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„Mehrheitlich sitzt die armeBevölkerung im Knast“

Das Redaktionskollektiv hat ein Handbuch publiziert, das Gefangenen ihre Rechte erklärt. Es ist in vielen Gefängnissen verboten. Warum Wissen im Knast als Gefahr gilt, erklärt Mitautor Janko Egeling

Interview Johanna Treblin

taz: Janko, du bist Teil eines Redaktionskollektivs, das ein verbotenes Buch herausbringt.

Janko: Na ja, verboten ist es ja nicht. Es ist zwar in etwa der Hälfte der Haftanstalten verboten, aber draußen ist es frei erhältlich.

taz: „Wege durch den Knast“ ist eine Art Handbuch zum Alltag im Gefängnis, zu Gesundheitsfragen im Knast, und es gibt Gefangenen Rechtshilfe. Wo ist das Problem?

Janko: Offenbar nehmen wir mit dem Buch dem Knast die Definitionsmacht darüber weg, was Gefangenen nach dem Gesetz zusteht und was nicht. Das mögen die nicht so. Zum Beispiel geben wir Tipps, welche Rechtswege Muslima nutzen können, wenn die Knastküche kein Halalessen anbietet. Das werten einige JVAen schon als Aufruf zu widerständigem Handeln, und dann heißt es, das Buch gefährde die Sicherheit und Ordnung und fördere eine ablehnende Haltung gegenüber der Justiz und dem Knastsystem. Aber wir haben mit dem Buch Gefangenen nur ein Instrument gegeben, sich zu ermächtigen und Kenntnisse über die eigenen Rechte zu erhalten.

taz: Wenn das Buch in einem Gefängnis erst einmal verboten ist, dann kann man nichts mehr tun?

Janko: Die Gefangenen können einen 109er stellen, einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung. Das klappt aber eher selten, erfahrungsgemäß entscheiden Gerichte gegen die Gefangenen. Oder man fordert, dass die beanstandeten Stellen geschwärzt werden. Es gab zum Beispiel ein Urteil des Oberlandesgerichts Brandenburg von 2017, auf das man sich berufen kann. Damals ging es darum, dass eine JVA das Buch nicht schwärzen wollte, da der Aufwand zu groß sei. Aber das Gericht wies darauf hin, dass die Arbeit ja schon getan war, die JVA hatte die Stellen schon herausgesucht, um das Verbot zu begründen. Deshalb meinte das Gericht, die etwa zwölf Stellen zu schwärzen sei der Anstalt zuzumuten. Sie musste das Buch dann freigeben.

taz: Wie kam es eigentlich zu der Idee für das Buch?

Janko: Wir aus dem Redaktionskollektiv kommen eher aus dem anarchistisch-autonomen Milieu und haben verschiedentlich zu Knast und Repression gearbeitet. Dabei haben wir immer wieder nach neuen Werkzeugen gesucht, die uns bei der Arbeit helfen können. 2011 sind wir auf den „Ratgeber für Gefangene“ gestoßen, ein Buch aus den 80er Jahren. Das fanden wir super und wollten es aktualisieren. Die Aufteilung haben wir großteils übernommen: Alltag, medizinischer Teil, rechtlicher Teil. Aktualisiert haben wir es dann zusammen mit (Ex-)Gefangenen und Kollektiven draußen. Die traurige Geschichte des Ratgebers war, dass er überall verboten war, außer in Bremen. Eigentlich waren es ähnliche Gründe wie in den heutigen Verbotsverfügungen, außer dass einige Formulierungen noch klarer politisch waren. Beispielsweise gibt es Leute, die sich für einen Hungerstreik entschließen müssen, um gewisse Rechte durchzusetzen. Der Ratgeber hat Hinweise gegeben, wie sie das machen können, damit es nicht über ein gewisses Maß hinaus gesundheitsschädlich ist. Gesundheitsschädlich ist ein Hungerstreik immer. In unserem Buch haben wir versucht, das so umzuformulieren, dass es nicht als Aufruf gewertet wird.

taz: Woher habt ihr die Einblicke in den Haftalltag? Von Gefangenen selbst?

Alltag in der Haft

Wie in jeder Einrichtung funktionieren Gefängnisse nach bestimmten Regeln – gesetzlich festgelegten genauso wie ungeschriebenen Gesetzen. Dabei helfen, diese zu durchschauen, kann das Handbuch „Wege durch den Knast“. Es erklärt und kommentiert den Alltag in der Haft und gibt Hinweise auf relevante Gesetzgebungen, um die eigenen Rechte im Gefängnis durchsetzen zu können.

Arbeit „Immer mehr Knastbetriebe gehen dazu über, nach modernen Methoden der Antreiberei zu arbeiten“, heißt es auf Seite 157. Das Buch weist darauf hin, dass es die Gefangenengewerkschaft GG/BO gibt, die in vielen Gefängnissen Vertretungen hat.

Gesundheit Warum im Gefängnis auf Gesundheit achten? „Wenn wir uns um uns kümmern, unseren Körper und unsere Seele, so gut es gelingt, uns in einem fitten und wachen Zustand zu halten … ist das auch gut für unser Selbstwertgefühl und unser Selbstbewusstsein.“ So beginnt Kapitel 14. Auf den folgenden Seiten sind Übungen abgebildet zur Dehnung, Lockerung, Kräf­tigung, für die man keine Hilfsmittel benötigt (höchstens mal einen Stuhl).

Kontakte „Briefe, Pakete und Besuche werden für dich besonders wichtig, um die Isolation … aufzubrechen und dich im Knast zu stabilisieren“, schreiben die Autor*innen auf Seite 173. Ein Tipp zum Besuchsrecht: „Du kannst dich auf § 1684 Abs. 1 BGB berufen, wonach nicht nur Eltern das Recht auf Umgang mit ihren Kindern haben, sondern auch das Kind das Recht auf Umgang mit seinen Eltern!“

Redaktionskollektiv: „We­ge durch den Knast – Alltag, Krankheit, Rechtsstreit“, Assoziation A, 19,90 Euro

Janko: Genau. Wir hatten damals einen Aufruf in solidarischen Kreisen gestartet: Kennt ihr Gefangene, die sich vorstellen könnten mitzuarbeiten? Wir haben dann ganze Kapitel in den Knast geschickt und Gefangene gefragt, ob sie die aktualisieren können. Da kam ehrlich gesagt wenig zurück – klang ja auch nach einem Berg Arbeit. Heute würde ich eher kleinere Abschnitte reinschicken und um Unterstützung fragen.

taz: Wie habt ihr euch stattdessen geholfen?

Janko: Das Strafvollzugsarchiv in Dortmund hat uns unterstützt, das Praxiskollektiv Berlin hat den medizinischen Teil bearbeitet und aktualisiert. Mit ein paar Gefangenen hat der Kontakt geklappt, wir kannten zum Beispiel Thomas Meyer-Falk, der damals in Sicherungsverwahrung saß, der das Kapitel zu dem Thema aktualisiert hat.

taz: Das Buch ist jetzt in der vierten Auflage. Was ist neu?

Janko: Die Gesellschaft wird repressiver, und das spiegelt sich natürlich auch im Knast wider. Beispielsweise ändern sich ständig die Rechte für Gefangene ohne deutschen Pass. Da mussten wir einiges aktualisieren. Ab der zweiten Auflage ist auch das Kapitel für trans Personen dazugekommen. Das hat eine Gruppe aus Berlin geschrieben, die das auch als Extrabroschüre herausgeben. Und durch die damalige Föderalismusreform im Strafvollzug hat sich noch einiges in den jeweiligen Landesstrafvollzugsgesetzen geändert.

taz: Es gibt auch ein Kapitel über Frauen im Knast, das fällt aber ziemlich kurz aus.

Janko: Ja. Ex-Gefangene, auch weibliche, sagen uns regelmäßig, dass die Grundproblematik die Gleiche ist, egal ob Männer- oder Frauenknast. Das Buch kann auch nicht alles abdecken, sondern nur ein Instrument von vielen sein. Den Wissens- und Erfahrungsaustausch der Gefangenen untereinander ersetzt es nicht. Das ist sowieso das Wichtigste: solidarische Beziehungen im Knast knüpfen und erhalten. Mir wurde erzählt, wenn jemand neu in den Knast kommt, ist es Standard zu fragen, was er braucht, und ihm zu sagen, wie er es bekommt. Es gibt außerdem immer Leute, die für andere Anträge schreiben. Es gibt Lesekreise, auch für unser Buch, in denen Teile übersetzt werden für Leute, die kein Deutsch lesen können. In manchen Knästen macht unser Buch die Runde durch den Trakt, damit alle mal hineinschauen können.

taz: Apropos ausländische Häftlinge: Habt ihr auch mal überlegt, euer Buch zu übersetzen?

Janko Egeling arbeitet seit Jahren zu Anarchismus, Profeminismus und gegen den Knast. Zudem in zwei Verlagen und verschiedenen politischen Gruppen und Initiativen.

Janko: Ja, wir fänden das schön, aber das können wir uns nicht leisten. Die Frage wäre auch: in welche Sprache? Russisch würde Sinn machen. Türkisch, Vietnamesisch, Polnisch und Arabisch auch. Wenn sich Übersetzerinnen finden würden, die das Buch in eine andere Sprache übersetzen möchten, das wäre super.

taz: Wie ist überhaupt die Nachfrage nach so einem Buch? Insgesamt ist die Knastbevölkerung ja doch ziemlich klein.

Janko: Na ja, circa 60.000 ist auch nicht wenig. Bei der ersten Auflage 2016 hatten wir 50 bis 60 Anfragen von Gefangenen pro Woche. Jetzt bei der neuen Auflage sind es vielleicht 10 bis 15 im Monat. Meistens beginnen die so: „Ein Mithäftling hat mir erzählt, dass …“ Da läuft viel über Mundpropaganda.

taz: Die Gefangenen bekommen das Buch kostenlos. Wie wird das finanziert?

Janko: Anfangs hatten wir Solipartys gemacht und einen Zuschuss von der Roten Hilfe bekommen. Heute wird es vor allem über die Einnahmen für die regulären Verkäufe des Buchs gegenfinanziert. Die Portoausgaben sind ein privater Solidaritätsbeitrag.

taz: Wird das Buch denn auch viel regulär gekauft?

Foto: Eine der größten JVAs in Deuschland: StadelheimFoto: Alexandra Schellnegger/SZ Photo/picture alliance

Janko: In den vergangenen Jahren hat der repressive Druck auf die antifaschistische Bewegung zugenommen. Immer mehr linke Leute sehen sich mit Haftstrafen oder längeren Haftstrafen konfrontiert. Dadurch gibt es hohen Bedarf an dem Buch, auch von solidarischen Menschen.

taz: Habt ihr auch Promis, die das Buch bestellen? Daniela Klette zum Beispiel?

Janko: Es gibt schon auch „Promis“, aber wer das ist, werde ich natürlich nicht sagen. Ein ziemlich bekannter Neonazi, einer der Unterstützer vom NSU, wollte das Buch mal bestellen. Dem haben wir stattdessen eine Liste der rechtsextremen Angriffe und Brandanschläge auf Flüchtlingsunterkünfte in dem Jahr geschickt. Ich fand, das war noch eine sehr zahme Antwort.

taz: Apropos Neonazi. Warum eigentlich ein Knasthandbuch? Das sind ja nicht alles Linke oder Menschen, die Gutes für die Gesellschaft getan haben.

Janko: Ich würde sagen, mehrheitlich sitzt die arme Bevölkerung im Gefängnis. Ein Großteil der Taten sind Armutsverbrechen. Aber klar gibt es auch Arschlöcher im Knast – so wie draußen auch. Unsere Perspektive jedoch ist eine andere: In einzelnen Fällen sind wir durchaus solidarisch mit den Gefangenen. Aber hauptsächlich sind wir solidarisch gegen den Knast, weil wir nicht glauben, dass Knast zu einer besseren Gesellschaft beiträgt, um es mal vorsichtig zu formulieren. Ziel ist es doch, zu einem Zusammenleben zu kommen, in dem gewisse Taten nicht mehr begangen werden müssen. Und da sehen wir den Knast, der ja Ausdruck unserer Gesellschaft ist, als eines der ungeeignetsten Mittel.

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