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„Rassismus ist ein Standortnachteil“

Union und SPD wollen Geflüchtete künftig zurückweisen. Das dürfte an den europäischen Partnern scheitern, sagt Pro-Asyl-Experte Karl Kopp. Für die Asylsuchenden sind die Pläne dennoch katastrophal

Künftig auch ohne Rechtsbeistand: Sammelabschiebung nach Pakistan Foto: Boris Roessler/dpa

Interview Frederik Eikmanns

taz: Herr Kopp, in Ihrem Sondierungspapier haben Union und SPD die Zurückweisung von Asylsuchenden festgeschrieben. Stehen wir vor dem Ende jeder Flüchtlingsaufnahme in Deutschland?

Karl Kopp: Was die künftige Bundesregierung plant, ist inhuman und schäbig. Aber ich glaube nicht, dass Deutschland wirklich im Alleingang Asylsuchende zurückweisen wird. Union und SPD streiten ja gerade noch darüber, was es genau bedeutet, wenn Zurückweisungen „in Absprache“ mit den Nachbarländern geschehen sollen. Dabei ist klar: Schutzsuchende an den Binnengrenzen zurückzustoßen, ist eindeutig europarechtswidrig.

taz: Aber der Union ist das offenkundig egal.

Kopp: Es gibt ein geregeltes Verfahren im Rahmen der Asylzuständigkeitsverordnung. Friedrich Merz will in der Sicherheitspolitik eine europäische Koalition der Willigen schaffen. Da kann er nicht parallel einen nationalen Alleingang in der Flüchtlingspolitik machen, die Verbündeten vor den Kopf stoßen und die Reste des europäischen Schutzsystems zerlegen.

taz: Das bedeutet, die von der Union groß angekündigte Asylwende fällt aus?

Kopp: Die sogenannte Asylwende ist de facto eine weitere Demontage des Asylrechts. Das Sondierungspapier macht klar: Flüchtlinge sollen draußen bleiben. Und bereits diese Botschaft könnte eine Kaskade der Abschottung in anderen EU-Staaten auslösen. Deutschland wird Teil der Koalition der Unwilligen bei der Flüchtlingsaufnahme: Zerstritten bei der Aufnahme, sorgt man gemeinsam dafür, dass Flüchtlingen der Zugang zu Schutz in Europa verwehrt wird.

taz: Wie soll das funktionieren?

Kopp: Deutschland ist das mächtigste Land der EU. Und Union und SPD verfolgen mit ihrem Sondierungspapier natürlich auch eine Kommunikationsstrategie. Darin heißt es zum Beispiel, „sekundäre Migration“ müsse „in den Blick“ genommen werden.

taz: Gemeint sind etwa Flüchtlinge, die weiterziehen, nachdem sie in einem EU-Staat bereits Schutz erhalten haben.

Kopp: Deutschland hat bisher Zehntausende Asylsuchende und anerkannte Flüchtlinge aufgenommen, die den menschenunwürdigen Bedingungen in Griechenland entfliehen. Union und SPD signalisieren nun, dass damit Schluss sein soll. Griechenland will die Flüchtlinge aber auch nicht haben und wird deshalb harte und menschenrechtswidrige Wege finden, sie ganz fernzuhalten. Die brutale Praxis der griechischen Grenzschützer ist umfangreich dokumentiert.

Welche Rolle spielt der jüngste Vorschlag der EU-Kommission, die Rückführungsrichtlinie zu verschärfen?

Der Vorschlag der EU-Kommission soll die europäische Abschottungsgemeinschaft vollenden. Auch Brüssel will mehr Haft, Einschränkungen sozialer Leistungen und neue Deals mit Drittstaaten. Abgelehnte Asylsuchende sollen gegen ihren Willen in ihnen komplett fremde Länder geschickt werden – ein weiterer Tiefpunkt der EU-Asyl- und Migrationspolitik.

taz: Warum macht die SPD bei der Zerstörung des Flüchtlingsschutzes mit?

Kopp: Union und SPD hatten sich auf die Reform der Schuldenbremse und auf ein neues Sondervermögen geeinigt, bevor über Migration gesprochen wurde. Das war ein Erfolg für die SPD. Die Union hat im Gegenzug gewichtige Teile ihrer asylfeindlichen Agenda bekommen.

taz: Deutschland wurde schon mehrmals von einer großen Koalition regiert. Noch vor zehn Jahren – im Sommer 2015 – verfolgten Union und SPD eine Flüchtlingspolitik, die sogar Linke lobten.

Kopp: Die Entscheidung im September 2015 war historisch richtig. Davon ist nichts übrig geblieben. Am Samstag kam das größte Massaker in Syrien seit Jahren ans Licht. Am selben Tag stellten Union und SPD ihr Sondierungspapier vor, in dem sie ankündigen, nach Syrien abzuschieben – „beginnend mit Straftätern und Gefährdern“. Es wird bald also auch um Menschen ohne Vorstrafen ­gehen. Das versetzt die große syrische Community in Deutschland in Angst und Schrecken.

taz: Andere drastische Pläne verbergen sich im Sondierungspapier hinter unauffälligen Formulierungen. Da ist etwa dieser Satz, wonach in Asylverfahren aus dem „Amtsermittlungsgrundsatz“ künftig der „Beibringungsgrundsatz“ werden soll. Was hat es damit auf sich?

Foto: Shirin Shahidi/Pro Asyl

Karl Kopp

ist Geschäftsführer von Pro Asyl und vertritt die Organisation im Europäischen Flüchtlingsrat ECRE.

Kopp: Der Amtsermittlungsgrundsatz verpflichtet Asylbehörden, alle relevanten Tatsachen selbst zu ermitteln, um faire Entscheidungen zu gewährleisten. Der Beibringungsgrundsatz hingegen würde die Beweislast vollständig auf die Schutzsuchenden verlagern – eine gravierende und potenziell europarechtswidrige Verschärfung.

taz: Union und SPD wollen auch den Rechtsbeistand für Menschen streichen, die in Abschiebehaft genommen werden sollen.

Kopp: Dass dieser Rechtsbeistand eingeführt wurde, war einer der wenigen positiven Aspekte unter den Verschärfungen der Ampelregierung. Untersuchungen zeigen, dass Abschiebehaft in fast 50 Prozent der Fälle rechtswidrig verhängt wird. Da ist es geboten, dass man Betroffenen, die ihrer Freiheit beraubt werden, An­wäl­t*in­nen zur Seite stellt.

taz: Außerdem sollen weitere Staaten zu „sicheren“ Herkunftsländern erklärt werden. Wer von dort kommt, hat praktisch keine Chance, einen Schutzstatus zu bekommen. Um welche Länder wird es gehen?

Kopp: Wahrscheinlich wird die Union es zunächst wieder mit den Maghreb-Staaten versuchen. Wir haben gesehen, dass selbst die Grünen bereit waren, Länder als sicher zu erklären, die alles andere als sicher sind. In Georgien, das 2023 zum sicheren Herkunftsstaat deklariert wurde, wird jetzt die Opposition von einer putinfreundlichen Regierung niedergeknüppelt.

taz: Das alles klingt ziemlich düster. Wie wird Pro Asyl dagegen ankämpfen?

Kopp: Es gilt jetzt, weitere Restriktionen zu verhindern und rechtswidrige Praktiken vor die Gerichte zu bringen. Dafür hat Pro Asyl einen Rechtshilfefonds. Wir unterstützen Klagen der Schutzsuchenden bis zu den höchsten europäischen Gerichten.

Die Union hat im Gegenzug für eine Reform der Schuldenbremse und ein Sondervermögen gewichtige Teile ihrer asylfeindlichen Agenda bekommen

taz: Letztes Jahr erklärte das Oberverwaltungsgericht Münster überraschend, Syrien sei sicher. Das wurde weithin als Zeichen dafür interpretiert, dass der flüchtlingsfeindliche Zeitgeist auch vor den Gerichten nicht haltmacht. Wollen Sie sich wirklich auf die Rich­te­r*in­nen verlassen?

Kopp: Wenn das gesellschaftliche Klima hartherzig wird, dann droht sich das auch in der Rechtsprechung niederzuschlagen. Das OVG-Urteil war übrigens absolut faktenarm bezogen auf die Situation in Syrien unter der Herrschaft von Assad. Wir brauchen beides: eine gute Prozessstrategie, aber auch gesellschaftspolitische Interventionen.

Was bedeutet das konkret?

Kopp: Wir verteidigen die offene Flucht- und Migrationsgesellschaft. Wir müssen auch dorthin gehen, wo es wehtut – an Orte, wo die Akzeptanz für Geflüchtete schwindet oder offen feindselig ist. In dieser aufgeputschten Debatte gilt es, über die Erfolgsgeschichten zu sprechen – über Menschen, die hierher flüchten und es trotz aller Hürden schaffen, sich ein neues Leben aufzubauen und Teil der Gesellschaft zu werden. Dazu kommt: Es wird nicht funktionieren, Fachkräfte anzuwerben, wenn Deutschland in der Flüchtlingspolitik seine hässliche Seite zeigt. Rassismus ist ein Standortnachteil.

taz: Nicht nur Deutschland oder andere europäische Länder, auch die USA schotten sich immer mehr ab. Stehen Sie nicht auf verlorenem Posten?

Erst mal Stopp: Kontrolle an der deutsch-polnischen Grenze Foto: Patrick Pleul/dpa

Kopp: Klar, wir haben zuletzt Boden verloren. Die Orbanisierung schreitet auch in Deutschland voran, wie die Angriffe der Union auf Organisationen zeigen. Aber wir haben immer noch eine sehr starke Zivilgesellschaft, wie übrigens auch andere europäische Länder. Das hat man auch im Wahlkampf gesehen, als plötzlich Hunderttausende dagegen demonstrierten, dass die Union mit den Rechtsextremen paktierte.

taz: Denken Sie, dass Deutschland wirklich noch einmal zu einer humaneren Flüchtlingspolitik zurückfindet?

Kopp: Ich arbeite seit über 30 Jahren im Asylbereich. In dieser Zeit gab es massive Niederlagen, etwa den sogenannten Asylkompromiss von 1993, als das Asylrecht entkernt wurde. Wir haben in zivilgesellschaftlichen Bündnissen an der Seite der Asylsuchenden Rechte zurückerkämpft – das ist meist ein langer, kräftezehrender und leidvoller Weg für die betroffenen Geflüchteten. Als Pro Asyl 2007 im Rahmen der Kampagne „Stoppt das Sterben im Mittelmeer“ eine europäische Seenotrettungsmission gefordert hat, war die Reaktion im Europaparlament eher ungläubiges Staunen. Als am 3. Oktober 2013 Hunderte Bootsflüchtlinge vor Lampedusa starben, wurde die Rettungsoperation Mare Nostrum installiert.

taz: Ein Jahr später wurde sie aber schon wieder beendet

Kopp: Schlimmer noch: Es gibt immer noch keine europäische Seenotrettung, die Politik des Sterbenlassens geht weiter. Aber es gibt eine starke Allianz zivilgesellschaftlicher Seenotrettung, die tausendfach Leben rettet.

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