Erinnerungsarbeit: Webseite für Opfer rechter Gewalt
Betroffene bekommen in Deutschland zu wenig Aufmerksamkeit. Eine neue Webseite soll das ändern. Noch stehen aber Fragezeichen hinter der Finanzierung.
Viele Betroffene sind seit Jahrzehnten in der Erinnerungsarbeit aktiv, klären auf und vernetzen sich. „Nach den Morden des NSU habe sich diese Vernetzung intensiviert“, sagt Warda. Die Zusammenarbeit sei essenziell, um sich gegenseitig zu unterstützen, zu stärken und gemeinsame Forderungen zu formulieren.
Allerdings seien viele der Initiativen nur lokal aktiv und darüber hinaus kaum sichtbar. Die Aktivist:innen arbeiten meist ehrenamtlich und haben oft keine Kapazitäten für Öffentlichkeitsarbeit, sagt Newroz Duman von der Initiative 19. Februar Hanau. Deshalb spielten sie medial kaum eine Rolle. „Dabei gibt es bei den Betroffenen viel Wissen, das von politischen Entscheidungsträgern kaum ernst genommen wurde.“
Geschichten nicht über, sondern mit den Betroffenen
„Die wichtige Arbeit der Betroffeneninitiativen fällt nicht jedem auf“, sagt auch Sozialwissenschaftler und Autor Ali Şirin. An Schulen bemerke er immer wieder, dass das Wissen, etwa über den rassistischen Anschlag in Hanau, schwinde. „Es ist ein mühseliger Kampf gegen das Vergessen.“ Noch dazu einer, der eigentlich Aufgabe des Staats ist.
Die Webseite „selbstbestimmt-erinnern.de“ soll hier ansetzen. Ziel ist es, öffentlich Gehör und Anerkennung für die Arbeit und Perspektive der Betroffenen zu finden. Das ist auch für Gamze Kubaşık, Tochter des 2006 in Dortmund vom NSU ermordeten Mehmet Kubaşık, das Besondere des Projekts, wie sie in Abwesenheit verlesen ließ: „Dadurch werden die Geschichten nicht über die Betroffenen, sondern mit ihnen erzählt.“
Das Projekt soll die Initiativen gleichzeitig dabei unterstützen, Strukturen für ihre Erinnerungs- und Bildungsarbeit aufzubauen. Die täglich wachsende Webseite bündelt Informationen zahlreicher Initiativen und bietet Journalist:innen und Wissenschaftler:innen übersichtlich aufbereitetes Material.
Das verdeutliche ihre gesellschaftliche Relevanz: „Irgendwann kann man dann ganz klar zeigen, wo die Wissenslücken sind“, sagt Projektleiterin Warda. Betroffene einzubeziehen ist notwendig, um diese Lücken zu entdecken, findet auch Gamze Kubaşık. Denn dieses Wissen sei nicht beständig: „Es gibt einige Fälle, bei denen das Gedenken verschwunden ist, wo etwa Gedenktafeln nach Vandalismus nicht erneuert wurden.“ Diejenigen, die sich gegen das Vergessen stellen, sind meist Betroffene und ihre Angehörigen.
Zweifel an Förderung durch neue Regierung
Für all das sind vor allem Gelder notwendig: Gefördert wird das Projekt durch Reem Alabali-Radovan, Antirassismusbeauftragte des Bunds und Staatsministerin für Migration, Flüchtlinge und Integration. Dem Projekt sollen über drei Jahre 2,6 Millionen Euro zur Verfügung stehen, die auf die elf beteiligten Initiativen sowie die Webseite verteilt werden.
Die Förderung läuft aber nur noch in diesem Jahr. Wie es 2026 weitergeht, ist offen. „Wir gehen nicht davon aus, dass es mit der neuen Regierung eine weitere Förderung geben wird“, sagt Newroz Duman. „Wenn die Finanzierung endet, dringt noch mehr Prekarität in die Arbeit der Initiativen“, betont sie. Die Arbeit der Betroffenen und die Webseite würden in diesem Fall aber dennoch ehrenamtlich weitergehen. „Wir werden auch dafür kämpfen, dass die Förderung bestehen bleibt“, so Duman. „Die Anschläge hören ja auch nicht auf.“
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