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Stiefkindder Klimapolitik:der Verkehr

Immer mehr Kraftfahrzeuge werden zugelassen, insgesamt werden aber weniger Kilometer gefahren. Das Auto verliert an Bedeutung. Die Regierung könnte diese Entwicklung forcieren

Illustration: Katja Gendikova

Von Andreas Knie

Ein Leben außerhalb der großen Städte scheint ohne Auto einfach nicht möglich. Über 85 Prozent aller Wohnformen in Deutschland sind Ein- und Zweifamilienhäuser, die in den dafür typischen Siedlungsformen schön im Raum verteilt sind. Mehr als 60 Prozent der Bevölkerung leben dort, und hier geht nichts ohne Auto. Die Fahrt zur Arbeit, zur Schule, zum Hort und zum Einkaufen und natürlich zum Baumarkt sowie das gesamte Freizeitleben, alles das ist nur möglich mit Autos. Mit den Nachbarn grillen, das wird in der Regel noch zu Fuß erledigt. Die Soziologie hat es bei der Beschreibung der gesellschaftlichen Modernisierung verpasst, darauf hinzuweisen, dass diese Form des entfernungsintensiven Lebens- und Arbeitsstils nur funktionieren konnte, weil es jede Menge Autos und die dafür notwendige Straßeninfrastruktur gab.

Da ist es kein Wunder, dass es ohne Autos scheinbar nicht geht. Denn geplant war diese raumgreifende Moderne als ein Leben in Freiheit und gesellschaftlichem Wohlstand. Es sollte sozusagen keine Grenzen mehr geben. In der großen Stadt die tolle Kultur erleben, die feine Gastronomie genießen und jederzeit überall dorthin fahren, wohin man nur wollte. Das Auto lud gerade dazu ein, mehr und immer öfter zu fahren, als es eigentlich notwendig war. Mit dem Auto konnte man die interessantere Arbeitsstelle, das bessere Gymnasium, den besser sortierten Supermarkt und auch das schickere Restaurant ansteuern und das alles sehr bequem in sein Alltagsleben mit wenig Aufwand integrieren. Und wurde es mal eng auf der Straße, baute man einfach eine neue.

Damit kam aber eine Spirale in Gang, in deren Folge sich die Freiheit, überall hinzufahren, mehr und mehr auch in einen Zwang verwandelte, überall hinfahren zu müssen. Denn die mit dem Auto verbundene Freiheit führte in der Folge dazu, dass im Dorf, in der Siedlung und kleineren Ortschaften nichts mehr so war wie früher: keine Kneipe, kein Laden und kein Leben mehr. Die verkehrlichen Möglichkeiten zauberten mehr Mobilität in die Köpfe als geplant und verwandelten lebendige Orte zu toten Schlafstätten. Damit änderte sich auch das soziale Gefüge. Während zu Beginn dieser Massenmotorisierung die ganze Familie noch selig vor Glück ins Auto einstieg und damit gemeinsam neue Abenteuer im wahrsten Sinne des Wortes erfuhr, geriet mit der ansteigenden Zahl der Fahrzeuge der soziale Verbund mehr und mehr auseinander. Jetzt nutzten alle die Autos und fuhren damit ihre eigenen Wege, jeder und jede zur eigenen Zeit und an einen eigenen Ort. Die Familie und der damit verbundene so­zia­le Zusammenhalt gingen mehr und mehr verloren. Die Zahl der Trennungen korreliert tatsächlich mit der Zahl der zugelassenen Fahrzeuge: Das Auto hat Soziales gestiftet, und das Auto als Mobilitätsmaschine hat Soziales auch wieder genommen.

Es ist auch keineswegs so, dass diese Autobegeisterung vom Himmel fiel. Deutschland war zunächst überhaupt kein Autoland. Man fuhr Rad und Motorrad, und für längere Strecken nahm man die Reichsbahn. Deutschland blieb gegenüber seinen europäischen Nachbarländern sowie den USA in seiner Motorisierung schon in den 1920er Jahren weit zurück. Erst mit viel politischem Aufwand konnte man die Liebe der Deutschen zum Auto wecken. Los ging diese unbedingte Autoförderung bei den Nazis: Man baute ein Netz von Autobahnen mit fast 4.000 Kilometern Länge, obwohl es gar keine Autos gab. Ironischerweise übernahm diese sehr teure Investition die Deutsche Reichsbahn und schaufelte sich damit ihr eigenes Grab. Weil sich die deutschen Automobilhersteller auf die Fertigung teurer Luxuskarossen spezialisiert hatten, ließen die Na­tio­nalsozialisten mit dem geraubten Geld der Gewerkschaften eine neue Autofabrik bauen, um mit den Methoden der amerikanischen Massenfertigung einen Volkswagen zu produzieren, den sich alle leisten können sollten. Begleitet wurden diese Maßnahmen noch durch eine reichseinheitliche Straßenverkehrsordnung, die der Vielfalt auf der Straße ein Ende machte und nur noch dem Auto die Vorfahrt gewährte. Die noch kurz vor Kriegsbeginn verabschiedete Reichsgaragenordnung verpflichtet bereits damals alle privaten und öffentlichen Bauherren, Stellplätze vorzuhalten.

Als es trotz dieser Maßnahmen mit den Autos in den Nachkriegsjahren immer noch nicht klappen wollte, setzte man 1951 in Westdeutschland einfach mal alle Geschwindigkeitsbegrenzungen außer Kraft. Freie Fahrt für freie Bürger überall auf allen Straßen! Aber nach mehreren Zehntausend Toten war 1955 schon wieder Schluss mit der unbeschränkten Freiheit. Als weitaus wirksamer entwickelte sich dagegen die Maßnahme, mehr Ausgaben für ein Auto von der Steuer absetzen zu können, als das Auto eigentlich kostete. Als dann noch der öffentliche Raum an die privaten ­Laternenparker verschenkt wurde, also das Parken von privaten Autos auf öffentlichen Stellplätzen erlaubt wurde, kam die Motorisierung in den späten 1960er Jahren langsam richtig in Gang. Deutschland hatte endlich den Anschluss gefunden.

Man hat den Eindruck, dass die nachholende Motorisierung heute immer noch das bestimmende Motiv der Politik ist, obwohl Deutschland längst Weltspitze ist. Bei der ersten öffentlichen Vorstellung des neuen Koalitionsvertrags sah man sich nämlich genötigt, ein Bekenntnis zum Auto abzugeben. Selbstverständlich werden alle dem Auto seit Jahren gewährten Privilegien, etwa die Art der Dienstwagenbe­steue­rung oder auch die Dieselsubvention, von der neuen Bundesregierung beibehalten, und die Entfernungspauschale wird sogar noch erhöht. Angesichts der fast 50 Millionen zugelassenen Pkws stellt sich hier schon die Frage, wann man in Deutschland endlich die gewünschte Vollmotorisierung erreicht zu haben glaubt. Die Zersiedlung der Landschaft kann ja nicht endlos fortgesetzt werden.

Kommen wir zurück zu den Auswirkungen der Massenmotorisierung auf das soziale Gefüge der Menschen. In Untersuchungen des Verkehrsverhaltens während der Coronapandemie war es zuerst aufgefallen. Obwohl die Apologeten des Autos schnell den Kraftwagen zum Gewinner während der Pandemie ausriefen, stellte sich schon gegen Ende des ersten Pandemiejahrs heraus, dass weniger Auto gefahren wurde; dass überhaupt der Lockdown trotz der vielen Einschränkungen, verbunden mit viel Leid und Tod, auch als eine Art Befreiung vom entfernungsintensiven Lebensstil wahrgenommen wurde.

Foto: Bernhard Ludewig

forscht zu Mobilität am Wissen­schafts­zentrum Berlin für Sozialforschung (WZB). Von ihm erschien „Wo kommen bloß die vielen Autos her und wie werden wir sie wieder los?“, Berlin 2025, Alexander Verlag.

Zunächst durfte man nicht mehr jeden Tag die weite Fahrt zur Arbeit antreten, und als sich die Restriktionen zu lockern begannen, wollte man es auch nicht mehr. Mittlerweile ist es rund einem Drittel aller Beschäftigten erlaubt, mehrere Tage nicht ins Büro zu fahren. Die Tendenz ist im Übrigen eher steigend als sinkend. Der automobilfixierte Lebensstil wird quasi zurückgebaut, und diese Tendenzen haben sich durch die Pandemie noch verstärkt. Es ist so etwas wie ein abnehmender Grenznutzen des Autos entstanden: Mehr Fahrzeuge werden immer weniger genutzt.

Und schon bei den Kfz-Neuzulassungen lohnt ein genauerer Blick. Zwar stieg die Neuwagenflotte in den letzten Jahren mit rund 1 Prozent pro Jahr immer noch leicht an, dabei hat sich aber die Struktur verändert. Der Anteil der gewerblichen Fahrzeuge kletterte von knapp 63 Prozent auf rund 68 Prozent, der private Anteil dagegen fiel von 37 Prozent auf 32 Prozent. Das heißt, die privaten Neuwagenkäufe gehen zurück, und der Automarkt wird nur deshalb stabilisiert, weil mit der bestehenden Dienstwagenbesteuerung Fahrzeuge bis zur Hälfte ihres tatsächlichen Werts sub­ventioniert werden können. Grundformel dabei ist: Je teurer das Auto und je höher das Einkommen, umso größer die Steuergeschenke, von denen im Übrigen fast nur deutsche Hersteller profitieren.

Aber es werden nicht nur deutlich weniger private Neufahrzeuge gekauft, sondern insgesamt nehmen die Fahrleistungen aller Fahrzeuge ab. Während 2019 noch 628 Milliarden Kilometer mit allen Autos zurückgelegt wurden – durchschnittlich 13.500 Kilometer pro Auto –, sind es 2023 noch 591 Milliarden Kilometer, rund 12.300 Kilometer pro Pkw. Das Auto war 2017 noch für 57 Prozent aller Wege das Mittel der Wahl, 2023 sind es nur noch 53 Prozent. In den großen Städten wie Berlin, Hamburg oder München ist das Auto weder, was die Zahl der Wege, noch, was die zurückgelegten Entfernungen angeht, die Nummer eins.

Die verkehrlichen Möglichkeiten zauberten mehr Mobilität in die Köpfe als geplant und verwandelten lebendige Orte zu toten Schlafstätten

Es ist absehbar, dass sich dieser Trend in den nächsten Jahren halten wird. Die Babyboomer kommen in die Jahre und fahren weniger, die nachfolgenden Generationen sind an Zahl weniger und im Nutzungsverhalten schon deutlich anders. Sie fahren weniger längere Strecken. Die Bevölkerung schrumpft weiter, und weil die Zahl der Flüchtlinge von der neuen Bundesregierung ja sehr begrenzt werden soll, wird sich der demografische Wandel noch viel schärfer zeigen.

Während also beim Auto praktisch schon der Abspann läuft, die Fahrzeuge deutlich und messbar an Bedeutung verlieren, hält die neue Bundesregierung auf Biegen und Brechen an dem alten Politikziel der 1930er Jahre unter dem Motto „Kraftfahrt tut not“ fest. Sie verkennt dabei auch die destruktive Wirkung der Massenmotorisierung für die Gesellschaft.

Autos werden sicherlich nicht komplett verschwinden, sie werden aber deutlich weniger, und dies könnte sich vorteilhaft auf den sozialen Zusammenhalt auswirken. Die Bundesregierung könnte diesen Prozess durch das Abschaffen der Privilegien beschleunigen und dabei sogar viele Milliarden Euro einsparen. Und über die Folgen für das Klima wurde dabei noch gar nicht gesprochen.

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