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„Nosferatu“ am Theater BraunschweigDem Bösen fehlt der Biss

„Nosferatu“ wirkt in Braunschweig reichlich blutarm: Ohne den Zauber des Unheimlichen zu wecken, verharrt das Bühnen-Remake im solide Zombiehaften.

Sie könnte eine Poetin des Blutdursts sein. Doch Ana Yoffe bleibt in der Titelrolle leichenblass Foto: Fotos: Thomas M. Jauk/Stage Picture

Mal wieder angstlustvoll gruseln, während eine Popkultur-Ikone neu ausgeleuchtet und in einer kritischen Hommage hinterfragt wird? Jedenfalls ist Neugier geweckt: Das Staatstheater Braunschweig macht mit Friedrich Murnaus „Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens“ (1922) einen der einflussreichsten Filme der Kinogeschichte zum Thema, nachdem gerade Robert Eggers mit seiner Neuverfilmung des Horrorklassikers gescheitert ist. Was kann nun Theater besser als die Projektion des Originals oder das zeitgenössische Horrorkino zum unsterblichen Vampir-Boom beitragen?

Angekündigt ist ein Hybrid aus Konzert, Videoinstallation und Schauspieltheater. Das präsentiert sich sujet­gemäß so anämisch wie mimisch-übertreibend dabei, Stummfilmvorbilder zu Sprechtheaterfiguren zu entwickeln.

Zumindest Gertrud Kohl gewinnt dabei als van Helsing auch charakterliches Profil. Verzweifelnd genervt ist sie als Vertreterin wissenschaftlicher Rationalität vom Zustand der Welt, führt mit zynischen Kommentaren durch die Handlung und erforscht nebenher Bluthungrige wie den Insekten und Vögel mampfenden Renfield. Sind das Menschen, Tiere, Dämonen?

Zur Erkundung bricht die Inszenierung von Christoph Diem wie der Film mit dem karrieregeilen Makler Hutter auf in die Karpaten und will bei Graf Orlok, Nosferatu, die Unterschrift für einen Immobilienkauf abholen. Also ein gutes Geschäft machen. Was zu einer schön schrägen Sache wird, weswegen wohl auch die Bühne als Schräge hergerichtet ist. Auf der illustrieren Videos die wechselnden Spielorte, zeitgeraffte Landschaften, ansonsten auch gern Filmschnipsel und -zwischentitel, später dann Orloks Pest bringende, indes niedlich wirkende Ratten.

Das Stück

Nosferatu, Staatstheater Braunschweig, Kleines Haus. Wieder vom 26. bis 29. 3. sowie vom 9. bis 13. 4. täglich, jeweils 19.30 Uhr, und am 30. 3., 18 Uhr. Weitere Vorstellungen: 7., 9. und 10. 6., 19.30 Uhr, sowie 8. 6., 18 Uhr

Um Bewegung auf die Bühne zu bekommen, wird die Schräge von Lebenden, Sterbenden und Toten auf alle möglichen Arten zum Hochkrabbeln und Runterrutschen genutzt. Dass der so betobten Videoinstallation eine künstlerische Auseinandersetzung mit der Ästhetik des surrealen Filmexpressionismus gelingt oder grundsätzlich mit der Bewegtbilderkunst oder dem Vampirismus, kann leider nicht behauptet werden.

Erfreulich, dass nicht klischeehaft Gothic Pop erklingt, sondern angerauter Indie-Rock

Aber mit ihr gewinnt der Abend an visueller Attraktivität. Optisch ist in Braunschweig alles viel hübscher als im Film, leider auch steriler. Wenn Ellen zwischen Grabsteinen und Meer hockend auf die Rückkehr ihres Gatten Hutter wartet, gelingt Murnau düsterromantisch-metaphorische Stimmungsmalerei, die den Gemütszustand der darin gefangenen Frau abbildet. Auf der Bühne ist das nachgebaute Setting nur ein hell ausgeleuchtetes, stimmungsloses Zitat. Wie auch die markanten Schattenwürfe des Filmvampirs vorkommen, aber dramaturgisch funktionslos bleiben.

Dabei ließe sich „Nosferatu“ mehr als 100 Jahre nach der Uraufführung auch inhaltlich kommunizieren. Der Film ist entstanden aus dem Schrecken angesichts der Leichenberge von Erstem Weltkrieg und Spanischer Grippe, kann auch als Vorahnung der Wirtschaftskrise und Tyrannei des Nationalsozialismus gelesen werden, als Spiegel der verunsicherten Weimarer Republik – wie auch unserer heutigen: Sind doch in Europa schon wieder mehr als 100.000 Kriegsopfer zu beklagen, Pandemieerfahrungen noch höchst präsent, Inflation und Rechtsruck bedrängen den Alltag. Aber so den Stoff ins Hier und Heute zu holen, versucht die Regie ebenso wenig wie ihn als Allegorie in der Schwebe zu halten.

Erfreulich, dass nicht klischeehaft Gothic Pop erklingt, sondern angerauter Indie-Rock, dargeboten von einem Quartett um Komponist/Sänger Pär Hagström, das auch Klänge des Bangemachens und Erschreckens einstreut. Die Mu­si­ke­r:in­nen spielen die in Textlücken hineingeschriebene Rockband-Rolle, servieren Song für Song in braver Lautstärke dem sitzenden Publikum, aber mit einem interaktiven Live-Konzert hat das kaum etwas zu tun.

Nosferatu ist mit Ana Yoffe weiblich besetzt, schwarz kostümiert, leichenblass geschminkt, mit Teufelskrallen ausgestattet. Eindrucksvoll. Sie könnte Verführerin sein, Poetin des Blutdurstes, Weltvernichterin, im Untod gefangene Einsame, oder, oder, oder. Aber sie agiert nur solide zombiehaft, ohne den Zauber des Unheimlichen.

Die gesamte Aufführung hat zum Assoziationsquell des Stoffes einfach kaum etwas zu sagen, kommt nicht an die Figuren, Themen und auch nicht an die ahnungsvoll verdichtete Atmosphäre drohenden Schreckens heran. Denn Nosferatu schließt den Menschen ihre dunklen Seiten auf und lässt Zerstörungskräfte frei. Das Böse. Die Inszenierung aber bleibt Stückwerk, eine lässige, wenn auch aufwendige Tändelei.

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