: Das bisschen Lobbyismus
Das Regierungspersonal von CDU und CSU steht. Gleich mehrere Spitzenleute kommen aus Unternehmen und bringen Interessenkonflikte mit. Sie könnten Entscheidungen fällen, von denen sie selbst oder ihre Branche profitieren
Von Svenja Bergt, Anja Krüger, Jost Maurin und Jonas Waack
Das fängt ja gut an: Kurz nachdem die Union ihre Kabinettsmitglieder benannt hatte, provozierte der designierte Agrarminister Alois Rainer Umweltschützer:innen mit einem Interview in der Bild. Darin schloss der CSU-Politiker höhere Steuern auf Fleisch klar aus. „Im Koalitionsvertrag wurde vereinbart, dass keine Steuererhöhungen durchgeführt werden. Daran werde ich mich als zukünftiger Minister halten“, zitierte das rechte Blatt den Metzgermeister aus Niederbayern. Rainer sprach sich zudem dafür aus, dass Kindergärten und Schulen nicht ausschließlich vegetarische Kost, sondern auch Fleisch auftischen.
Diese Positionierung ist in zweierlei Hinsicht bemerkenswert und womöglich typisch für die neuen Unionsminister:innen. Erstens, weil sie klar dem widerspricht, was Umweltschützer:innen und viele Wissenschaftler:innen für nötig halten. Und zweitens, weil sie zeigt, dass das Kabinett des künftigen Kanzlers Friedrich Merz (CDU) ein Problem mit Interessenkonflikten haben wird.
Zu Punkt eins: Die Erzeugung von Fleisch belastet das Klima viel stärker die pflanzlicher Lebensmittel, und es fallen dabei große Güllemengen an, die das Grundwasser und die Artenvielfalt gefährden. Außerdem leiden die Tiere – und die Menschen. Denn der Verzehr von zu viel Fleisch steht im Zusammenhang etwa mit Krebs und Kreislauferkrankungen. Würden solche Nahrungsmittel durch eine leichte Erhöhung der Mehrwertsteuer etwas teurer, sänke der Konsum. Diskutiert wird etwa, die Steuer von bisher 7 Prozent auf 9 Prozent zu erhöhen. Mit den zusätzlichen Einnahmen könnte der Staat zum Beispiel Landwirt:innen helfen, ihre Ställe so umzubauen, dass die Tiere mehr Platz hätten.
„Nur weil sein Parteichef Markus Söder viel Döner isst, muss Döner nicht zur Allgemeinernährung werden“, kommentierte der Präsident des Deutschen Tierschutzbunds, Thomas Schröder, die Äußerungen von Alois Rainer. Die Zukunftskommission Landwirtschaft, an der sowohl der Deutsche Bauernverband als auch Umwelt- und Tierschützer beteiligt waren, habe einstimmig beschlossen, dass der Konsum tierischer Lebensmittel sinken müsse.
Fleischverkauf als Lebensunterhalt
Womit wir bei den Interessenkonflikten wären. Denn Alois Rainer führt nach eigenen Angaben „seit mehr als drei Jahrzehnten einen Gasthof mit Metzgerei“ im Bayerischen Wald. Er verdient sein Geld also nicht nur als Politiker, sondern auch damit, Fleisch zu verkaufen. Wenn er sich jetzt gegen höhere Steuern auf seine Produkte und für mehr Fleisch in Kindergärten und Schulen ausspricht, dann profitiert davon die Branche, an der er selbst beteiligt ist.
Dass die Union solche Interessenkonflikte erlaubt, könnte überraschen. Hatte sie zu Zeiten der Ampelkoalition doch noch so vehement kritisiert, dass einige vormalige Mitarbeiter:innen von Umweltorganisationen oder Denkfabriken in von den Grünen geführten Ministerien beschäftigt waren. Wohlgemerkt waren das Staatssekretär:innen, nicht, wie jetzt unter der Union, Minister:innen.
Nicht nur der designierte Landwirtschaftsminister lässt aufmerken. Das Regierungspersonal der Union hat eine klare Wirtschaftsflügel-Schlagseite, sagt Christina Deckwirth von der Organisation Lobbycontrol. Friedrich Merz war bis 2020 Lobbyist der mächtigen Investmentgesellschaft Blackrock. Levin Holle, der Finanzvorstand des maroden Staatskonzerns Deutsche Bahn, soll Merz’ Chef-Wirtschaftsberater im Kanzleramt werden. Der nächste Kulturstaatssekretär Wolfram Weimer ist nicht nur sehr konservativ, sondern auch Medienunternehmer. Auch das neue Digital- und das Wirtschaftsministerium sollen mit Manager:innen besetzt werden, die direkt aus einem Unternehmen in ein Regierungsamt wechseln.
Christina Deckwirth warnt vor Interessenkonflikten. Regierungsentscheidungen dürften nicht einseitig zugunsten der Wirtschaft fallen, betont sie. Auch die Belange etwa der Verbraucher:innen oder der Umwelt müssten zählen. „Die künftige Regierung muss beweisen, dass sie ausgewogen entscheiden kann und Wirtschaftsvertretern keinen privilegierten Zugang gewährt“, fordert sie. Möglich wäre das zum Beispiel, indem die Regierungsmitglieder freiwillig ihre Kontakte zu Lobbyist:innen veröffentlichten.
Zu denjenigen, die direkt aus der Chefetage eines Unternehmens in die Regierung wechseln könnten, zählt die gebürtige Brandenburgerin Katherina Reiche. Die designierte Wirtschafts- und Energieministerin ist wie Friedrich Merz eine Rückkehrerin. Bevor sie 2015 zum Verband kommunaler Unternehmen (VKU) wechselte, war sie Staatssekretärin zuerst im Umwelt- und dann im Verkehrsministerium. Als sie die Regierung verließ, hagelte es harsche Kritik – weil sie ohne Pause einen Lobbyposten übernahm. 2020 wechselt sie in die Energiebranche und wurde Chefin der größten Tochter des Energiekonzerns Eon, des Unternehmens Westenergie.
Reiches Rückkehr in die Politik wird von vielen gefeiert. Die Energieverbände, ob eher fossil oder erneuerbar ausgerichtet, überschütten sie mit Vorschusslorbeeren und loben ihre Expertise. Der Bundesverband der Deutschen Industrie ebenfalls. Lobbycontrol sieht dagegen gerade ihren Hintergrund kritisch. „Die Frage ist, ob Reiche die nötige Distanz mitbringt“, sagt Deckwirth. Denn sie soll für einen Bereich politisch verantwortlich sein, indem sie bis jetzt als Managerin Geschäftsinteressen verfolgt hat. Die Eon-Tochter Westenergie ist unter anderem für den Ausbau der Stromnetze verantwortlich, und der ist wichtig für den Ausbau der erneuerbaren Energien.
Katherina Reiches Expertise in dieser Frage wird von politischen Freund:innen und Gegner:innen geschätzt. Westenergie ist aber auch Betreiber eines 37.000 Kilometer langen Gasnetzes und dürfte kein Interesse daran haben, so schnell wie möglich diesen fossilen Geschäftszweig aufzugeben. Das könnte bei der im Koalitionsvertrag vorgesehenen „Abschaffung“ des Heizungsgesetzes der Ampel eine Rolle spielen.
Auch in der Frage, ob die neue Bundesregierung am Ziel des Ausbaus der Erneuerbaren festhält oder es aufweicht, sind die Interessen der Beteiligten wichtig. Reiches früherer Verband VKU fordert, die Ausbauziele „anzupassen“. Gemeint ist damit eine Verlangsamung. Klimapolitik fällt künftig nicht mehr in den Bereich des Wirtschaftsministeriums, sondern in den des Umweltministeriums. Wen die SPD dorthin entsendet, stand zu Redaktionsschluss noch nicht fest.
Merz-Vertrauter im Kanzleramt: Thorsten Frei (CDU)
Hardliner im Innenministerium: Alexander Dobrindt (CSU)
Ex-Zeitsoldat im Auswärtigen Amt: Johann Wadephul (CDU)
Verbandserfahren ins Ministerium für Wirtschaft und Energie: Katherina Reiche (CDU)
Fachliche Newcomerin für die Gesundheit: Nina Warken (CDU)
Streitbare Juristin für Bildung und Familie: Karin Prien (CDU)
Eine Fränkin für Forschung und Raumfahrt: Dorothee Bär (CSU)
Der Neue im Verkehrsministerium: Patrick Schnieder (CDU)
Elektrofachverkäufer für Digitalisierung und weniger Bürokratie: Karsten Wildberger (parteilos)
Wurst statt Tofu im Agrarministerium: Alois Rainer (CSU)
Das Bundesumweltministerium bekommt Medienberichten zufolge außerdem die Verantwortung für Klimadiplomatie vom Auswärtigen Amt. Unter der grünen Außenministerin Annalena Baerbock hatte das Haus die Federführung bei den internationalen Klimaverhandlungen übernommen. Dafür hatte Baerbock die damalige Geschäftsführerin von Greenpeace International, Jennifer Morgan, als Staatssekretärin ins Auswärtige Amt geholt.
Jemanden „von außen“ wolle er für das Digitalministerium, das hatte Friedrich Merz bereits vorher angekündigt. Und mit seiner Blackrock-Vergangenheit war klar: Er holt niemanden aus einer NGO oder sucht nach klugen Wissenschaftler:innen. Die Frage war daher, welche Unternehmen sich künftig über einen direkten Draht in die Ministeriumsspitze freuen dürfen. Im Lebenslauf stehen hat Karsten Wildberger, der designierte Digitalminister, unter anderem die folgenden Stationen: MediaMarktSaturn, T-Mobile, Vodafone, Boston Consulting Group und, genau wie seine voraussichtliche Kabinettskollegin Katherina Reiche, Eon.
Ein Thema, das sich dabei durch viele von Wildbergers Stationen zieht, ist digitale Transformation, also Unternehmen, die die Digitalisierung bislang nicht gerade engagiert verfolgt haben, so umzubauen, dass drin ist, was Kund:innen und Investor:innen von einem Konzern erwarten in den 2020er Jahren.
Diese Art des Change-Managements, wie es in der Branchensprache heißt, also des Vorantreibens und Begleitens von Veränderungen, ist es wohl, die Merz für Wildberger vorgesehen hat: auch mal gegen etablierte Strukturen denken und keine Angst davor haben, wenn Menschen mit Politikerfahrung die Stirn runzeln oder den Kopf schütteln. Denn um ein neues Ministerium aufzubauen, wird Wildberger anderen Ressorts Kompetenzen abnehmen müssen. Und selbst wenn der neue Innenminister Dobrindt vielleicht nicht unglücklich darüber ist, die Verwaltungsdigitalisierung los zu sein, die nicht gerade ein Gewinnerthema ist – weniger Zuständigkeiten bedeuten auch weniger Budget und Personal und damit weniger Macht.
Christina Deckwirth, Lobbycontrol
Bürokratieabbau für Unternehmensinteressen
Karsten Wildberger ist nicht nur Unternehmer, sondern als Vizepräsident des Handelsverbands HDE auch Lobbyist. „Es ist fraglich, wie unabhängig Wildberger über Fragen der Digitalisierung und Staatsmodernisierung entscheiden kann“, sagt Christina Deckwirth. Zum Tragen komme das etwa beim Thema Bürokratieabbau. Denn neben der Digitalisierung bekommt das neue Ministerium auch den Bereich Staatsmodernisierung. Gerade Bürokratieabbau werde von Lobbyist:innen immer wieder als Argument verwendet, um den Interessen von Unternehmen gegenüber gesellschaftlichen Anliegen Vorrang zu geben.
Mit problematischen Verstrickungen bereits Schlagzeilen gemacht hat einer von Karsten Wildbergers möglichen zukünftigen Staatssekretären: Philipp Amthor. Er stand vor Jahren im Zentrum eines Lobbyismusskandals um die dubiose Firma Augustus Intelligence. Amthor ist wohl nachtragend: Nachdem der Skandal durch eine Anfrage nach dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG) öffentlich geworden war, setzte sich Philipp Amthor nun in den Koalitionsverhandlungen dafür ein, das IFG abzuschaffen. Das Argument? Bürokratieabbau.
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