Mieterprotest gegen smarte Geräte: Wenn der Rauchmelder spioniert
Der Immobilienkonzern Vonovia will in Göttinger Wohnungen Hightech-Rauchmelder einbauen. Bewohner befürchten höhere Mieten und Spionage.

Knapp 300 Wohnungen im Quartier gehören dem Bochumer Immobilienkonzern Vonovia, der in ganz Göttingen mehr als 1.400 Wohneinheiten besitzt und vermietet. Im Dezember vergangenen Jahres schrieb der Konzern 270 Mietparteien im Blümchenviertel an und kündigte an, dass der Energiedienstleister Techem in ihren Wohnungen neue Rauchwarnmelder „Multisensor Plus“ installieren werde.
Diese böten mehr Sicherheit, mehr Komfort und eine ganze Reihe technischer Zusatzfunktionen und Neuerungen gegenüber den alten Modellen, verspricht Vonovia in einer Broschüre. So warne die nun in die Geräte eingebaute „intelligente Technik“ beispielsweise vor dem giftigen, farb- und geruchlosen Gas Kohlenmonoxid (CO). Dank „integriertem Assistenzlicht“ fänden die Mieter im Alarmfall auch bei Dunkelheit sicher den Weg aus ihrer Wohnung. Und, als besonderer Clou: Der „Alarmton wechselt zwischen zwei Frequenzen.“
Keine Kontrolle über erfasste Daten
Größtenteils handele es sich dabei um überflüssigen Schnickschnack, meint hingegen die Initiative „Weststadt solidarisch“. Die seit einem Jahr bestehende Gruppe organisiert die Proteste gegen die neuen Rauchmelder. Die CO-Warnfunktion etwa sei völlig sinnfrei: „Wenn man Kohlenmonoxid an der Zimmerdecke messen kann, wo die Rauchmelder hängen, ist man doch längst tot.“
Besonders stört die Aktivisten das von Vonovia angepriesene „Raumklimamonitoring direkt in der App“. „Wir haben keine Kontrolle darüber, was mit den erfassten Daten geschieht oder wer darauf zugreifen kann“, sagt Nita Chakraborty von „Weststadt solidarisch“. „Was ist, wenn Vonovia die Daten nutzt, um beispielsweise Kosten für Schimmelbeseitigung auf uns Mieter abzuwälzen?“
Indem die Rauchmelder die Luftfeuchtigkeit messen, lasse sich auf das Lüftungsverhalten und die Anwesenheit von Personen in der jeweiligen Wohnung schließen, so Chakrabortys Mitstreiter Yannick Krooß. „Sie bekommen dadurch Einblick in den ‚Safe Space‘ unserer Wohnungen.“ Sie – das sei neben Vonovia und Techem auch Microsoft, das für die Technik in den Meldern verantwortlich zeichne.
Zusätzliche Kosten für die Mieter
Zudem brächten die neuen Rauchmelder für die Mieter zusätzliche Kosten mit sich, im Schnitt etwa 5,50 Euro monatlich. Das ist eine Mieterhöhung von 65 Euro pro Jahr, hat „Weststadt solidarisch“ ermittelt. Das sei „nicht nichts“ für die nicht gerade als wohlhabend geltende Klientel des Quartiers. „Aber für Vonovia sind das 17.000 Euro jährlich allein im Viertel. Die Kosten für die Geräte seien schnell gedeckt, „danach macht der Konzern reinen Gewinn“.
„Es sollen ja funktionstüchtige Melder ausgetauscht werden“, unterstreicht Yannick Kroos die Kritik. Und zwar im Rahmen einer Modernisierung, nicht etwa als Instandhaltungsmaßnahme – „in dem Fall müsste Vonovia nämlich selbst zahlen“.
Das Immobilienunternehmen macht eine etwas andere Rechnung auf. „Die Mietanpassungen, wenn eine Wohnung mit vier Geräten ausgestattet wird, beträgt rund drei Euro pro Monat“, sagte Vonovia-Sprecherin Caroline Sorgenicht der taz. „Wenn es weniger Geräte, also Räume sind, dann weniger, bei mehr Geräten mehr.“ Man setze sich dafür ein, dass sich die Mieter keine Sorgen wegen steigender Mieten machen müssten, „uns ist wichtig, dass unsere Wohnungen auch bei Veränderungen der Miete bezahlbar bleiben“.
Mieter wollen standhaft bleiben
Auch habe Vonovia in dem Ankündigungsschreiben „zu dieser Modernisierungsmaßnahme“ auf die Möglichkeit hingewiesen, einen Härteeinwand gegen die Mietanpassung geltend zu machen. „Sofern ein persönlicher oder finanzieller Härtegrund vorliegt, finden wir gemeinsam mit unseren Mieterinnen und Mietern eine individuelle Lösung“, verspricht Sorgenicht.
Im Januar legten knapp 100 Mietparteien Widerspruch bei Vonovia ein. „Wir widersprechen der Montage der ‚Multisensor Plus‘-Geräte in unseren Wohnungen und erheben rechtliche Einwände gegen die Zulässigkeit des Einbaus“, heißt es darin. „Solange die Sach- und Rechtslage nicht eindeutig und lückenlos geklärt ist, behalten wir uns vor, die Durchführung des Einbaus nicht zu dulden. Dies beinhaltet insbesondere den Zutritt der Handwerker zur Montage der Geräte in unseren Wohnungen.“
Von Vonovia gibt es bislang keine Reaktion auf die Widersprüche. Als sei nichts gewesen, kündigte das Unternehmen den ersten Mietern Montagetermine für Ende März an. Betroffene und „Weststadt solidarisch“ reagierten daraufhin mit einer Kundgebung – mehrere Dutzend Menschen versammelten sich am 24. März trotz Regens in der Straße Rosenwinkel, um gegen den Einbau der Rauchmelder zu protestieren. Die „Rote Karte“ klebt mittlerweile an 140 Hauseingängen im Blümchenviertel. Nachdem die Techniker vergeblich an Türen geklingelt hatten, hätten erste Mieter jetzt für Mitte April einen zweiten Termin genannt bekommen, berichtet Krooß. „Aber wir wollen standhaft bleiben.“
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