Künftiger FDP-Chef Christian Dürr: Symptom der Krise
Mit Christian Dürr wird ein Techniker der Macht FDP-Parteichef. Berufliche Erfahrungen außerhalb der Politik hat er keine.

E s ist also Christian Dürr, der sich am Projekt „Wiederauferstehung der FDP“ versuchen soll. Der Bald-nicht-mehr-Fraktionsvorsitzende bewirbt sich auf dem nächsten Parteitag als Vorsitzender; die Wahl dürfte mangels Alternativen nur eine Formsache sein. Der 47-jährige Niedersachse ist ein solider Techniker der Macht, der dank Markus Lanz zudem eine beeindruckende Liste an Talkshowauftritten vorzuweisen hat. Nicht nur dort, sondern auch im Bundestag hat er sich von der eher angriffslustigen Seite gezeigt.
Mit prägnanten oder tiefschürfenden Zukunftsentwürfen darüber, was Liberalismus heutzutage heißt (soll es mehr sein als radikaler Marktliberalismus à la Christian Lindner mit ein paar Bürgerrechten?), ist Dürr bislang allerdings nicht aufgefallen. Ebenso wenig mit ein paar offenen Worten darüber, was in der FDP zuletzt eigentlich schiefgelaufen ist.
Aber das sollte ein FDP-Vorsitzender in der außerparlamentarischen Opposition leisten können. Dazu gehört auch die Klärung der Frage, ob man jetzt, nachdem das Schuldenbremsen-Dogma mit Zweidrittelmehrheit im alten Bundestag fallen dürfte, an ebendiesem Dogma festhalten soll. Aus parteistrategischer Sicht gibt es gute Gründe für beide Wege.
Dass nun der programmatisch gesehen eher unauffällige Christian Dürr in einer Partei, für die Wettbewerb den Rang einer heiligen Schrift hat, ohne jeden Wettbewerb Chef wird, ist nebenbei bemerkt ein Symptom einer tiefen Krise der Liberalen. Die FDP ist nach Jahren der Lindner’schen One-Man-Show eine personell ausgelaugte Partei. Den Job will sich offenbar kein anderer, keine andere in der Partei antun.
Christian Dürr lebt seit über 20 Jahren hauptberuflich von der Politik, seitdem er 2003 in den niedersächsischen Landtag einzog. Er hat in seinem Leben – absehen von einem Praktikum während seines Studiums – nie in einem anderem Beruf gearbeitet. Das ist eine hübsche ironische Volte für den neuen Vorsitzenden einer Partei, die die freien Berufe und das freie Unternehmertum feiert. Ob diese eigenen biografischen Widersprüche die recht aalglatte neoliberale Ideologie der Partei brechen helfen?
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