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„Aus Sicht Chinas ist Europa verbraucht“

Global verschiebt sich die Macht – auch zugunsten Chinas. Der Politologe Junhua Zhang erklärt die Interessen, Strategien und Schwachpunkte der chinesischen Führung

Auf dem Weg zur globalen Soft Power? Auch die Strahlkraft chinesischer Waren- und Markenwelten wächst, wie diese Filiale der Kette Miniso in Shanghai zeigt Foto: Go Nakamura/reuters

Interview Sven Hansen

taz: Herr Zhang, wie analysiert Chinas Führung die gegenwärtige Weltordnung und was strebt sie an?

Junhua Zhang: Staats- und Parteichef Xi Jinping sieht den Osten auf- und den Westen absteigen. Die westliche Hegemonie zerfällt. Peking redet einer multipolaren Welt das Wort und fühlt sich jetzt durch Donald Trumps Politik insofern bestätigt, als dieser den Abstieg des Westens anzuerkennen scheint. Joe Biden verhielt sich aus Sicht Pekings noch so, als funktioniere die Führung der USA weiter nahezu uneingeschränkt. Aber Trump will den autoritären Staaten de facto einen „gebührenden“ Status geben.

taz: Wo deckt sich die Welt der chinesischen Führung mit der von Wladimir Putins Russland?

Zhang: China und Russland sind sich erst unter Xi Jinping wieder richtig näher gekommen. Xi und Putin eint ihr Autoritarismus und die Ablehnung westlicher Hegemonie. Putin geht es in erster Linie aber nur um den eigenen Machterhalt, für den er auch jenseits des eigenen Landes militärische Mittel einsetzt wie etwa in Afrika und dem Nahen Osten. Xi macht das bisher nicht wie Putin und setzte in erster Linie auf Handel und erst danach auf Aufrüstung. In Putins „Russischer Welt“ sieht Xi aber die Wiederbelebung der Sowjetunion. Für Xi ist die ein gutes Modell des Sozialismus. Zudem gab es durch Russlands Krieg in der Ukraine eine Machtverschiebung im bilateralen Verhältnis: Russland hat deutlich an Einfluss verloren, etwa in Zentralasien, seinem früheren Hinterhof, während China seine Macht dort stark vergrößern konnte.

taz: Mit welcher Strategie strebt die Volksrepublik nach ihrer gewünschten Weltordnung?

Zhang: China setzt vor allem auf wirtschaftliche Stärke durch Handel und nutzt dafür das Projekt der „Neuen Seidenstraße“. Die hat sich unter dem seit 2013 amtierenden Xi Jinping zur außenpolitischen Strategie entwickelt. Zugleich rüstet China seit Jahren militärisch stark auf, insbesondere die Marine. Es hat die Fähigkeiten entwickelt, seine Interessen auch militärisch absichern zu können. Dies hat es aber anders als Russland bisher noch nicht angewendet.

taz: Droht aus Sicht Chinas wegen Donald Trumps Zoll- und Handelspolitik der Zerfall der Welt in Handelsblöcke?

Zhang: China hat sehr von der Globalisierung und der Aufnahme in die Welthandelsorganisation im Jahr 2021 profitiert. Es begreift sich heute als industrielle Weltmacht und hat ein Interesse, dass dieses System weitgehend bestehen bleibt. Zugleich ist China heute handelspolitisch in einer stärkeren Position als zu Trumps erster Amtszeit. So dominiert es inzwischen klar die Verarbeitungstechnologie für Seltene Erden. Zugleich muss Xi weniger Rücksicht auf die Bevölkerung nehmen, also etwa was drohende Massenarbeitslosigkeit angeht, als ein US-Präsident, dem Xi dann ja auch noch die Schuld daran geben kann. China ist heute für viele Länder ein sehr wichtiger, oft sogar der wichtigste Handelspartner überhaupt. Diese Rolle hatten früher westliche Länder. Peking muss jetzt also im Handelskonflikt mit den USA nicht mehr unbedingt nachgeben, was es ja auch nicht tut, sondern ist in einer guten Ausgangsposition.

taz: Historisch hat sich China als „Reich der Mitte“ definiert, quasi als Zentrum der Welt. Spielt dies in Chinas Politik weiter eine Rolle, ist eine multipolare Weltordnung für Peking also nur ein Übergang zur künftigen Hegemonie der Volksrepublik?

Zhang: Der Ausdruck „Reich der Mitte“ ist vor allem ein kultureller Begriff. Militärisch hat China nie wirklich die Welt dominiert. Das wird erst dann kommen, wenn China überall zunächst wirtschaftlich Fuß gefasst hat. Aber China ist bereits eine regionale Hegemoniemacht. Seine vor allem maritime Aufrüstung der letzten Jahrzehnte und sein Vordringen im Südchinesischen Meer und der Taiwan-Straße haben die Situation verändert. So kann die Volksrepublik mittlerweile jenseits der Taiwan-Straße operieren und kontrolliert weitgehend die durch die Taiwan-Straße begrenzte sogenannte erste Inselkette. China profitiert auch davon, dass der wirtschaftlich schwächere Westen nicht mehr so dominant und attraktiv ist, während die Volksrepublik trotz autoritären Systems ein sehr attraktiver Handelspartner geworden ist. Chinas Führung zieht es vor, die eigene Bevölkerung nicht zu reich werden zu lassen und lässt sie hart arbeiten, um Produkte herzustellen, damit andere Länder in den Genuss der billigen, aber auch qualitativ hochwertigen Produkte Chinas kommen. Das ist etwas, was der Westen nicht tun kann.

taz: Chinas Führung tritt geschlossen auf, doch welche konkurrierenden Weltsichten gibt es im Inneren, zumindest in Nuancen?

Foto: privat

Junhua Zhang

geb. 1958, ist Senior Associate des European Institute for Asian Studies in Brüssel sowie Experte des Geopolitical Intelligence Services. Er studierte und promovierte in Frankfurt am Main und war Professor für Politikwissenschaft in Shanghai und Hangzhou.

Zhang: Chinas intransparente Politik erschwert sogar den besten China-Kennern, die Lage richtig einzuschätzen. Aber eins steht fest: Je schlechter es der Wirtschaft geht, desto instabiler ist Xis Machtposition. Denn die ökonomische Performance ist letzten Endes die Legitimitätsbasis seiner Macht. Innerhalb der Partei lauern seine Gegner darauf, dass er Fehler in der Wirtschaft macht. Sicherlich könnten chinesische Beamte das Volk für eine Weile täuschen, indem sie die Medien zensieren und Demonstranten in Gewahrsam nehmen. Aber innerhalb der Partei und vor allem bei den sogenannten Interessengruppen wirkt eine Verschlechterung der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung auch gegen sie. Das ist die Gefahr, die China innenpolitisch droht: Verschlechtert sich die wirtschaftliche Lage weiter, wird es für Xi sehr schwierig, seine Position mit „normalen“ Mitteln zu halten. Das könnte dann dazu führen, mit einem Angriff auf Taiwan abzulenken.

taz: China ist selbst mit zwei asiatischen Großmächten konfrontiert. Japan fordert die Führungsrolle Pekings wirtschaftlich heraus. Indien, mittlerweile das bevölkerungsreichste Land der Erde, ist ein strategischer Rivale. Wie sieht China die beiden?

Zhang: Die Biden-Regierung hat in dieser Beziehung China große Kopfschmerzen bereitet, indem sie eine Versöhnung zwischen Japan und Südkorea ermöglicht hat. Trump scheint diese Allianz aber wieder schwächen zu wollen. Auch ist Südkoreas politische Zukunft wegen seiner innenpolitischen Turbulenz wenig klar. Dies begünstigt China, seinen Einfluss auszuweiten. Japan wie auch Südkorea sind auf Chinas Markt angewiesen. Das Verhältnis zu Indien ist zwiespältig. China möchte Indien als großen Markt nutzen, aber Indien sträubt sich. Bei manchen Produkten sind beide auch Konkurrenten. Inder bewundern Chinas wirtschaftliche Entwicklung und Peking geht davon aus, dass Indien China nie wirtschaftlich überholen wird. Geopolitisch gibt es große Spannungen zwischen China und Indien, etwa in Sri Lanka, Nepal, und bei Pakistan sowieso.

taz: Welche Rolle spielt Europa für Peking?

„China ist heute für viele Länder ein wichtiger Handelspartner. Deshalb muss es im Zollkonflikt mit den USA nicht mehr nachgeben“

Zhang: China hat Europa sehr viel zu verdanken. Europäische Technologie und die Politik des „Wandels durch Handel“ haben sehr zur Entwicklung Chinas und seiner Wirtschaft beigetragen. Doch aus Chinas Sicht ist Europa „verbraucht“, während chinesische Technologien und Produkte inzwischen nicht nur preiswerter, sondern oft konkurrenzfähig und manchmal sogar viel besser sind. Europa ist für Peking nur noch eine zweitrangige, vielleicht sogar nur drittrangige Macht: Es zeigt sich im Ukrainekrieg als kaum handlungsfähig und würde in einem womöglichen Krieg um Taiwan, allein wegen der geografischen Entfernung, höchstwahrscheinlich untätig bleiben.

taz: Der russische Angriffskrieg in der Ukraine lässt Europa aufrüsten, was China selbst schon lange macht. Wie sieht China Europas Aufrüstung?

Zhang: Solange Europa allein nur aufrüstet, also nicht militärisch in Asien präsent ist, hat das für China wenig Bedeutung. Aber Xi sieht nicht gern, dass Europa Russland dadurch schwächt.

taz: Erleben wir derzeit einen Kulturkampf zwischen autokratischen und demokratischen Systemen, also vereinfacht China und Russland gegen Nordamerika und Europa?

It’s the geopolitics, stupid!

Die Welt befindet sich in Aufruhr. Seit Donald Trump in seiner zweiten Amtszeit regiert, ist klar: Der Westen – im Kern das Bündnis aus den USA und Europa – zerfällt in rasantem Tempo. Zeitgleich hat China Ansprüche, als zweite globale Supermacht anerkannt zu werden. Die globalen Machtverhältnisse werden neu geordnet, nicht nur in der Ukraine und in Ostasien. Die taz veröffentlicht zu diesem epochalen Umbruch eine Reihe von Interviews mit internationalen Analysten. Den Auftakt machte am 26. April Marc Saxer von der Friedrich-Ebert-Stiftung.

Zhang: Kulturkämpfe hat es immer gegeben, unabhängig von den politischen Spannungen. Jede Kultur und Zivilisation hat ihre Stärke und Schwäche. Sicherlich ist es schwer zu trennen zwischen einer Kultur als solcher und einer politisch geprägten Kultur. Früher oder später wird man aber doch die Werte anerkennen, die allen Menschen inhärent sind. Aber dies ist nur dann möglich, wenn es Presse- und Meinungsfreiheit gibt.

taz: Wie erfolgreich ist Chinas Soft Power, die kulturelle Einflussnahme?

Zhang: Chinas Soft Power wächst, vor allem da die USA sich de facto aus vielen Bereichen global zurückzieht. Chinesische Seifenopern, seine vielfältigen Konsumgüter oder die sehr beeindruckende moderne Infrastruktur plus der innovative Geist junger Chinesen vermitteln ein teils ermutigendes, teils trügerisches Bild. Solange China wirtschaftlich nicht bankrott ist, bleibt es immer noch attraktiv. Zudem bedeutet die Abnahme der Einflüsse des Westens an sich eben auch immer die Zunahme chinesischer Soft Power, anders gesagt: Chinas Soft Power wächst oft auch nur scheinbar, wegen des inaktiven Westens. Dabei hat China inzwischen durchaus eine Nische in den sozialen Medien gefunden hat. Tiktok und die neue Plattform Xiaohongshu, was übersetzt „kleines rotes Buch“ bedeutet, sind völlig neue Phänomene im Kampf der Soft Power.

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