piwik no script img

Van Bo Le-Mentzel über soziale Teilhabe„Ich bin ein totaler Maximalist“

Van Bo Le-Mentzel baut Tiny-Häuser, entwirft Hartz-IV-Möbel, plant Zukunftsdörfer. Vom Gefühl, dass er etwas zurückgeben muss, will er sich befreien.

„Meine Überzeugung ist, dass wir die Stadt viel mehr nutzen sollten“, sagt Van Bo Le-Mentzel, hier bei sich Zuhause Foto: Doro Zinn
Interview von Karlotta Ehrenberg

Verabredet ist, dass Van Bo Le-Mentzel fürs Interview die Pforte seines Zuhauses in Berlin-Kreuzberg öffnen wird. Die fünfköpfige Familie hat sich auf nur 55 Quadratmetern eingerichtet – kleine Räume sind das Spezialgebiet des Architekten und Interior Designers. Van Bo Le-Mentzel fängt mich jedoch schon vor der Tür ab und führt mich in ein Café im Souterrain.

taz: Ich dachte …?!

Van Bo Le-Mentzel: Dieses Café ist mein Wohnzimmer. Da stehen unsere Bücher, und auch meine Hartz-IV-Möbel hab ich hier untergebracht, ich habe dafür keinen Platz, hier werden sie genutzt. Meinen Drucker wollte ich wegen des Feinstaubs auch nicht bei mir haben, jetzt steht er hier, der Cafébetreiber kann ihn für seine Rechnungen benutzen. Diese Frage beschäftigt mich: Wie kann man sich mithilfe seiner Fähigkeiten in der Nachbarschaft vernetzen? Ich mache Möbel, die kann ich anbieten. Andere können kochen, Gesundheitstipps geben oder massieren … oder sie haben ein Grundstück, das sie mir für mein neues Projekt zur Verfügung stellen wollen. Und das „Co-Being House“ teile ich dann wieder. Das ist die Art, wie ich arbeite. Ich bin kein Architekt, sondern ein Kombinator. Ich kombiniere Dinge, die eh schon da sind.

Ich habe noch keine einzige Frage gestellt, aber Van Bo Le-Mentzel sprudelt drauf los, kommt von einem Thema zum anderen, in einer Geschwindigkeit, in der ich kaum mitkomme. Endlich holt er Luft.

Im Interview: Van Bo Le-Mentzel

Die Person

Van Bo Le-Mentzel, Jahrgang 1977, ist Architekt, Designer, DIY- und Bildungsaktivist, Rapper, Autor und ehemaliger Graffitikünstler. Mit dem Team seines gemeinnützigen Unternehmens The Tiny Foundation entwickelt er zurzeit das Konzept des Co-Being-House. Dafür sucht Van Bo Le-Mentzel Sponsoren sowie ein Baugrundstück in Berlin. Dringend benötigt werden auch Spenden für das Obdachlosenprojekt „Not-Hotel“. Van Bo Le-Mentzels Pick-up wurde angefahren und braucht nun eine kostspielige Reparatur. Mehr Infos und Kontakt siehe www.tinyfoundation.org.

Der Tag der Architektur

Am 28./29. Juni 2025 findet bundesweit der Tag der Architektur mit Veranstaltungen und Ausstellungen rund um die Baukunst statt. Aus diesem Anlass wird auch Van Bo Le-Mentzel in seine Wohnung einladen. Informationen siehe www.tag-der-architektur.de. (keh)

taz: Herr Le-Mentzel, fangen wir bitte von vorne an. Sie sind in Berlin-Wedding, im Ortsteil Gesundbrunnen, aufgewachsen und haben damals schon auf engem Raum gewohnt, oder?

Le-Mentzel: Na ja, als Kind hatte ich ja keinen Vergleich. Aber für eine vierköpfige Familie war unsere Dreizimmerwohnung wohl klein. Das Leben fand aber eh draußen statt. Wir hatten einen Hof, da spielten alle Kinder und Jugendlichen. In der ganzen Straße haben wir Verstecken gespielt, auch abends. Das war noch zu Mauerzeiten, der S-Bahn-Tunnel der Linie 1 war noch stillgelegt. Da gab es Wände, Sprühdosen und Langeweile. Kombiniert ergibt das eine Hall of Fame. So nennt man Wände, die man legal besprühen kann. Obwohl, legal war das Graffiti eigentlich nicht, aber es hat auch niemanden interessiert.

taz: Also war schon damals der öffentliche Raum Ihr Wohnzimmer. Was war das für eine Stimmung in Wedding?

Le-Mentzel: Westberlin war ja eine Enklave, wo sich Kriegsdienstverweigerer, Linke und Künstler gesammelt haben, eine Art Aussteigerinsel. Der Gesundbrunnen lag ganz am Rand. Man war hier wie vergessen und verloren, niemand hat sich gekümmert. Und es war heiß, in meiner Erinnerung hat es über dem Asphalt nur so geflimmert. Niemand von unseren Verwandten in Westdeutschland wollte uns hier besuchen.

taz: Wie ist Ihre Familie in Westberlin gelandet?

Le-Mentzel: Meine Eltern haben sich in Laos kennen gelernt, mein Vater ist Chinese und meine Mutter Vietnamesin. Als ich 1977 in Thailand zur Welt gekommen bin, waren sie schon auf der Flucht. 1979 ist meine Mutter mit mir und meinem älteren Bruder nach Deutschland gekommen. Zuerst waren wir in Kulmbach, in einem Asylheim. Und dann hatten meine Eltern Freunde in Westberlin, im Märkischen Viertel. Dort haben wir ab 1985 für ein paar Jahre gewohnt, ehe wir dann in den Wedding gezogen sind.

taz: In Ihren Projekten geht es immer um soziale Teilhabe. Die Tiny-Houses etwa haben Sie nicht als fancy Ferienhäuschen entworfen, sondern damit es sich auch arme Menschen leisten können, in einer teuren Stadt wie Berlin zu wohnen. Hat dieses Lebensthema seinen Ursprung in Ihrer Kindheit?

Le-Mentzel: Ja, wir waren immer sehr arm. Ich komme aus einer klassischen Arbeiterfamilie, meine Eltern haben sehr viel geackert. Mein Vater hatte ein ganz kleines Asia-Geschäft in Neukölln. Abends war er mit seinem kleinen Piaggio-Porter (ein italienischer Kleintransporter; Anm. d. Red.) unterwegs, um Gastronomen und asiatische Privatleute mit Reissäcken zu beliefern. Meine Mutter hat im Dreischichtbetrieb bei Agfa gearbeitet, am Fließband. Beide waren eigentlich nie da.

taz: Da war es gut, dass Sie einen Mentor hatten.

Le-Mentzel: Ja, Eberhard Schwarz. Er arbeitete in einem Jugendprojekt in Friedenau. Da bin ich in meinen Teenagerjahren immer hingefahren, da war die Mauer schon weg und die S1 – die ich früher immer besprüht habe – fuhr da direkt hin. Eberhard Schwarz hat erkannt, dass ich zeichnen kann, dass ich sehr schnell Zusammenhänge entdecke, dass ich musikalisch und ein Bühnenmensch bin. Und er hat mich dann in verschiedene Gruppen gedrängt, so muss man das schon sagen. Also habe ich Musicals geschrieben, habe das Fotolabor geleitet und war bei Jugendreisen dabei. Die hab ich später als Zivildienstleister auch selbst organisiert sowie auch politische Veranstaltungen. Darüber hab ich viel über Öffentlichkeitsarbeit gelernt.

Auf seinem Pick-up hat Van Bo Le-Mentzel das Not-Hotel, ein 2,5-Quadratmeter-Tiny-House, gebaut Foto: Doro Zinn

taz: Auf die Idee, Architektur zu studieren, hat Ihr Mentor Sie auch gebracht?

Le-Mentzel: Ja, wobei ich das Interesse für Architektur erst viel später entwickelt habe. Das Studium habe ich wie das Abitur einfach so gemacht, ohne groß nachzudenken. Während des Studiums habe ich viel Werbung gemacht. Es hat mich interessiert, wie Kommunikation und Öffentlichkeit funktioniert. Meine erste große Aktion war mit Straßenmusikern, die habe ich mit Profis von der Deutschen Oper zusammengebracht für Konzerte in den Stationen der U-Bahn-Line 2. Ich hab viel ausprobiert als Mittzwanziger. Und viel gearbeitet. Damals hatte ich das Ziel, Millionär zu werden.

taz: Ausgerechnet Sie wollten Millionär werden?!

Le-Mentzel: Ja, ich habe Aktien angelegt und hatte eine Beraterin bei der Deutschen Vermögensgesellschaft. Aber das hat nicht funktioniert.

taz: Ich bin deshalb so erstaunt, weil ich dachte, dass Sie dem Geld eher skeptisch gegenüberstehen. Wenn man zum Beispiel an die Sache mit dem Lehrauftrag denkt …

Le-Mentzel: Ja, das war 2015. In dem Jahr hatte ich mir das Geld gecrowdfundet. So ähnlich wie beim bedingungslosen Grundeinkommen habe ich nicht gesagt, was ich damit mache. Es muss okay sein, dass Menschen wie ich Geld bekommen, ohne dass es eine Gegenleistung gibt. Ich musste also keine Erwerbsarbeit leisten und konnte was Sinnvolles machen. Ja, und dann kam der Lehrauftrag an der Hochschule für Künste in Hamburg. Und da ich meine Miete und so schon finanziert hatte, hab ich meinen Studis das bedingungslose Grundeinkommen gegeben und mein Honorar an sie verteilt.

taz: Und das, obwohl Sie oft mit Flauten zu kämpfen hatten – Ihre Hartz-IV-Möbel sind ja nicht zufällig entstanden. Hatten Sie denn gar nicht den Impuls, das Geld zur Seite zu legen, um mal durchatmen zu können?

Le-Mentzel: Ich habe irgendwann erkannt – vielleicht hat das mit meiner buddhistischen Erziehung zu tun –, dass ich die Dinge nicht mitnehmen kann. Also Menschen sterben ja irgendwann. Und wenn du dann 30 bist, dann hast du schon ein paar solcher Geschichten erlebt. Meine Mutter ist gestorben, da war ich 19. Und wenn du dir das bewusst machst, dass das Leben eine vergängliche Sache ist, dann muss dich eigentlich alles, was wie Geld und Eigentum auf die Ewigkeit abzielt, skeptisch machen. Dass ein Bausparvertrag oder Erbe später einmal einen Zweck erfüllt, mag sein. Viel mehr interessiert mich aber, was ich jetzt mit dem Geld tun kann.

taz: Für so eine Haltung braucht man ein starkes Sicherheitsgefühl.

Le-Mentzel: Ich habe schon Existenzängste manchmal, davon bin ich nicht befreit, ich hab ja Kinder. Als meine Frau mit dem dritten Kind schwanger war, habe ich deswegen ein Lehrerstudium begonnen. Es geht auch um die Frage, wovon lebst du, wenn du alt bist. Ich bin ja ein High Performer, ich stoße immer neue Projekte an, und das geht irgendwann nicht mehr in dem Tempo. Trotzdem, das Studium hab ich wieder aufgegeben.

taz: Als Tausendsassa müssen Sie in Bewegung bleiben …

Le-Mentzel: Daraus entsteht ja dann auch immer Geld. Obwohl ich schon gereift bin inzwischen. Früher war alles Spielwiese, ich hab einfach gefreestylt und drauflosgemacht. Wenn mich ein Bettler um Geld gebeten hat, habe ich alles weggegeben, was ich in der Tasche hatte. Heute ist das anders. Den Wendepunkt hat der Bauhaus-Campus gegeben, 2019 durfte ich ein Dorf im Garten des Bauhaus-Archivs gründen. Ein Jahr ging das. Ich bin da mit dieser Einstellung reingegangen, alle können hier bauen, wohnen und sich selbst verwirklichen. Wenn mich jemand in die Pfanne haut, dann kriegt er ein Magengeschwür, dachte ich, das Karma richtet das schon. Wenn jemand also Geld gebraucht hat, dann habe ich gesagt, hier ist meine EC-Karte, geh zum Baumarkt und kauf, was du brauchst.

wochentaz

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

taz: Und das ist dann nach hinten losgegangen?

Le-Mentzel: Tja, das Problem war, dass das Bauhaus-Archiv unter Denkmalschutz steht, ich hatte ganz klare Auflagen. Zwar hatte ich gesagt, wir machen das zusammen, also haften wir auch zusammen. Am Ende habe aber nur ich bezahlt. Und da habe ich verstanden, dass Freiheit einfach nur die andere Seite von Verantwortung ist. Ich kann nicht einfach machen, was ich will. Wenn das einen Schaden verursacht für das Team meines Unternehmens, die Tiny Foundation, oder für meine Kinder, dann ist das nicht fair.

taz: Die Unrast ist aber geblieben. Sie machen ja nicht nur ständig was Neues, sondern auch etliches parallel.

Le-Mentzel: Ja, ich bin wirklich ein Flüchtling. Ich flüchte die ganze Zeit, muss immer unterwegs sein. Auch meine Tiny-Häuser sind ja mobil, sie sind sozusagen das Gegenteil von Immobilien. Warum kann ich nicht wurzeln? Ich weiß es nicht. Aber diese Frage beschäftigt mich gerade sehr.

taz: In Ihrer Wohnung haben Sie aber schon Wurzeln geschlagen, oder?

Die Anspielung zieht – endlich fällt Van Bo Le-Mentzel auf, dass wir immer noch im Café sitzen. Und so wechseln wir in die Zweizimmerwohnung ins Hochparterre. Dank der hohen Altbaudecken hat Van Bo Le-Mentzel aus jedem Raum mehrere gemacht: In der Küche gibt es ein sogenanntes Bettenloft, in den großen Wohnraum wurden zwei gläserne Tiny-Häuser für die beiden großen Kinder integriert. Das zweite Zimmer kann sowohl als Büro als auch Schlafzimmer genutzt werden, zudem gibt es eine abgeschlossene Hochebene für das dritte Kind. Eng fühlt sich anders an.

taz: Wie lange wohnen Sie schon hier?

Le-Mentzel: 16 Jahre. Unsere Vermieter haben uns wegen Eigenbedarf gekündigt, im Sommer müssen wir raus. Wir suchen aber schon länger nach einer Wohnung, meine Frau hätte gern mehr Platz. Das ist so ein Konfliktpunkt zwischen uns.

taz: Wie kommen die Kinder hier zurecht? Solche kleinen Räume müssen ja immer aufgeräumt sein.

Le-Mentzel: Ja, wenn du deinen Tag wie ein Betriebssystem betrachtest, dann brauchst du Arbeitsspeicher, um handlungsfähig zu sein. Sonst kommst du immer wieder in den Zustand der Überforderung. Wir haben hier die 20-Uhr-Regel, um diese Zeit muss der Boden, Tisch und Stuhl frei sein, und die Sachen in den Regalen liegen, wo man sie nicht sieht. Ausmisten müssen die Kinder auch regelmäßig. Das mögen sie nicht – Kinder horten gern –, aber das müssen sie lernen.

taz: Wenn es nach Ihnen ginge, würden Sie wieder in eine kleine Wohnung ziehen, oder?

Le-Mentzel: Ja. Wichtig ist allein, dass man einen Raum hat, den man sein eigen nennen kann. Der muss nicht groß sein, und das muss auch kein Verzicht bedeuten, solang dieser Raum schön gestaltet ist. Ich streite mich da oft mit Kollegen. Für mich darf Architektur nicht einfach funktional sein, sondern soll zum Träumen einladen.

taz: Mit Minimalismus haben Sie also gar nicht so viel am Hut.

Le-Mentzel: Nein, ich bin ein totaler Maximalist. Meine Überzeugung ist, dass wir die Stadt viel mehr nutzen sollten, Parks, Schwimmbäder, Bibliotheken, all dieser öffentliche Raum gehört doch uns. Mein neues Projekt ist das Co-Being-Haus, da bewohnt jeder einen abgeschlossenen Bereich, der in etwa so groß ist wie der meiner Kinder: 3 Quadratmeter zum Wohnen, darüber eine Schlafebene, bei einer Deckenhöhe von 3,40 Meter. Dazu gibt es noch einen kleinen Küchenbereich und ein kleines Bad. Wenn man dazu noch großzügige Gemeinschaftsflächen und die Stadt drumherum hat, reicht das völlig aus. Als Sozialwohnung soll das 100 Euro Miete kosten. Im Idealfall wohnen in diesem Haus aber nicht nur Azubis und Obdachlose. Für die Reichen haben wir die Penthäuser reserviert. Ich nenne das Co-Being-Haus, weil jeder nach seiner Art neben dem anderen existieren kann, Interaktion ist möglich, aber kein Muss.

taz: Immer wieder denken Sie darüber nach, wie Sie Hilfsbedürftige unterstützen können. Für ukrainische Geflüchtete haben Sie ein sogenanntes Baumhaus entworfen, für Obdachlose das „Not-Hotel“.

Le-Mentzel: Ja, das ist ein 2,5-Qudratmeter-Tiny-House auf einem Pick-up. Eigentlich ist es mein Auto, mit dem ich den ganzen Tag rumfahre, ich benutze es dann auch als Büro. Abends kann dann ein Obdachloser einchecken, das „Not-Hotel“ ist Teil der Kältehilfe und wird auch öffentlich gefördert. In unserem Freiwilligenteam sind wir zu acht und teilen uns die Putzschichten.

taz: Woher kommt dieser Drang zu helfen?

Le-Mentzel: Ich habe darauf zwei Antworten: Einmal ist es mir ein Anliegen zu zeigen, dass es für den gesellschaftlichen Zusammenhalt wichtig ist, dass auch einkommensschwache Gruppen einen Platz darin haben. Die andere Antwort ist psychologischer Art. Viele Jahre habe ich mich in Deutschland wie ein blinder Passagier gefühlt, der gar kein Recht hat, hier zu sein. Wir wurden ja nicht politisch verfolgt. Mein Eltern hatten einfach kein Bock auf Tellerminen, die noch aus Zeiten des Vietnamkriegs stammen und in Laos immer noch verstreut sind. Ja, und dann krieg ich jeden Tag in den Medien mit, dass Migration als Mutter aller Probleme gesehen wird, du weißt schon, Remigration und so. Es tut mir weh zu sehen, wie viele Menschen die AfD wählen. Jedes Mal denke ich mir, ich muss diesen Leuten beweisen, dass es okay ist, dass Menschen wie ich hier sind. Und das tue ich auch. Diese ganzen sozialen Projekte sind wie die Begleichung einer Rechnung, die ich begleichen muss, für die Schule und das Studium und die anderen guten Dinge, die ich hier genossen habe. Das war jahrelang wie ein Zwang für mich, ich dachte, ich muss das alles machen, um hier sein zu dürfen.

taz: Es fällt auf, dass Sie in Interviews fast immer sagen, dass Sie der Gesellschaft etwas zurückgeben wollen, schon in Ihrem ersten Interview mit der taz vor 15 Jahren sagten Sie das.

Le-Mentzel: Ich will das auch weiterhin machen, aber aus freien Stücken. Deswegen habe ich für mich jetzt entschieden, dass das auch mein Land, meine Stadt ist. Diese Idee der Aneignung ist vielleicht so was wie eine Therapie. Ich nehme mir die Stadt, um sie zu teilen, aber es ist auch gleichzeitig meine Art, mich selbst reinzuwaschen von einer Schuld, die ich nicht habe, von der ich aber immer dachte, dass ich sie hätte.

taz: Nehmen wir an, die taz führt in 15 Jahren wieder ein Interview mit Ihnen, was wollen Sie dann erzählen können?

Le-Mentzel: Mit all meinen Arbeiten kämpfe ich für eine Gesellschaft, die nicht auseinanderdriftet. Vielleicht wird diese Vision nie erreicht, aber ich träume von einem starken gesellschaftlichen Zusammenhalt. Das ist der Stern, auf den ich blicke.

Eine Ergänzung zu dieser letzten Antwort bekomme ich, als ich mich später durch die Songs der „Bookrappers“ höre – Van Bo Le-Mentzel und sein bester Freund Shai Hoffmann rappen Texte aus Büchern, die ihnen wichtig sind. Einer ist die Gesellschaftsutopie des Soziologen Harald Welzer („Alles könnte anders sein“) entnommen, darin heißt es unter anderem: „Heimat ist dort, wo es nicht egal ist, dass es dich gibt.“ D ie Videos der „Bookrappers“ finden sich hier: youtube.com/hashtag/bookrappers.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare