und Abneigung, in klassischer Weise démodé“, wie die Herausgeberin seiner Briefe Anna Mikula schrieb, eben ein Solitär, wie es seither keinen mehr gegeben hat.

Transparenzhinweis: Der Autor ist Verleger der Edition Tia­mat, in der auch Bücher und Hörbücher von Harry Rowohlt erschienen sind.

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2 Kommentare

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  • Uneinholbar 2 Monate älter -



    N solides Buch im achteran -



    The cat with the hat - vertell vertell.



    Very well •

    Gekauft

  • Ach danke, wir vermissen ihn so. Schon zehn Jahre ... Werde nicht vergessen, wie traurig mein damals neunjähriger Sohn war, als er vom Tod Rowohlts erfuhr. Dann sagte er "Aber wir haben ja noch sein Stimme!" (Wir hatten nie Hörbücher, doch sämtliche Eddie-Dickens-Hörbücher gehörten zu unserem Familienschatz. Wenn Harry Rowohlt etwas übersetzt hatte, konnte man es meist getrost lesen. Las er es selbst vor, dann war es in jedem Fall bemerkenswert.