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Das Leben geht weiter

Gomas Alltag unter den M23-Rebellen: Bargeld ist knapp, die Angst vor Gewalt bleibt groß. Aber die Kongolesen wissen, wie man mit der Unübersichtlichkeit lebt

Am 27. Januar eroberten Kongos M23-Rebellen nach langer Belagerung die ostkongolesische Millionenstadt Goma, die Armee floh. Bei den Kämpfen starben laut UNO 3.000 Menschen, viele davon M23-feindliche Milizionäre. Jetzt ist Goma fest in Rebellenhand Foto: Moses Sawasawa/ap/dpa

Aus Goma Prosper Hamuli

Der Alltag kehrt nach Goma zurück. Die Straßen aus dem Umland, auf denen Bauern Lebensmittel in die Millionenstadt und ihre Märkte bringen, sind wieder offen, sogar die beliebte Dickmilch Kivuguto kommt wieder in die Stadt – aber die Preise haben sich verdoppelt. Bargeld ist rar geworden.

Normalerweise schickt die Zentralbank aus Kongos ferner Hauptstadt Kinshasa Geldscheine mit dem Flugzeug an ihre Filiale in Goma, wo die lokalen Geschäftsbanken es abheben können, aber der Flughafen von Goma ist dicht. Die Banken geben nun kein Geld mehr aus, Lehrer warten immer noch auf ihre Dezembergehälter. Auf Geldabhebungen per digitalem Transfer wird eine Sondersteuer von 10 Prozent erhoben, zusätzlich zu den üblichen Gebühren.

Der kongolesische Franc (FC), mit dem man auf dem Markt einkauft, ist wegen der zunehmenden Bargeldknappheit im Wert gestiegen, von 2.900 auf 2.500 zum US-Dollar. Der US-Dollar, in dem man seine Ersparnisse in bar hält, ist entsprechend weniger wert, die Kaufkraft der Leute hat sich schlagartig verringert.

Die Krise wird vom abrupten Stopp aller US-Hilfsgelder befördert. Organisationen, die von der US-Entwicklungsagentur USAID finanziert werden, brechen ihre Projekte abrupt ab und setzen ihr Personal auf die Straße. Davon abhängige Consultants und Kleinunternehmer sitzen auf dem Trockenen.

Die Rebellen konzentrieren sich auf das Militärische. Sie haben zivile Autoritäten ernannt – einen neuen Provinzgouverneur für Nord-Kivu samt Stellvertreter, einen neuen Bürgermeister von Goma, der jetzt mit den Stadtteilbehörden Kontakt aufnimmt. Aktivitäten zivilgesellschaftlicher Gruppen und Bürgerrechtsbewegungen bleiben aber verboten.

Am Montag sollten eigentlich die Schulen und Universitäten wieder öffnen. Aber die Schüler und Studenten leisteten dem Ruf nicht Folge. Kein Schulbus fuhr, nur in einer von zehn besuchten Schulen tauchten 20 Schüler auf. Die Angst vor einer Zwangsrekrutierung in die Reihen der Rebellen überwog.

Die über 500.000 Kriegsvertriebenen, die sich während der jahrelangen Belagerung Gomas durch die Rebellen in Lagern am Stadtrand gesammelt hatten, haben sich zerstreut – mehrere Lager wurden aufgelöst, ohne humanitäre Unterstützung für ihre Bewohner. Manche Leute gehen zu Fuß in ihre Heimatdörfer in den Bergen zurück. Andere finden Zuflucht bei Bekannten, auf Baustellen, in Kirchen oder Schulen.

Sie und alle anderen in Goma leben im Schatten andauernder Unsicherheit. Versprengte Soldaten der flüchtigen Regierungsarmee und „patriotischen“ Wazalendo-Milizen, Banditen und herumirrende ehemalige Häftlinge aus dem verwüsteten Zentralgefängnis, Straßenkinder im Besitz zurückgelassener Waffen, sie alle sorgen für Kriminalität und Unsicherheit im Alltag und vor allem in der Nacht. Zuweilen gibt es Übergriffe unkontrollierter M23-Kämpfer gegen Zivilisten.

Goma hat in den vergangenen 30 Jahren schon viel überstanden: Kriege, Erdbeben, Vulkanausbrüche, massive Gewalt, massive Fluchtbewegungen – nur mit gehörigem Optimismus konnten die Menschen überleben. Dieser Optimismus besteht darin, Angst vor der Angst zu haben. „Es wird schon irgendwie“, sagt man sich ständig, immer wieder und wieder.

Neue Kämpfe und Massaker im Osten der DR Kongo

Süd-Kivu Nach Tagen der Ruhe sind die Kämpfe im Ostkongo am Dienstag neu aufgeflammt. Kongos Armee und die M23-Rebellen lieferten sich Gefechte nahe des Flughafens Kavumu von Süd-Kivus Provinzhauptstadt Bukavu.

Flughafen im Visier Der Flughafen Kavumu ist ein wichtiger Armeestützpunkt. Zuvor war berichtet worden, Südafrika wolle seine Eingreiftruppen im Ostkongo verstärken und auch Tschad wolle Truppen schicken.

Ituri Derweil verschärfen sich Konflikte in Kongos Nordostprovinz Ituri. In der Nacht zu Dienstag überfiel die Miliz Codeco Vertriebene des Hema-Volkes im Flüchtlingslager Djaiba. Es gibt 38 bis 82 Tote, darunter verbrannte Babys. Codeco gilt als mit Kongos Armee verbündet.

Kongolesen haben bewährte Überlebensstrategien in einem Kontext von Staatszerfall – dieser Krieg ist auch eine Chance für neue Kreativität. Selbstregulierung über Songs und Predigten ist das Gebot der Stunde. „Ich habe nur Kongo“, singt Samuel Balaito auf Youtube und ruft alle Kongolesen zur Einheit auf. Der Himmel soll etwas tun, wünscht sich der christliche Sänger Patrick Kubuya.

Auf sozialen Medien gibt es lauter Ratschläge, wie man sich in dieser Situation richtig verhält. Der Geschäftsmann Kasereka Muhindo von der großen Handels- und Baufirma Établissements Yetu, in Goma unter seinem Spitznamen „Kassé Chine“ bekannt, brauchte am ersten friedlichen Sonntag nach der Rebellenübernahme bloß über Whatsapp ein Video zu verbreiten, in dem er Plünderern mit übernatürlichen Strafen drohte, damit am nächsten Tag Diebe vor seinem Laden Schlange standen, um geklaute Ware zurückzubringen.

Der 12-jährige Fußballstar Sefu Ongala, vergangenes Jahr zum besten U15-Spieler von Nord-Kivu gewählt, bringt es in einem Radiointerview auf den Punkt: „Wenn der Krieg vorbei ist“, sagt er, „werde ich besser sein als vorher.“

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