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Papst-Beisetzung im FernsehenDie Trauer der Anderen

Eine Papstbeerdigung war das allererste Fernseherlebnis unserer Autorin. Seither kann sie sich dem Zauber pompöser Bestattungen nicht entziehen.

Papst Johannes XXIII. aufgebart im Petersdom im Juni 1963 Foto: Reg Lancaster/getty images

Juni 1963, auf dem Dorf. Nur wenige Familien haben einen Fernseher. Die Metzgersfamilie ist eine davon. Wahrscheinlich war ich auf dem Weg zum Kindergarten die Schulgasse hoch, damals konnte man als Kind noch allein irgendwohin gehen, und kam an der Metzgerei vorbei. „Die Beerdigung vom Papst“, sagte die Metzgersfrau zu Frauen auf der Straße. „Im Fernsehen kommt die Beerdigung vom Papst, wollt ihr reinkommen?“ Es war mehr als eine Einladung.

Magisch angezogen landete auch ich in ihrer Stube und starrte dann – Ja wie lange? Lange jedenfalls – auf einen Kasten, in dem graustichige, wacklige Bilder waren. Fotos, die sich bewegten. Grisselig und unscharf. Menschen, die auf einen Platz strömten. Menschen, die Straßen säumten. Menschen in Kirchen. Ein Mann wurde liegend draußen herumgetragen. Menschen knieten. Eine Stimme darüber lud alles mit Bedeutung auf. Es wurde gebetet, es war Musik. In dieser Stube wurde ich von etwas ergriffen. Das prägte sich mir ein. Und blieb.

Gewiss, ich bin keine aus dem Ei geschlüpfte Ente, deren erstes Wesen, das sie sieht, ein Fuchs ist, und weil es die Verhaltensprägung so will, hält es den Fuchs nun für seine Mutter und rennt ihm hinterher, was fatal ist. Denn diese Mutter wird es verschlingen.

Ich bin das nicht, aber dennoch, dieses eine Mal hat die Verhaltensprägung doch zugeschlagen. Dank dieser initialen Begegnung liebe ich Beerdigungen im Fernsehen. Wenn ich kann, wohne ich ihnen vor dem Bildschirm bei, lasse mich hinreißen, berühren. Im Innersten. Das geht sehr tief. Die Beerdigung von Johannes XXIII., gesehen im Juni 1963 in der Stube der Metzgersfrau, hat das ausgelöst. Sie ist der Fuchs.

Papst Johannes XXIII. war ein Reformer. Menschenrechte, Gleichberechtigung, er wagte erste Schritte in der verkrusteten katholischen Hierarchie dazu. Im Zweiten Weltkrieg hat er Juden gerettet. Dass dieser Mann gut war, das wussten auch kleine Kinder. In den Fürbitten wurde in der Kirche für ihn gebetet, daher schien er vertraut.

Seither habe ich viele Beerdigungen im Fernsehen gesehen. Die Trauer der Anderen rührt mich, und die Trauer um meine eigene Sterblichkeit. Die Bilder müssen nicht scharf sein. Tränen kommen mir, wenn ich Filmclips aus der Ukraine sehe, wo die Leute am Straßenrand hinknien, wenn ein Leichenwagen mit einem Gefallenen vorbeifährt. Unvergesslich die Beerdigung von Diana. Heulend saß ich in der WG-Küche und konnte mich, obwohl verabredet, nicht losreißen. Später gab es furchtbare Vorwürfe wegen der Verspätung.

Dass der Tod von sowjetischen Oberhäuptern früher mit Musik im Fernsehen angekündigt wurde, gefiel mir ebenfalls. Die Nachricht war: „Das sowjetische Staatsfernsehen sendet nur noch klassische Musik!“ Das war das Indiz für Tod. Ich warte sehnsüchtig darauf, dass es bald wieder so ist. Gut in Erinnerung habe ich zudem die Beerdigung von Prinz Philip. Da war die Musik besser als bei der Queen im Jahr darauf.

Ich habe nichts mit Royals oder der Kirche am Hut. Selbstverständlich werde ich am Samstag dennoch vor dem Fernseher kleben, in Erwartung eines inneren Feuerwerks. Dass der Bildschirm mich inzwischen aber auch sonst verschlingt wie der Fuchs die Ente, das ist eine andere Wendung.

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