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Künftiger FDP-Chef Christian DürrSymptom der Krise

Kommentar von Gunnar Hinck

Mit Christian Dürr wird ein Techniker der Macht FDP-Parteichef. Berufliche Erfahrungen außerhalb der Politik hat er keine.

Die beiden Christians im Bundestag: Viel Glück für Dürr mit der Hinterlassenschaft von 4,3 Prozent Foto: Liesa Johannssen/reuters

E s ist also Christian Dürr, der sich am Projekt „Wiederauferstehung der FDP“ versuchen soll. Der Bald-nicht-mehr-Fraktionsvorsitzende bewirbt sich auf dem nächsten Parteitag als Vorsitzender; die Wahl dürfte mangels Alternativen nur eine Formsache sein. Der 47-jährige Niedersachse ist ein solider Techniker der Macht, der dank Markus Lanz zudem eine beeindruckende Liste an Talkshowauftritten vorzuweisen hat. Nicht nur dort, sondern auch im Bundestag hat er sich von der eher angriffslustigen Seite gezeigt.

Mit prägnanten oder tiefschürfenden Zukunftsentwürfen darüber, was Liberalismus heutzutage heißt (soll es mehr sein als radikaler Marktliberalismus à la Christian Lindner mit ein paar Bürgerrechten?), ist Dürr bislang allerdings nicht aufgefallen. Ebenso wenig mit ein paar offenen Worten darüber, was in der FDP zuletzt eigentlich schiefgelaufen ist.

Aber das sollte ein FDP-Vorsitzender in der außerparlamentarischen Opposition leisten können. Dazu gehört auch die Klärung der Frage, ob man jetzt, nachdem das Schuldenbremsen-Dogma mit Zweidrittelmehrheit im alten Bundestag fallen dürfte, an ebendiesem Dogma festhalten soll. Aus parteistrategischer Sicht gibt es gute Gründe für beide Wege.

Dass nun der programmatisch gesehen eher unauffällige Christian Dürr in einer Partei, für die Wettbewerb den Rang einer heiligen Schrift hat, ohne jeden Wettbewerb Chef wird, ist nebenbei bemerkt ein Symptom einer tiefen Krise der Liberalen. Die FDP ist nach Jahren der Lindner’schen One-Man-Show eine personell ausgelaugte Partei. Den Job will sich offenbar kein anderer, keine andere in der Partei antun.

Christian Dürr lebt seit über 20 Jahren hauptberuflich von der Politik, seitdem er 2003 in den niedersächsischen Landtag einzog. Er hat in seinem Leben – absehen von einem Praktikum während seines Studiums – nie in einem anderem Beruf gearbeitet. Das ist eine hübsche ironische Volte für den neuen Vorsitzenden einer Partei, die die freien Berufe und das freie Unternehmertum feiert. Ob diese eigenen biografischen Widersprüche die recht aalglatte neoliberale Ideologie der ­Partei brechen helfen?

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ist Redakteur im taz-Ressort Meinung.
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8 Kommentare

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  • Naja, ohne die FDP gäbe es noch Paragraph 219, Cannabistotalverbot und kein weltoffenes Staatsbürgerschaftsrecht und Selbstbestimmungsrecht . Nur der Gerechtigkeit halber. Auch bei der Überwachung der Bürger haben sie zum Zorn der CDU u SPD gebremst. Lindner wäre besser Landwirtschaftsminister geworden, Erfahrung im Pferdestallausmisten hat er ja.

  • Ich mag weder die FDP, noch Dürr und ich glaub auch nicht, dass er für einen positiven Neustart ohne des Geist Lindners steht. Aber das fragwürdige Argument des "nie in einem Beruf gearbeitet" kenn ich sonst nur von irgendwelchen Populisten oder aus Schmierpostillen wie der Bild, wenn die versucht haben grünen Politikern die Qualifikatin abzusprechen. und da kanns auch gern bleiben.

  • Nie in einem anderem Beruf gearbeitet - finde ich auch kritisch. Das sollten sich eigentlich ALLE Parteien bei der Kandidatenkür zur Regel machen. Praktikanten und Studienabbrecher, nein danke. Und selbst wenn ein Studium abgeschlossen wurde: Frisch von der Uni (selbst mit Dr.) kommt man nicht mit der Praxis- oder Lebenserfahrung, die man einfach braucht, um wichtige politische Entscheidungen zu treffen.

    • @Winnetaz:

      Welche wichtigen politischen Entscheidungen wären denn das genau, die man ohne im Beruf gesammelte Praxis- oder Lebenserfahrung nicht treffen könne?

      • @Kawabunga:

        Naja, von Rente mit 63 nach 45 Berufsjahren hält die FDP nichts . ;)

  • "Berufliche Erfahrungen außerhalb der Politik hat er keine."

    Da kommt Hoffnung auf > F.ast D.rei P.rozent 😎✌️🥂

  • "Das ist eine hübsche ironische Volte für den neuen Vorsitzenden einer Partei, die die freien Berufe und das freie Unternehmertum feiert."



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    Ich sehe keinen Widerspruch, er managt sich seit zwei Dekaden selbst erfolgreich in Positionen.

    "Für den Soziologen Max Weber (1864 - 1920) sind Leidenschaft, Verantwortungsgefühl und Augenmaß die wichtigsten Qualitäten eines guten Politikers. Welche Rolle spielt sein Denken heute?"



    Zu



    Politik als Beruf



    Von Max Weber



    Bei swr.de



    Weiter dort



    "In führenden Positionen wünscht sich Weber Menschen, die „Charisma“ haben. Das ist neben Gesinnungs- und Verantwortungsethik ein weiterer Begriff, den er in die politische Theorie einführt. Charismatische Persönlichkeiten haben eine besondere Ausstrahlung, die Menschen mitreißen kann"



    Warten wir's mal ab.

  • Ich muss widersprechen:



    Die fdp ist eben NICHT eine Partei der freien Marktwirtschaft, da sie sich dann für echten Wettbewerb, freien Zugang zu Märkten und Verhinderung von Mono- und Oligopolen einsetzen müsste. Dank untätigem Bundeskartellamt (und wegen absichtlich schwacher Gesetzgebung seit sen 1960ern) fehlt die starke Regulierung von Marktmacht in Deutschland (Stichwort: "Einzel"-Handelskonzerne)



    "...



    für die Wettbewerb den Rang einer heiligen Schrift hat.." stimmt eben nicht. Die fdp ist eine Klientelpartei geworden für Konzerne und Superreiche, die ihre Marktmacht, ihre (quasi) Steuerfreiheit und viele andere Privilegien mit Zähnen und Klauen verteidigen will.