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Die Kunstkacke ist am Dampfen

In Johan Simons Regie hat Alfred Jarrys „Ubu“ am Thalia-Theater in Hamburg seine unerbittlich vulgäre Herrschaft errichtet. Politische Schärfe entwickelt der Abend nicht

Immer wieder dominieren Sascha Kühnes Videobilder den Theaterraum Foto: Armin Smailovic/Thalia Theater

Von Katrin Ullmann

Sie ist die „Wissenschaft der Wissenschaften“, die ’Pataphysik, korrekt geschrieben mit vorauseilendem Apostroph. Oder wie es 1893 ihr Erfinder Alfred Jarry auch formulierte: „die Wissenschaft der imaginären Lösungen“ oder „die Berechnung der Oberfläche Gottes“. Hier sind alle Dinge vom Zufall bestimmt, hier – patati, patata – scheitert jede Eindeutigkeit.

Auch Vater und Mutter Ubu sind ’Pataphysiker. In Jarrys „König Ubu“, dessen Uraufführung 1896 als Skandal in die Theatergeschichte einging. Dieser Ubu ist der Archetyp des Wutbürgers und blutrünstigen Massenmörders. Er ist ein obszöner, gefräßiger, vulgärer Tyrann. Der Verfasser selbst, ein Punk avant la lettre, hat sich in seinem kurzen Leben selbst mehr und mehr als Ubu inszeniert. Das bekannteste Zitat des gleichnamigen Stücks fällt gleich zu Beginn mit „Merdre!“, „Scheitze!“ Dann folgt ein Attentat, eine Thronübernahme, eine Gewaltherrschaft – und schließlich eine Flucht. Zum Anfangsimpuls à la Macbeth kommt später noch eine Prise Hamlet hinzu und ... sehr viel Sprachverqueres.

Ein Mash-up, ein Medley, ein Fest für Intertextualist*innen. Weithin gilt „König Ubu“ als Geburtsstunde des modernen Theaters. Da­da­is­t*in­nen und Sur­rea­lis­t*in­nen beriefen sich darauf, erst recht Ver­tre­te­r*in­nen des absurden Theaters. Aufgeführt wurde das Stück bis vor zehn Jahren eher selten. Johan Simons hat es am Thalia-Theater auf die Bühne gebracht, mit Marina Galic als Vater und Jens Harzer als Mutter Ubu

Ubu, Thalia-Theater Hamburg, wieder am 19. und 27. 3. sowie am 11. und 12. 4. , jeweils 20 Uhr

Über ein Live-Video-Triptychon sieht man das machtgierige Paar in einem kleinen weißen Raum mit toten Tieren, Puppen und abgehackten Gliedmaßen spielen, sieht es Blut schlürfen und kunstkacken, kochen und kichern, hört es pöbeln, singen und furzen. Die Figuren sind grob und grell gezeichnet: mit Schnäuzer und vorgespanntem Bauch die eine, mit strähniger Blondhaar-Perücke und knappen Faltenröckchen die andere (Kostüme: ­Katrin Aschendorf).

„Enthirnen, Ohren stutzen, töten!“

Vater Ubu hat einen in sich schlüssigen Plan

Eingangs und immer wieder an diesem Abend wird der eigentliche Theaterraum von drastischen Filmbildern (Video: Sascha Kühne) dominiert. Da ist die Hexenküche der Ubus nicht nur ein kunstaktionistisch bespielter White Cube, sondern auch ein Hinterzimmer der Macht, in dem menschenverachtende Pläne geschmiedet und grausame Fantasien mit Stoffpuppen und toten Hasen bebildert werden: „Enthirnen, Ohren stutzen, töten!“ Hämisch schaffen die Ubus bald alles ab, Politik, Wissenschaft und Justiz, Kultur, Kunst und Kritik. Blutverschmiert schleppen sie Lappen, Lumpen und Drecksbrühe aus ihrem Labor, füllen damit „die Versenkung“, ein Loch im tiefschwarzen, restlichen Bühnenraum. Überzeichnet ist ihr Spiel dabei, poltert zwischen Mensch gewordenem Puppentheater und enervierend clownesker Groteske. Verweise auf die gruselige Gegenwart sind selbstredend.

Im Hinterzimmer der Macht wird grausam mit Tieren gespielt Foto: Armin Smailovic/Thalia Theater

Später kommen mit Lisa Sommerfeldt, Pascal Houdus, Thomas Loibl drei weitere Spie­le­r*in­nen hinzu und auch noch ein grollender Braunbär (Paul Smollich). Dann wird über die Jagd philosophiert, recht hilflos aus Knausgards „Sterben“ zitiert, im aufkommenden Sturm umhergeirrt und kurz die Tricolore geschwenkt. Vermutlich sollen diese zusammenhanglosen Szenen nun die Flucht der Ubus nach Frankreich erzählen. Musikalisch untermalt mit Jacques Brels Chansons – dem französischsten aller flämischen Belgier. Langatmig plaudern die Spie­le­r*in­nen über Warteschlangen, Ameisen und übers Tieftauchen. Würfeln Entscheidungen herbei und verharren dann doch auf der Stelle.

Nicht nur die recht schwachen, hinzugefügten Texte laufen zäh ins Leere, sondern bald auch das Spiel und der anfängliche Schrecken der Veranstaltung. Veralberte Kleinst-Szenen mit Kaffee, Braunbär und ’Pataphysik-Palaver machen den Abend zunehmend ziel- und zahnlos, kasperlnd-pubertär und anstrengend selbstbezogen. Eine freundlichere Formulierung definierte solch hermetische Pose als L’art pour l’art, deren Codes nur Eingeweihte kennen. In diesem Fall – patati, patata – alle ’Pataphysiker*innen.

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