Jahresbericht zu Todesstrafen: Immer mehr Hinrichtungen weltweit
Es ist die höchste Zahl an Hinrichtungen seit 2015, warnt Amnesty International in ihrem Jahresbericht. Insbesondere in Iran nehmen die Fälle zu.

Etwa zwei Drittel dieser Exekutionen wurden in Iran vollstreckt. Mehr als 972 Menschen wurden dort hingerichtet. Damit ist das Land für einen Großteil der weltweit registrierten Hinrichtungen verantwortlich – und steht vor allem wegen der drastisch gestiegenen Zahl von hingerichteten Frauen im Fokus. Nur China dürfte mit Tausenden nicht veröffentlichten Exekutionen noch mehr Menschen getötet haben.
637 der weltweit registrierten Hinrichtungen standen im Zusammenhang mit Drogendelikten – allein in Iran waren es 505, mehr als die Hälfte aller Exekutionen dort. In Iran wurden außerdem mindestens vier Menschen öffentlich hingerichtet und vier für Taten, die sie als Minderjährige begangen haben sollen.
Von den Hingerichteten in der Islamischen Republik waren außerdem mindestens 30 Frauen. Es ist die höchste bekannte Zahl seit 2010 – und mehr als in jedem anderen Land. Viele der betroffenen Frauen waren selbst Opfer – von Kinderehen, sexualisierter Gewalt, häuslicher Misshandlung. In vielen Fällen war der Mord, für den sie später verurteilt wurden, ein letzter Ausweg aus jahrelangem Missbrauch.
Politische weibliche Gefangene erstmals verurteilt
Sie stammten häufig aus Minderheiten, waren jung, wirtschaftlich abhängig und hatten vor Gericht kaum Chancen auf faire Verfahren. Zum ersten Mal nach 15 Jahren werden auch wieder Frauen mit politischen Anklagepunkten zum Tode verurteilt. Das sei „eine neue Stufe der Eskalation“, erklärt Mariam Claren von der Menschenrechtsorganisation Háwar.help. „Dies ist ein Akt der Rache an Frauen, die die Speerspitze des Widerstands gegen das Regime bilden.“
Derzeit droht unter anderem der kurdischen Aktivistin Verisheh Moradi die Hinrichtung. Ihr Leben, erzählen Wegbegleiter*innen, sei „ein Kampf an jeder Front“ gewesen. Ehemalige Mitgefangene erzählen über Moradi, „einer außergewöhnlich mutigen und verletzlichen Frau begegnet zu sein“.
Moradi wurde 1985 in der größten kurdischen Stadt in Iran Sanandaj geboren. Schon als Kind war sie Diskriminierung ausgesetzt – als Mädchen in einer patriarchalen Gesellschaft und als Kurdin unter einem repressiven Regime.
Trotz der Widerstände engagierte sie sich für andere: Sie arbeitete mit Organisationen zur Suchtprävention, unterstützte Waisenfamilien und gefährdete Gemeinschaften in Iran, etwa bei der Hilfsorganisation Roter Halbmond. Später schloss sie sich der „Free Women’s Society of Eastern Kurdistan“ (KJAR) an, wo sie für Frauenrechte kämpfte – und schließlich gegen den sogenannten Islamischen Staat (IS). 2014, während des IS-Vormarschs auf Rojava, verließ sie ihre Heimat, um sich dem Widerstand in Kobane anzuschließen. Dort erlebte sie den Krieg in all seiner Brutalität.
Sie verlor viele ihrer Freundinnen und trug ihre Leichen selbst vom Schlachtfeld, um sie vor der Entweihung durch IS-Kämpfer zu bewahren. „Kobane war ein Ort, an dem göttliche, menschliche und moralische Prinzipien aufgehoben waren“, sagte sie später.
Moradi sitzt in Haft
Im September 2023 kehrte sie nach Iran zurück und wurde kurz darauf verhaftet. Vier Monate lang blieb ihr Aufenthaltsort unbekannt. In dieser Zeit war sie Opfer des „erzwungenen Verschwindenlassens“, erlitt schwere körperliche und psychische Folter. Sie ist derzeit im Evin-Gefängnis inhaftiert, ihr Gesundheitszustand verschlechtert sich täglich. Nun droht ihr die Hinrichtung.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Unmut in der CDU
Merz muss sie vor den Kopf stoßen
Kritik an ARD und Didi Hallervorden
Das träge und schwerfällige Walross
Parteichef unter Druck
Lokale CDU-Verbände kritisieren Merz
Stromverbrauch explodiert durch Hitze
Erneuerbare auf Rekordhoch, Emissionen auch
Börseneinbruch nach Trump-Zöllen
Zu früh für Panik – Crash ist nicht gleich Crash
Kindererziehung nach Trennung
„Das Finanzamt benachteiligt Nestmodell-Eltern“