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Linkspartei nach der BundestagswahlDie Neuen in der alten Linken

Keine Partei hat derzeit so viel Zulauf wie die Linke. Mehr als 100.000 Mitglieder gibt es bundesweit. Doch ist der Hype nach der Wahl bald vorbei?

Da war noch Wahlkampf: Die Linke mit „Silberlocke“ Bodo Ramelow am Mikro in Leipzig im Februar Foto: Wolfgang Maria Weber/imago

Auf Tiktok sieht Noel Kosmann kurz vor der Bundestagswahl ein Video darüber, wie das mit dem Mitgliedsantrag bei der Linken läuft. Welche Möglichkeiten Mitglieder haben, sich einzubringen? Die 23-Jährige macht in Leipzig eine Ausbildung zur Heilpraktikerin, hat schon mehrfach die Linke gewählt und findet die Ziele der Partei gut: niedrige Mieten, niedrige Preise, soziale Gerechtigkeit. Aber eine Parteimitgliedschaft? „Irgendwie habe ich das gar nicht als Möglichkeit gesehen“, so erzählt es Kosmann später. Aber neuerdings hat sie auch das Bedürfnis, etwas zu verändern, sich selbst im Kampf gegen den Faschismus zu engagieren, wie sie sagt. Prompt füllt Kosmann am Handy den Antrag aus und schickt ihn ab.

Keine andere Partei verzeichnete in den vergangenen Wochen so viele Eintritte wie die Linke. Seit vergangenem Jahr hat sich die Mitgliederzahl fast verdoppelt auf bundesweit mehr als 100.000. Noch im Januar galt die Linke als politisch irrelevant – dann bekam sie bei der Bundestagswahl 8,77 Prozent der Stimmen und gewann sechs Direktmandate. Mit betont fröhlichem Optimismus, neuer Geschlossenheit sowie der Wahlwerbung an Haustüren und auf Social Media hat die Partei einen regelrechten Hype erzeugt.

In Leipzig zeigt sich das besonders deutlich. Bei der Wahl am 23. Februar bekam die Linke hier mit 22,5 Prozent den höchsten Stimmenanteil und gewann im Leipziger Süden das Direktmandat. Dem Stadtverband gehören aktuell mehr neue als alte Mitglieder an: Im vergangenen September hieß es stolz, die Partei habe die „2.000er-Marke geknackt“. Inzwischen steht sie bei rund 4.600 Mitgliedern. In Sachsen ist die Zahl von 6.900 im Januar auf mittlerweile 10.000 Neumitglieder angewachsen – mehr als jede andere Partei im Freistaat.

Sie wirbt im Freundeskreis für die Linke

Noel Kosmann hat sich in Leipzig während des klassischen Wahlkampfs noch nicht aktiv beteiligt. „Plakatieren mit Unbekannten, das wäre für mich doch irgendwie ein zu starker Einstieg“, erklärt sie. Stattdessen spricht sie mit Familie und Freun­d:in­nen über Politik, wirbt dabei für die Linke. Erst nach der Bundestagswahl besucht sie Anfang März eine Parteiversammlung: das Treffen des Stadtbezirksverbands Leipzig Südost.

An einem Donnerstag kurz nach 19 Uhr hat sich ein halbes Dutzend Linkenmitglieder auf dem Fußboden eines großen Wohnzimmers niedergelassen, weil Couch und Stühle voll besetzt sind. 36 von ihnen haben sich in diesem Dachgeschoss versammelt. Bisher traf sich die Linke im offenen Stadtteilbüro eine Straße weiter. Aber der Raum dort wäre nun zu klein, weshalb schnell eine Alternative her musste. Zwei Ge­nos­s:in­nen boten ihr privates Wohnzimmer an. Auch dort wird es nun fast zu eng.

Mit lockeren Gesprächen vertreiben sich die Linken die Zeit. Begrüßen, lachen, diskutieren. Noel Kosmann freut sich, dass sie nicht die einzige Neue ist. „Es ist ja oft schwierig, in so feste Gruppen hineinzukommen.“ In der Mitte des Raums stehen Getränkekisten, Erdnussflips und veganer Fanta-Kuchen. Zwei Katzen streifen durch das warm beleuchtete Wohnzimmer, holen sich Streicheleinheiten ab. Dann eröffnet Linke-Stadträtin Olga Naumov das Treffen. Sie freue sich über die vielen Leute – vor nicht mal einem Jahr wären sie bei solchen Versammlungen noch zu viert gewesen.

Der Jüngste ist 16, die Älteste 76 Jahre alt

Zu Beginn stellen sich erst mal alle vor: eine studiert, ein anderer arbeitet als Software-Entwickler, der nächste als Erzieher, eine weitere gar nicht. Der Jüngste ist 16 Jahre alt, die Älteste 76. Ein paar sind schon lange in der Linken, andere wurden zur Bundestagswahl im Februar Mitglied.

Mit in der Runde sitzt Malte-Philipp Krause. Wegen seiner Katzenhaarallergie hat der 22-Jährige gerötete Augen. Damit er trotzdem beim Treffen dabei sein kann, nimmt er Tabletten. Er wuchs in der Nähe von Nordhausen in Thüringen auf und studiert Wirtschaftsinformatik in Leipzig. Politisiert habe er sich eher stückweise. „Das war kein aktiver Prozess, eher ein schleichender.“

An den Abend, an dem er Linkenmitglied wurde, erinnert sich Krause so: Anfang Januar habe er eine politische Sendung auf seinem Laptop geschaut. Da kam ihm der Gedanke, wie das denn mit dem Parteieintritt so funktioniere. Krause habe die Website der Linken geöffnet, den Antrag ausgefüllt und abgeschickt. „Ich wollte unbedingt mithelfen.“

Whatsapp und Wahlkampf

Danach sei er in eine Whatsapp-Gruppe und zugleich den Wahlkampf eingetreten: Flyer, Haustürwahlkampf, Infostände. Schon nach kurzer Zeit sei die Parteiarbeit zu seinem „Hobby“ geworden. „Damit fülle ich gerne Nachmittage“, sagt Philipp Krause. Die vielen Eintritte in die Linke habe er vor allem in der schnell wachsenden Whatsapp-Gruppe bemerkt: jeden Tag neue Mitglieder. „Wie schnell das alles geht“, habe er gedacht.

Doch bringen viele Mitglieder ihren Parteien etwas? Über das Wahlergebnis sagt ihre Anzahl zumindest wenig aus. Ein eindrückliches Beispiel dafür bietet die AfD. In Sachsen hat sie laut eigenen Angaben aktuell 4.000 Mitglieder, 30 neue pro Tag. Damit liegt sie hinter der Linken (10.000 Mitglieder), der CDU (9.500), den Grünen (5.000) und der SPD (4.600) – bekam in Sachsen aber den mit Abstand höchsten Stimmenanteil bei der Bundestagswahl: 37,3 Prozent.

Trotzdem stärken die Mitglieder ihre Parteien etwa durch den Mitgliedsbeitrag oder aktives Engagement, bekräftigt der Politikwissenschaftler Benjamin Höhne, der an der TU Chemnitz zu Parteien und ihren Mitgliedern forscht. Persönlicher Kontakt, etwa beim Haustürwahlkampf, senke Berührungsängste und könne Wäh­le­r:in­nen überzeugen, erklärt er. Das sei effektiver als Fernsehspots, Plakate oder Social Media.

Fast alle Parteien haben mehr Mitglieder

„Im Wahlkampf verbuchen mehr oder minder alle Parteien Mitgliedszuwächse“, sagt Höhne. Dass die Linke besonders viele An­hän­ge­r:in­nen mobilisieren konnte, rechnet er ihrer Position im Parteiensystem zu: Ihr Bekenntnis zu inklusiver Migrationspolitik oder die geforderte radikale Umverteilung seien Alleinstellungsmerkmale.

„Für die Linke besteht die Gefahr, dass einige Mitglieder relativ schnell davon genervt sind, wie anstrengend das Parteiengagement sein kann, und dann das Handtuch werfen.“ Um sie zu halten, sei eine „nachhaltige Willkommenskultur“ nötig: Förder- und Schnupperprogramme, Mentoring und Foren, in denen sich die Jungen vernetzen können. Zudem sei hilfreich, diverse Repräsentation zu schaffen und auf Basis-Ebene breite innerparteiliche Partizipation zu ermöglichen, die zum bewegungsnahen Umfeld der Partei durchlässig ist.

Beim Treffen in Leipzig Südost geht es mittlerweile darum, wer sich vorstellen könne, in Arbeitsgruppen mitzuwirken. Notwendig erscheinen den Mitgliedern etwa AGs für Soziales, Veranstaltungen, zur politischen Bildung, Kinder- und Jugendpolitik, für Digitales sowie zur Organisation einer Küche für Alle (Küfa), einem öffentlichen Gruppenkochen, bei dem die Linkenmitglieder Essen austeilen wollen. Hände gehen hoch, Stadträtin Olga Naumov notiert die Namen.

Ziel: 150.000 Mitglieder in vier Jahren

Die Bundesvorsitzenden der Linken, Ines Schwerdtner und Jan van Aken, haben im März selbstbewusst ein weiteres Ziel veröffentlicht: In vier Jahren soll die Linke 150.000 Mitglieder haben. So steht es im Leitantrag für den Bundesparteitag am 9. Mai in Chemnitz. Als „kraftvolle sozialistische Mitgliederpartei“ soll die Linke demnach vor Ort helfen und gemeinsam Kampagnen organisieren. Klassenkampf, ganz freundlich und ohne internen Streit.

Im Antrag steht auch, die Linke trete für jene ein, „die unter den Kriegen dieser Welt leiden“. Es gehe „um Vorschläge für diplomatische und andere nicht-militärische Mittel“. Russland, Ukraine, Hamas, Israel oder Palästina, die Worte tauchen hingegen nicht auf. Warum die beiden Vorsitzenden so unkonkret bleiben? Vielleicht, um scharfe Auseinandersetzungen zu meiden, wie der Folgesatz vermuten lässt: „Wir wollen hier die Positionen, die uns vereinen, in den Mittelpunkt stellen.“

Beim Treffen in der Dachgeschosswohnung sprechen einige Mitglieder zwischendurch über den Krieg in der Ukraine – oder zumindest über US-Mittelstreckenraketen, Aufrüstung und Waffenlieferungen. Es ist eher Austausch als Diskussion. Eine Schüssel mit Erdnussflips geht herum. Noel Kosmann hört zu. Später erzählt sie: „Ich fand es interessant, im Prinzip ist es ja eine Partei, ein gewisser Standpunkt. Trotzdem hat jede Person ein bisschen ihre eigene Perspektive, das ist schön zum Lernen.“

Gehen die Neuen bald wieder?

Macht sich Kosmann Sorgen, dass neue Mitglieder wegen unliebsamer Positionen schnell wieder verschwinden? Eher nicht. „Wie die Linke sich positioniert, war ja schon vorher klar“, sagt sie. „Sicher stehen nicht alle zu hundert Prozent hinter jeder Entscheidung. Aber das ist auch bei anderen Parteien so.“

Nach zwei Stunden ist das Treffen vorbei, die Runde löst sich langsam auf. Die Stimmung ist zuversichtlich. Kosmann sagte, sie freue sich schon auf das nächste Mal: „Jetzt kenne ich ja schon ein paar Gesichter.“ Vielleicht gibt es dann auch genug Stühle für alle.

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6 Kommentare

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  • Es ist toll, dass sich mehr Menschen für soziale Gerechtigkeit interessieren und auch bitter notwendig. Hoffentlich können die Neuen den alten Sowjet-freundlichen Genossen das Irrelichtern in der Außenpolitik austreiben.

    • @Okti:

      Die Gretchenfrage ist, ob es der Linken gelingen kann, programmatisch einen akzeptablen außen- und friedenspolitischen Standpunkt zu formulieren, der die antimilitaristischen Wurzeln nicht über Bord wirft, andererseits linke Faschismus- und Imperialismuskritik auch im Verhältnis zu Putin-Russland eindeutig artikuliert. Das scheint mir fast die Quadratur des Kreises zu sein und man macht sich damit natürlich politisch angreifbar



      Im Wahlkampf konnte man diese eindeutige Positionierung noch vermeiden, auf lange Sicht führt daran aber kein Weg vorbei. Mal schauen, wie weit die von Schwerdtner und van Aken propagierte „revolutionäre Freundlichkeit“ dann noch trägt. Aber ich möchte den Enthusiasmus der vielen jungen Leute auch nicht ausbremsen.😉



      Friedenspolitisch müsste es doch machbar sein, irgendwo zwischen Grünen und BSW eine Nische zu finden.😗

    • @Okti:

      Hacken zusammenknallen und weggetreten!



      Aber mal im Ernscht: Wenn die Alten die Jungen auf Linie bringen wollen, ist das schon schräg genug. Aber dieses „Hoppla, jetzt komm‘ ich und alles hört auf mein Kommando!“ - ja, das ist z.B. in den vergangenen drei Jahren bundesrepublikanischer Außenpolitik ziemlich gescheitert.

    • @Okti:

      Russlandfreundlich und Sowjetfreundlich sind nicht das Gleiche. Ich bin Sowjetfreundlich meint ich solidarisiere mich mit den Völkern der Sowjetunion die uns vom Hitlerfaschismus befreit haben. Das ist etwas ganz anderes als Russlandfreundlichkeit eigentlich sogar ein diametraler Gegensatz. Die Russen haben seit je her in allen Kriegen immer ihre ethnischen Minderheiten zuerst an der Front verheizt. Jeder 3. in der Sowjetunion im WK2 getötete Mensch war ein Ukrainer zum Beispiel. Bitte deshalb die beiden Begriffe nicht deckungsgleich benutzen.

      • @Šarru-kīnu:

        Ich kann Ihre Unterscheidung in Sowjet- und Russlandfreundlich nicht so ganz nachvollziehen und denke, die Probleme in diesem Zusammenhang liegen ganz woanders.



        Die Sowjetunion war ja nur eine relativ kurze, wenn auch prägende Phase einer langen russischen Geschichte, die ohne Zweifel von imperialistischer Eroberung und Unterdrückung der Nachbarstaaten und ethnischen Minderheiten geprägt war. Aber ich sehe hier nicht den Unterschied zwischen der zaristischen, sowjetischen und jetzigen post-sowjetischen Phase der russischen Geschichte.



        Ein Teil des Problems scheint mir aber tatsächlich auch die Verengung dieser Geschichte auf diese kriegerischen, imperialistischen Aspekte zu sein bzw. die speziell deutsche Wahrnehmung zwischen vorurteilsbehafteter Russophobie und schwärmerisch-unkritischer Russophilie - das führt bei uns zu einem verzerrten Russlandbild und macht eine nüchterne, einigermaßen objektive Betrachtung schwierig. Was man ja auch an vielen Kommentaren hier in der Kommune festmachen kann.😉



        Und es ist beileibe nicht ausschließlich ein Problem der Linken. Dass man in Polen und im Baltikum wiederum einen anderen Blick auf die Geschichte hat, liegt in der Natur der Sache.

      • @Šarru-kīnu:

        Sie widersprechen sich ja selbst.



        Wie Sie richtig festgestellt haben, haben die "Russen" andere Ethnien gerne an der Front verheizt. Und das Mittel dafür war die von Ihnen so geschätzte Sowjetunion, wie es vorher das Zarenreich war. Wie Sie da einen Unterschied zwischen den jeweiligen Staatsbezeichnungen erkennen können, erschließt sich mir nicht.