: „Man muss ein Glas oder eine Flasche nie austrinken“
Surk-ki Schrade ist eine Naturwein-Pionierin. Hier spricht sie über das richtige Maß beim Alkoholgenuss und erklärt, warum sie auf Schwefel im Glas lieber verzichtet

Interview Rainer Schäfer
taz: Frau Schrade, welche Rolle spielt Wein in Ihrem Leben?
Surk-ki Schrade: Eine sehr große. Ich bin in Frankreich aufgewachsen, da gehört Wein zur kulinarischen Alltagskultur. Außerdem handle ich seit 16 Jahren aus Überzeugung mit Naturwein.
taz: Nun enthält Naturwein Alkohol, der, wie die Deutsche Gesellschaft für Ernährung erst kürzlich klargestellt hat, schon in den kleinsten Mengen gesundheitsschädlich ist. Können Sie da überhaupt noch guten Gewissens Wein trinken?
Schrade: Natürlich, und sogar mit großem Vergnügen. Dieses generelle Alkoholbashing, das gerade stattfindet, halte ich für völlig überzogen.
taz: Wieso das?
Schrade: Gute Weine können berühren, Träume und ungewöhnliche Emotionen auslösen. Schon Charles Baudelaire hat die Sinneswandlungen beschrieben, die Wein bewirken kann, die Möglichkeiten der Entgrenzung im Sinnesrausch – was nicht bedeutet, dass man dabei die Kontrolle verlieren muss und soll. Es kommt eben darauf an, wie und was man trinkt. Ich zum Beispiel trinke nur noch Naturwein, alles andere vertrage ich nicht mehr. Da bekomme ich sofort einen Kopf davon, weil ich auf Schwefel empfindlich reagiere.
taz: Ein Problem, das einige Weintrinkerinnen und -trinker betrifft, gerade Allergiker.
Schrade: Es gibt Hinweise, dass Schwefel den Alkoholabbau im Blut verschlechtert. Darauf verweist Isabelle Legeron, die erste Master of Wine Frankreichs, in ihrem Buch. Entscheidend ist für mich die Menge an Sulfiten.
taz: Wie hoch sollte die sein?
Schrade: Bei Wein, egal ob weiß oder rot, sollte sie maximal 30 Milligramm pro Liter betragen, ich orientiere mich bei diesen Empfehlungen am offiziellen Label „Vin Méthode Nature“. Auf Flaschenetiketten wird aber meist nur ausgewiesen, dass der Wein Sulfite enthält – ob es 10 oder 250 Milligramm sind, erfährt man nicht.
taz: Auch manchen Naturweinen wird als einziger Zusatzstoff ein wenig Schwefel zugesetzt …
Schrade: … was in der Szene seit Jahren heftig diskutiert wird. 95 Prozent meiner Kundschaft bestätigen, dass sie Naturweine besser vertragen, die komplett schwefelfrei sind.
taz: Alkohol ist trotzdem drin. Unterschätzen Sie da nicht, dass es eine Suchtdroge mit Gesundheitsrisiken ist?
Schrade: Ich will das Thema Suchtgefahr gar nicht herunterspielen, ich suche in meinem Geschäft immer das Gespräch, gerade auch mit jüngeren Kunden. Ich versuche, bewusst zu machen, was Alkohol ist und bewirkt. Dass Alkohol ein Gift ist, das ist unbestritten und nichts Neues. Wie bei allen Suchtstoffen, kommt es aber auch bei Wein auf einen maßvollen Umgang an. Dafür muss man Disziplin entwickeln.
taz: Aber man kennt die Situation. Eine fröhliche Runde sitzt zusammen und weil es so schön ist, leert sich eine Flasche nach der anderen.
Schrade: Nein, das sehe ich ganz anders! Bei Wein sollte es nie darum gehen, sich damit zu betrinken. Man muss ein Glas oder eine Flasche nie austrinken. Für mich ist das eine der Grundregeln, um Wein verstehen und genießen zu können. In meinen Veranstaltungen und Seminaren mache ich gerne ein Alkohol-Bingo: Man soll erraten, wie viel Volumenprozent ein Wein hat, um einen Bezug dazu zu bekommen. Fühlt eure Körper, spürt wie der Wein wirkt und hört auf, wenn es genug für euch ist.
taz: Man sollte also verstehen, was und wie viel einem gut tut. Sie sagen nun, für den maßvollen Umgang sei Naturwein besser geeignet. Wieso?
Schrade: Naturwein ist nicht günstig, er eignet sich schon deshalb nicht dafür, sich die Kante zu geben. Dann muss für mich ein guter Wein, unabhängig von seiner Machart, nach drei Tagen immer noch die Qualität des ersten Tages aufweisen Das ist ganz wichtig, weil es bedeutet, dass man eine Flasche nicht gleich austrinken, sondern sie über mehrere Tage genießen kann. Und Naturweine haben oft eine höhere Qualität.
taz: Was ist der Unterschied zu einem hochqualitativen konventionellen Wein, der zumeist teurer ist, geschmackvoll und sich über mehrere Tage hält? Den kann man doch auch in Maßen genießen?
Schrade: Auch bei hoher Qualität enthält der konventionelle Wein viel mehr Zusatzstoffe – selbst wenn er in Maßen genossen wird. Naturwein hingegen ist vergorener Traubensaft, bei dem nichts rein- und nichts rauskommt. Solche Weine müssen ohne synthetische Mittel erzeugt werden, die Trauben werden handgelesen, mit natürlichen Hefen spontan vergoren, ungeschönt, ungeklärt, ungefiltert und am besten ohne Schwefelung abgefüllt. Da ist nichts in der Produktion hinzugefügt. Anders bei konventionellen Weinen, da haben wir ein gewaltiges Verbraucherschutzproblem.
taz: Das müssen Sie erklären.
Schrade: Mir geht es um Transparenz. Lange war mir nicht klar, wie viele Verarbeitungsschritte konventioneller Wein hat, und dass viele Zusatzstoffe und Hilfsmittel in der EU nicht gekennzeichnet werden müssen – wie etwa Reinzuchthefen, die den Geschmack formatieren, dazu verschiedene Säuren, Kieselguren, Enzyme und andere Proteine und eben Schwefel –, die im Wein sind oder mit ihm im Prozess in Berührung kommen. Das begriff ich erst, als ich mich 2008 in Marseille zum ersten Mal auf einer Messe mit Naturwein beschäftigte. Ich war wütend, ich will doch wissen, was ich trinke und konsumiere. Danach stand für mich fest, dass ich nur noch Naturweine trinken will. Weil es in Deutschland kaum Naturwein gab, habe ich 2009 meinen Laden in Köln eröffnet.
taz: In Köln veranstalten Sie auch den Weinsalon Natürel. Der war im März gut besucht, die parallel in Düsseldorf abgehaltene ProWein, eine der bislang bedeutendsten Fachmessen, erschreckend schlecht.
Schrade: Wein ist inzwischen eine riesige Industrie mit gewaltigen Problemen, global haben wir eine große Überproduktion und die Verkäufe sinken. Naturwein ist in seiner Nische recht erfolgreich, ohne einen relevanten Marktanteil zu besitzen. In der Lage sehe ich Naturwein im Vorteil.
taz: Woran machen Sie das fest?
Schrade: Weil er für die ist, die bewusster einkaufen. Viele Konsumenten, gerade auch jüngere, wollen wissen, was sie trinken, weil sie verantwortungsvoller mit Alkohol umgehen und ihre Gesundheit schützen wollen. Als ich die Vincaillerie eröffnet habe, war es mein Traum, dass sich das Konsumverhalten ändert, hin zu: Lieber eine gute Flasche Wein trinken als fünf schlechte. Und dieses Umdenken hat eingesetzt! Das hat auch der Weinsalon gezeigt. Ich hatte noch nie ein so interessiertes und gut geschultes Publikum wie in diesem Jahr.
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