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Großer Streik in BelgienLandesweite Proteste gegen „Oster-Akkord“

Die belgischen Gewerkschaften rufen erneut zum Generalstreik auf. Es geht gegen Sozialkürzungen und Aufrüstungspläne – und den sogenannten „Oster-Akkord“.

Demonstration in Brüssel während des Generalstreiks am 29. April Foto: imago

Brüssel taz | Keine Starts am Flughafen Brüssel, kaum Busse und Bahnen, geschlossene Ämter und Behörden: Vier Wochen nach dem Generalstreik Ende März wurde Belgien am Dienstag erneut von landesweiten Protesten lahmgelegt. Doch während es bisher nur allgemein gegen Sozialabbau und Aufrüstung ging, legen sich die Gewerkschaften diesmal direkt mit der neuen Föderal-Regierung um Premier Bart De Wever an.

Der Grund: der sogenannte „Oster-Akkord“, den De Wever und seine rechtsliberale „Arizona“-Regierung vor zehn Tagen durchgepeitscht haben. Die Einigung sieht vor, die Zahlung der Arbeitslosenhilfe künftig auf zwei Jahre zu begrenzen, höhere Renten von der automatischen Anpassung an die Inflation auszunehmen und mehr Flexi-Jobs zu schaffen. Außerdem wird das Asylrecht deutlich verschärft.

Den massiven Sozialkürzungen stehen höhere Ausgaben für die Rüstung gegenüber. So sollen fast vier Milliarden Euro in neue Kriegswaffen fließen, um das Nato-Ziel von zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts noch in diesem Jahr zu erreichen. Ein Teil des Geldes soll aus Erlösen des in Belgien festgesetzten russischen Zentralbankvermögens kommen, ein anderer Teil aus EU-Mitteln.

De Wever sprach von unverzichtbaren Reformen, mit denen Belgien seine Bündnisverpflichtungen erfüllen und die Wettbewerbsfähigkeit wiederherstellen wolle. Für die christlichen und sozialistischen Gewerkschaften, die am Dienstag ihren „regionalen“ Aktionstag mit Schwerpunkten an verschiedenen Orten im Land organisierten, handelt es sich jedoch um einen Angriff auf den Sozialstaat. Sie wollen die Regierung zum Rückzug zwingen.

„Wir wollen unsere Truppen nicht ermüden“

Neu ist, dass nicht mehr nur Arbeiter, Lehrer oder Krankenschwestern auf die Straße gehen. Diesmal haben sich auch Richter, Staatsanwälte und Gefängniswärter den Protesten angeschlossen. Angesichts massiver Kürzungen seien Justiz und Strafvollzug kaum noch arbeitsfähig, kritisieren sie. Auf Gerichtsprozesse muss man in Belgien teils Jahre warten, die Gefängnisse sind überfüllt.

Die Regierung hat zwar angekündigt, in diesem Jahr 150 Millionen Euro zusätzlich für die Justiz bereitzustellen. Doch dieses Zugeständnis hat die Proteste eher noch angeheizt. Der Aktionstag am Dienstag soll nicht der letzte sein. Auf Belgien rollt eine Streikwelle zu – mit neuen Aktionstagen im Mai, Juni und September. Dabei werden jeweils andere Berufsgruppen zum Streik aufgerufen.

„Wir wollen unsere Truppen nicht ermüden“, sagt Thierry Bodson, Chef der sozialistischen Gewerkschaft FGTB. Außerdem gelte es, die Streikkasse zu schonen – und den Bürgern klarzumachen, dass alle Berufsgruppen von den Sozialkürzungen betroffen sind. Allerdings gehen die Gewerkschaften das Risiko ein, dass die Belgier der permanenten Proteste müde werden und resignieren.

Darauf setzt auch die Regierung. Mit ihrem „Oster-Akkord“ hat sie die Gewerkschaften kalt erwischt. Die Details wurden nur scheibchenweise bekannt gegeben, weitere Maßnahmen sollen erst im Herbst verkündet werden. De Wever und die Opposition auf der Straße hätten sich auf einen „Dauerlauf“ eingerichtet, kommentiert die Tageszeitung Le Soir. Wer zuerst schlapp macht, ist noch nicht ausgemacht. Ob es am Ende einen Sieger gibt, auch nicht.

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