Nach Angriff auf Sanitäter in Gaza: Wo ist Roter Halbmond-Helfer Asaad Nasasra?
Im März töteten israelische Soldaten 15 Rettungskräfte, von einem Sanitäter fehlt jede Spur. Nun hat sich die Familie an Israels obersten Gerichtshof gewandt.

Auf Nachfrage von Hamoked bestätigte die Armee am Sonntag lediglich, dass Nasasra festgenommen sei und bis zum 7. Mai keinen Zugang zu einem Anwalt habe.
Die Schüsse auf mehrere klar gekennzeichnete Rettungsfahrzeuge in Rafah am Morgen des 23. März, bei denen Nasasras 15 Kollegen getötet wurden, werfen indes weiter Fragen auf. Vergangene Woche räumte die Armee nach heftiger internationaler Kritik und der Veröffentlichung eines Videos des Angriffs „professionelle Fehler“ sowie „Verstoß gegen Befehle“ ein und entließ den Vizekommandeur der fraglichen Einheit.
Von verdächtigen Aktivitäten ist nicht die Rede
Ein Bericht der Zeitung Ha’aretz unter Berufung auf armeeinterne Untersuchungsunterlagen zweifelt diese Darstellung nun erneut an: Dem zufolge soll die fragliche Spezialeinheit der Golani-Brigade im Vorfeld einer Offensive auf die Nachbarschaft Tel al Sultan Stellung nahe einer Straße bezogen haben. Entgegen einem anfänglichen Bericht der Armee war der Abschnitt auch ohne Koordinierung mit der Armee für den Verkehr geöffnet. Gegen 3.30 Uhr meldete eine andere Einheit vermehrte Aktivitäten von Krankenwägen auf der Straße. Von verdächtigen Aktivitäten, wie von der Armee mehrfach angegeben, sei in den Unterlagen keine Rede.
Um 3:57 Uhr soll dem Bericht zufolge ein Rettungswagen mit eingeschalteten Signalleuchten auf einer Routinefahrt den Bereich durchquert haben. Die Soldaten seien rund 30 Meter von der Straße entfernt auf einer Anhöhe positioniert gewesen, außerhalb des Sichtfelds der vorbeifahrenden Sanitäter. Der Vizekommandeur der Einheit soll entgegen seinen Befehlen – bis zum Beginn der Offensive auf Tel al Sultan im Verborgenen zu warten – den Angriff befohlen haben.
Zwei der Sanitäter starben sofort, der dritte wurde festgenommen. Der später wieder freigelassene 27-jährige Sanitäter des Palästinensischen Roten Halbmondes sei von einem Soldaten befragt worden, der kein Arabisch sprach. Auf Grundlage dieses Verhörs soll der Kommandeur geschlossen haben, dass es sich um Hamas-Mitglieder handle.
Laut dem Ha’aretz-Bericht schalteten die Soldaten daraufhin die Beleuchtung des Rettungswagens aus und begaben sich zurück in den Hinterhalt. Als sich um 5.06 Uhr ein Konvoi von mehreren Rettungswagen näherte und neben dem angegriffenen Fahrzeug hielt, befahl der Kommandeur erneut einen Angriff. In seiner Darstellung habe er später angegeben, die Besatzung für Hamas-Mitglieder gehalten zu haben. Ha’aretz zufolge ist kein Fall in diesem Krieg bekannt, in der die Hamas Rettungswagen genutzt habe, um sich einer bekannten Armeeposition zu nähern. Offenbar kam selbst die armeeinterne Untersuchungsgruppe nach einer Rekonstruktion mit dem betroffenen Kommandeur zu dem Schluss, dessen Einschätzungen nicht nachvollziehen zu können.
Warum vergrub die Armee die beschossenen Ambulanzen?
In einem Fall lege das Material laut Ha'aretz nahe, dass dreieinhalb Minuten lang wahllos auf einen Konvoi von Rettungsfahrzeugen feuert worden sei. Obwohl die Sanitäter klar gekennzeichnet gewesen seien und sich nach dem Verlassen ihrer Fahrzeuge von den versteckten Soldaten wegbewegt hätten, sei das Feuer eröffnet worden. Die Soldaten seien auf die Einsatzkräfte zugestürmt, hätten diese „binnen Sekunden“ erreicht und dennoch minutenlang weitergeschoben – auch als klar gewesen sei, dass ihr Feuer nicht erwidert wurde. Das ungeordnete Vorgehen der Einheit habe laut den Unterlagen auch eigene Soldaten in Gefahr gebracht.
Laut den von Ha'aretz zitierten Armeeunteragen sollen sechs Hamas-Angehörige unter den Toten sein. Ein Nachweis dafür wurde nicht veröffentlicht. Einer Quelle zufolge soll keiner von ihnen Teil des militärischen Flügels der Gruppe gewesen sein.
Licht bringt der Bericht auch in der Frage, weshalb die Armee die Krankenwagen nach dem Angriff zerstörte und vergrub: Der Befehl für diesen Schritt soll demnach vom Kommandeur der Brigade im Anschluss an den Angriff gekommen sein, um keine Informationen zu der bevorstehenden Offensive auf Tal as-Sultan preiszugeben.
Das Nothilfebüro der Vereinten Nationen und der Palästinensische Rote Halbmond haben den jüngsten offiziellen Bericht der Armee als irreführend kritisiert. Es habe sich nicht um „professionelle Fehler“, sondern um „Hinrichtungen“ gehandelt, sagte ein Sprecher des Zivilschutzes im Gazastreifen der Nachrichtenagentur AFP. Der Rote Halbmond fordert weiterhin eine internationale Untersuchung des Angriffs.
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