: „Alle wollen, dass wir aufgeben“
Nach drei Jahren Ukrainekrieg sieht die Situation alles andere als rosig aus – sowohl für die Flüchtlinge hier als auch für ihr Heimatland im Krieg. Zu Besuch bei Frauen der Gruppe „Uktak“ in Schöneberg
Von Susanne Memarnia
Die Situation der Ukraine ist ein bisschen wie die der ukrainischen Flüchtlinge in Deutschland, findet Ksenia Gashchak: Beide wollten unabhängig sein, aber man lasse sie nicht. Der Westen gebe der Ukraine zu zögerlich und zu wenige Waffen. Der deutsche Staat wiederum gebe den Flüchtlingen zwar Bürgergeld und andere Unterstützung, aber keine Möglichkeit, sich eine Zukunft aufzubauen. „Ob Wohnung, Arbeit, Sprachkurs, medizinische Versorgung: hier ist alles bürokratisch und kompliziert.“
Die 29-Jährige steht mit vier anderen Ukrainerinnen um U-förmig zusammengeschobene Schultische in Raum 008 der früheren Teske-Schule in Schöneberg. Die Frauen tragen Gastro-Hauben und Einmalhandschuhe und bereiten Varenyky zu, ukrainische Teigtaschen, gefüllt mit einer Kartoffel-Zwiebel-Mischung. Sie gehören zur Gruppe Uktak – Uk steht für Ukraine, Tak bedeutet „Ja“ –, einem Projekt von „Schöneberg hilft“. Eigentlich treffen sie sich im Interkulturellen Haus in der Geßlerstraße, wo es auch eine Küche gibt. Doch die wird gerade renoviert und so müssen sie in die Ex-Schule ausweichen, wo „Schöneberg“ hilft – neben VHS, Musikschule und anderen – zwei Räume bespielt.
Im Nebenraum hat Ksenia Gashchak eine mannshohe Gefriertruhe aufgestellt, dort werden die Varenyky und anderes vorbereitetes Essen tiefgefroren, bis es gebraucht wird. „Jetzt stehen einige Events an“, erklärt sie: Das Screening des ukrainischen Dokumentarfilms „Meme Wars“ am 29. März, das Vor-Osterfest, die „Brotmesse“, dann kommt Ostern, im Frühsommer das Nachbarschaftsfest am Rathaus Schöneberg. Bei allen Veranstaltungen verkauft Uktak das Essen gegen Spenden.
Es war kurz nach Beginn des Ukrainekrieges vor drei Jahren, als „Schöneberg hilft“ im Interkulturellen Haus einen „Infopoint“ eröffnete für Neu-Berliner, vor allem für Ukrainer. Hier gibt es Hilfe in mehreren Sprachen, um sich in der Bürokratie zurechtzufinden. So wurde das Interkulturelle Haus ein Treffpunkt für Ukrainerinnen, die Gruppe „Uktak“ entstand, in der zunächst vor allem gemeinsam gekocht, Erfahrungen ausgetauscht, Deutsch gelernt wurde. Daraus haben sich verschiedene „Clubs“ entwickelt, erklärt Gashchak, die von Beginn an dabei ist. Manche kümmern sich um den Interkulturellen Garten, eine Frau malt jede Woche mit Kindern, eine andere organisiert einen Strickclub, in dem aus gespendeter Wolle etwa Socken für die Soldaten entstehen. Jeden Samstag schickt Uktak Lastwagen mit Spenden für die Front los, darunter Rollstühle, Verbandskästen, Kerzen.
Mit dem „Event-Koch-Club“ würde sich Gashchak, die in Lwiw Sozialarbeit studiert hat, gerne selbstständig machen und eine GmbH für Eventgastronomie gründen. „Es wäre schön, richtiges Geld zu verdienen und Lohn zahlen zu können“, sagt sie. Bisher arbeiten die Frauen ehrenamtlich, nur Gashchak bekommt als Projektleiterin von Uktak einen Minijob bezahlt, finanziert über den Integrationsfonds des Bezirks. Dafür arbeitet sie sechs Tage die Woche quasi Vollzeit: kauft ein, koordiniert die Gruppen, schließt Räume auf und ab, fährt Leute hin und her.
Doch der Weg in die Selbstständigkeit ist steinig. Seit einem halben Jahr suche sie vergeblich nach geeigneten Räumen, erzählt die junge Frau. „Aber wenn die Miete mal stimmt, verlangen die Leute einen horrenden Abschlag für alte Einrichtung.“ Dazu komme noch das Geld für die Kaution, 25.000 Euro Startkapital zur Gründung einer GmbH – „und dann die vielen Vorschriften, diese Bürokratie“, stöhnt sie.
Und nicht nur die Schwierigkeiten beim Fußfassen in Berlin machen sie manchmal müde. Auch ihr Fazit nach drei Jahren Krieg ist bedrückend, vor allem nach dem Cut der Waffenlieferungen aus den USA. „Alle wollen, dass wir aufgeben“, sagt Gashchak und meint beides: die Ukraine ihren Kampf um Unabhängigkeit, die Flüchtlinge ihr Streben nach Selbstständigkeit. „Das Jobcenter will, dass man jede Arbeit annimmt, egal was, auch wenn man studiert hat. Aber wir möchten nicht irgendeinen Job für den Gewinn anderer machen, wir wollen selbstständig sein. So wie die Ukraine nicht von Russland ausgebeutet, sondern unabhängig sein will.“
Auch den anderen Frauen ist der Eklat von Washington mit der Demütigung von Präsident Wolodymyr Selenskyj im Oval Office noch sehr präsent. Nadja* ist diplomatisch und erklärt ihre Dankbarkeit für die bisherige Hilfe durch die USA. Sofia* ist verunsichert: „Trump ist unberechenbar, wir wissen nicht mehr, was wir von Amerika erwarten können.“ Aleksandra* ist es wichtig zu betonen: „Dass unser Präsident nicht im Anzug kam, hat nichts mit Respektlosigkeit zu tun.“ Die Kleidung Selenskyjs, der stets ein olivgrünes oder – wie in Washington – schwarzes T-Shirts trägt, sei vielmehr ein Zeichen, „dass wir in Not sind“.
Alle Frauen sind sich einig: Europa ist jetzt allein und kann und muss es trotzdem schaffen, Russland aus der Ukraine zu drängen. „Heute sind wir es. Aber wenn wir nicht gewinnen, seid ihr morgen dran! Dann wird es wie Orwells 1984“, befürchtet Gashchak. Darum müsse Deutschland jetzt einfach mehr Waffen liefern. „Wir können uns dann schon verteidigen, wir sind es gewohnt.“ Bei dem Gedanken an die vielen Freunde, die sie schon im Krieg verloren hat, füllen sich ihre Augen mit Tränen, doch sie reißt sich zusammen und unterdrückt das Weinen. „Die Frage ist: Könnt ihr das auch?“
Zur Illustration, was genau sie meint, holt sie aus dem Nebenraum zwei selbst gegossene Kerzen in alten Dosen, eine kleine mit einem Docht aus Pappe, eine große mit drei Dochten. Wegen der kriegsbedingten Stromausfälle, erklärt sie, kochten viele Menschen in der Ukraine mit solchen Kerzen. „Wir könnten euch beibringen, wie man solche Kerzen herstellt und wie man darauf kocht. Das ist seit drei Jahren unser Alltag. Aber ich wäre glücklich, wenn ihr so etwas nie brauchen würdet.“
*Name geändert
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