: Sinnlich, nicht immer soft
US-Soulsängerin Roberta Flack ist am Montag gestorben. Ein Nachruf
Von Julian Weber
Bevor Roberta Flack 1973 mit dem Hit „Killing Me Softly with His Song“ auch in Europa bekannt wurde, war sie schon ein Star in den USA. Das geschah, weil Clint Eastwood Flacks Song „The First Time I Ever Saw Your Face“ in dem Soundtrack seines Films „Play Misty for Me“ (Deutscher Titel: Sadistico) von 1971 in einer Schlüsselszene einsetzte.
Vermarktet wurde Roberta Flack von ihrem Label Atlantic Records zwar nur als begabte Soulsängerin, aber sie hatte mehr als ihre sinnliche, wandlungsfähige Stimme: Flack komponierte ihre Songs im Alleingang oder zusammen mit Kollegen und sie arrangierte Coverversionen nach ihrer Façon am Keyboard.
Schon beim Debütalbum „First Takes“ setzte sie gegenüber dem Label ihre eigene Auswahl an Songs durch. Die damals 30-Jährige galt 1969 als „sophisticated“ in einer Musikindustrie, die die Segregation jener Jahre eher mühsam hinter sich gelassen hatte. Flack hatte eine Lehrerinnenausbildung durchlaufen, auch später, als sie berühmt war, ging sie immer wieder in diesen Beruf zurück und unterrichtete sozial benachteiligte Kinder beim Notenlesen.
Zu Zeiten von Black Power und „Black is beautiful“ sorgte die Künstlerin schon durch ihre Afrofrisur für Aufsehen. Freundschaften zum Politiker Jesse Jackson und zur Philosophin Angela Davis waren kein Geheimnis, Flack scherte sich nicht darum, ob sie damit die „moral majority“ herausforderte. Auf ihrem Debütalbum interpretierte Flack den Song „Tryin’Times“, geschrieben von Donny Hathaway und Leroy Hutson. Er thematisierte die Aufstände und die strukturelle Benachteiligung der Schwarzen in den US-Innenstädten nach 1968, aber erwähnte dabei auch einen Generationskonflikt mit den eigenen Eltern, die alles still erduldeten: „Tryin’times / Is what the world is talkin’about / You got confusion all over the land / Mother against daughter, father against son / The whole thing is gettin’out of hand“.
Spirituals waren Roberta Flack aus dem Gospelgottesdienst früh vertraut, sie spielte diese auch späterhin wie im Schlaf. In ihrer Musik vermischten sich geistliche mit weltlichen Motiven, Flack rief Himmel und Hölle in ein und demselben Song auf, ohne dass eine der beiden Parteien benachteiligt worden wäre. Mit 15 erhielt sie ein Klavierstipendium an der renommierten Howard-Universität in Washington, dort begann sie auch, in Bars aufzutreten und eigene Songs zu testen. Keine Selbstverständlichkeit in der männerdominierten Welt des US-Showbiz.
Der Jazzpianist Les McCann gilt als ihr Entdecker, er verschaffte ihr Ende der 1960er einen Plattenvertrag bei Atlantic. „Ihre Stimme schaffte es mühelos, diverse Gefühlslagen zu streifen, sei es durch Antippen, Streicheln oder Einfangen“, sagte er einmal über Flacks variantenreiches Organ. Flack dankte es ihm, als sie McCann für ihr Album „Quiet Fire“ (1972) verpflichtete. Überhaupt wird Roberta Flack als kollegial gerühmt. Zusammen mit dem Sänger Donny Hathaway bildete sie zunächst ein kongeniales Gesangsduo, half Hathaway aber auch bei seiner Solokarriere als Soulsänger, die tragisch früh mit dessen Tod 1979 endete. An Hathaways Schicksal – er sprang nach einem schizophrenen Schub aus dem Fenster eines Hotels in den Tod – hatte Roberta Flack über lange Jahre zu knapsen.
Sie nahm in den 1980ern zwar Alben mit anderen auf, aber eine tiefe Verbundenheit wie zu Hathaway sollte sich nicht wieder einstellen. Erst durch den HipHop-Track „Killing Me Softly“ der Fugees, der bei Flacks Version relativ schamlos sampelte, erinnerte sich der Mainstream Mitte der 1990er wieder an ihr Können. Die Karriere der einstigen Grammy-Preisträgerin wurde auch dadurch reaktiviert, dass die Fugees für ihre Fassung ebenfalls mit einem Grammy ausgezeichnet wurden. In der Folge regnete es erneut Auszeichnungen für Roberta Flack.
Wie deep und sozial bewusst ihre Musik ist, bewies nicht zuletzt der Detroiter Houseproduzent Moodymann (Kenny Dixon Jr.), der ein Sample von Flacks Song „Sunday and Sister Jones“ für den Titeltrack seines Albums „Taken Away“ (2020) nutzt. In der Musik verarbeitet Moodymann eine Verhaftung, als er von zwei Polizisten in Detroit mit vorgehaltener Waffe von seinem eigenen Grundstück in einen Streifenwagen gezwungen wurde.
Schon Flacks Song setzt sich 1971 mit der rassistischen Benachteiligung von Schwarzen in der US-Mehrheitsgesellschaft auseinander. „Ich habe immer versucht, erfolgreich zu sein und eine musikalische Allrounderin“, erzählte Roberta Flack der britischen Zeitung The Telegraph 2015. „Aretha Franklin und die Drifters waren meine Held:Innen. Wie sie wollte ich spielen, aber zugleich auch Werte vermitteln.“
Im Jahr 2016 erlitt Roberta Flack einen Schlaganfall, sie hatte außerdem mit der Krankheit ALS zu kämpfen. Am Montag ist sie im Alter von 88 Jahren gestorben. Sie ist eine Legende, deren Musik uns für immer im Ohr bleiben wird, ob soft oder nicht.
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