: „Kultur als nicht kommerzielle Horizonterweiterung“
Bald ist wieder Sellerie Weekend. Kurz vorher hat der ausrichtende Aktionsraum Spoiler an neuem Ort wiedereröffnet. Ein Gespräch über Berliner Kulturpolitik und die freie Kunstszene

Interview Hilka Dirks
Seit 2019 betreiben Johanna Sophia und Matthias Richard Gerber, Lorenz Fidel Huchthausen, Gabriela Kapfer, Linus Lütcke und Diana Mammana als Gruppe den Aktionsraum Spoiler in Moabit in einem alten Autohaus. Nachdem das Gebäude letztes Jahr abgerissen werden sollte, hat der Projektraum nun ein neues Zuhause gefunden. Wieder ein Autohaus.
taz: Wie entstand der Aktionsraum Spoiler?
Spoiler: Wir kennen uns teilweise schon viele Jahre, sind befreundet, teils verheiratet. Anfangs trieben nur drei von uns die ursprünglich auf drei Monate befristete Zwischennutzung in unserem ersten Raum voran. Als der Mietvertrag verlängert wurde, wurden wir ganz natürlich diese sechs. Für die zuerst angenommene begrenzte Zeit legten wir für uns Prinzipien fest: Niemand darf doppelt ausstellen, nur Gruppenausstellungen, alle dürfen ausstellen – bzw. sich bewerben. Die haben wir bis heute behalten. Wir hatten nie ein größeres Ziel, außer Kunst möglich zu machen. Bei uns dauern die Ausstellungen nur ein Wochenende, es gibt eine enge Taktung, sehr viel Programm, kurze Aktionen, um möglichst vielen Akteuren Raum und vor allem jungen Künstler:innen die Möglichkeit zu geben, schnell ihre Arbeiten zu zeigen. Wir hätten auch sagen können, wir machen eine schicke, durchkuratierte Ausstellung, aber haben stattdessen versucht, für alle zu öffnen. Dadurch ist auch dieser Nicht-Personen-Kult entstanden, deswegen treten wir als Spoiler auf. Wir wollen uns nicht profilieren. Es ging und geht um die Sache. Um die Kunst und darum, einen Ort zu schaffen, an dem man gerne abhängt.
taz: Wie viele Künstler:innen haben Sie schon ausgestellt?
Spoiler: Im alten Space hatten wir mehr als 66 Shows und damit über 666 Künstler:innen in fünf Jahren. Bis heute haben wir nur eine einzige Einzelausstellung gemacht, weil wir den Berlin Art Prize mit zugewiesenem Programm ausgerichtet haben. Sonst waren es immer Gruppenausstellungen, Performances, unterschiedliche Pop-up-Formate. Nach jeder Show gab es mehr Bewerbungen.
taz: Auch Ihr neuer Ort ist in Moabit, passenderweise ein alter Pitstop. Sind Sie lokal stark eingebunden?
Spoiler: Große Teile unseres Publikums generieren sich natürlich aus der Nachbarschaft. Wir sind immer offen, aber kein klassisches Kiezprojekt. Ab und zu haben wir mit lokalen Galerien oder Kunstinitiativen kooperiert. Und der Moabiter Rapper Apsilon ist bei uns aufgetreten. Moabit kam immer eher von allein bei uns vorbei.
taz: Kam auch mal die Politik?
Spoiler: Joe Chialo war mal angekündigt, weil er wohl nicht wusste, was ein Projektraum ist. Weiß er wahrscheinlich bis heute nicht. Seine Mitarbeiter:innen im Senat wollten eine Tour mit ihm machen, initiiert vom Projektraum Tropez. Die wurde dann aber kurzfristig abgesagt. Lokale Politiker:innen kamen auch nie. Aber ein netter Mitarbeiter aus der Senatsverwaltung war gerade bei unserer Eröffnung am neuen Standort zu Gast.
taz: Wie finanzieren Sie sich? Sind Sie von den Kürzungen des Kulturetats betroffen?
Spoiler: Dass die Förderungen circa halbiert worden sind, kriegt man schon mit. Förderungen schließen für uns eher Lücken oder ermöglichen etwas Neues, aber wir würden es irgendwie auch ohne schaffen. Wir haben für 2024 und 2025 erstmalig eine Strukturförderung des Berliner Senats bekommen. Die kann nun wegfallen. Ansonsten gab es immer nur projektbasierte Gelder. Und anfangs den mittlerweile abgeschafften Projektraumpreis. Die Förderungen für die freie Szene werden einfach weniger. Aber Spoiler ist sowieso bis heute ein komplettes Plus-minus-null-Ding, das sich größtenteils über Spenden deckt. Wir können meistens keine Honorare zahlen und haben uns auch selbst jahrelang nichts bezahlt. Spoiler ist nur möglich, weil wir alle noch andere Jobs haben. Es ist eine Art Ehrenamt, ein Leidenschaftsprojekt, das nicht vorbei ist, nur weil es kein Geld oder keinen Ort mehr gibt. Dann muss es anders gehen. Diesen Spirit finden wir nach wie vor wichtig für die Kultur. Den müssen wir erhalten. Und das heißt nicht, dass es keine Förderung braucht. Insbesondere etablierter arbeitende Institutionen sind darauf angewiesen. Die Off-Szene hat schon immer auf Selbstausbeutung beruht – und sich dadurch eine ultimative Freiheit bewahrt. Unsere wildesten Sachen hätten wir niemals gefördert bekommen.
taz: Was für wilde Sachen?
Spoiler: Die Künstlerin Lena Marie Emrich hat im Raum einen Burnout mit einem Auto gemacht, also die Reifen durchdrehen lassen, bis sie sich auflösen und blauer Nebel den ganzen Raum füllt. Ein Künstler hat den Boden mit Frittierfett geflutet. So was halt. Dafür schreibt man keinen Förderantrag. Das macht man einfach.
taz: Spoiler ist ja auch ein Aktionsraum. Sehen Sie sich in der Tradition der Aktionskunst?
Spoiler: Zeitgenössisch interpretiert vielleicht. Wir haben den Namen gewählt, weil wir es nicht auf „Ausstellungsraum“ reduzieren wollten. Es passiert Action. Der Ort ist vorgegeben, sonst nichts. Wir sind eher eine Plattform für alles, was da sein kann, als ein klassischer Projektraum.
taz: Nun bilden Sie mit dem Sellerie Weekend noch eine weitere Plattform für die gesamte Off-Kunstszene.
Spoiler: Erst gab es den Wortwitz – und dann haben wir es einfach gemacht: Das Off-Programm während des Gallery Weekends gesammelt und es so genannt. Im Gegensatz zum Gallery Weekend muss bei uns niemand Geld bezahlen, um mitzumachen und es wird nichts ausgewählt. Alle mit einem festen Ort oder Konzept und ohne kommerzielle Interessen dürfen mitmachen.
taz: Das klingt eigentlich nach einem Programm, das vom Senat organisiert oder unterstützt werden sollte, so wie die Art Week.
Spoiler: Viele, die in Berlin über Kulturprogramme und Mittelvergabe entscheiden, haben keinen Anschluss mehr und sie machen sich auch nicht mehr die Mühe, die Szene kennenzulernen. Es hilft, dass wir selbst viel in der Szene unterwegs sind, zu Eröffnungen gehen und viel mit Leuten sprechen. Die Arbeit, einen Verteiler mit den unzähligen Off-Spaces anzulegen, macht sich sonst keiner, sodass wir das dann ehrenamtlich machen müssen. Dabei sind wir beim Sellerie Weekend immer selbst überrascht, wie viele Projekträume es gibt – in jedem Bezirk.
taz: Hat sich diese Szene in den letzten Jahren verändert?
Spoiler ist eine Plattform für Akteur*innen der freien Kunst- und Kulturszene. Das interdisziplinäre Team aus den Bereichen Kunst, kulturelle Bildung und Design setzt seit Juni 2017 diverse Kunstaktionen im Stadtraum Berlin um. Seit August 2019 mit festem Raum, seit März 2025 am neuen Standort: Spoiler. Birkenstraße 1, 10559 Berlin.
Das von Spoiler initiierte Sellerie Weekend findet parallel zum Gallery Weekend an mehr als 100 Standorten in Berlin vom 2. bis 4. Mai 2025 statt.
Spoiler: Es gibt vielleicht eine Professionalisierung der Räume. Früher waren die meisten Initiativen von Künstler:innen angestoßene Zwischennutzungen, während es jetzt mehr feste Orte mit einem bestimmten Profil gibt. Alleine auf der Leipziger Straße sind ganz verschiedene Räume in direkter Nachbarschaft. Die Räume nehmen sich ernster, sie haben verstanden, wie wichtig sie sind.
taz: Man munkelt, Berlin wird bald eine:n neue:n Kultursenator:in haben. Was wäre Ihr Ratschlag an Chialos Nachfolge?
Spoiler: Misch dich unter die Leute. Geh auch privat auf Ausstellungen. Entbürokratisiert die Förderkonzepte, die zum Teil realitätsfremd sind. Wenn sich die Kulturszene diversifizieren soll, dann müssen es auch die Strukturen tun. Das einzige Kapital der Stadt ist Kultur. Joe Chialo hat das nur als Kampfmittel genutzt, um eine politisch-konservative Linie durchzuziehen. Die Leute kommen nicht nach Berlin wegen der Staatsoper, sondern weil sie zufällig in eine Ausstellung reinlaufen können und da gerade eine Performance stattfindet. Die Gesellschaft braucht Kultur als nicht kommerzielle Horizonterweiterung.
taz: Und wo kann man denn beim kommenden Sellerie Weekend am besten seinen Horizont erweitern?
Spoiler: Am besten selbst auf der Website die Map aufmachen und schauen, was einen anspricht oder gerade in der Nähe ist. In der ganzen Stadt ist was los. Im Aktionshaus in Neukölln/Britz gibt es am Freitag essbare Kunst und danach DJ-Tapes. Bei New Fears in Kreuzberg gibt es auch eine große Gruppenausstellung und den ganzen Tag über Performances. Insola Berlin ist ein schwimmender Projektraum in der Rummelsburger Bucht, sicher einen Trip wert. Aber am besten einfach mal auf gut Glück random irgendwo hingehen, wo man noch nie war. Können wir sehr empfehlen. Machen wir auch so.
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