: Immer diese Einmaleffekte
Nach der jüngsten Kürzungsrunde dilettiert CDU-Kultursenator Joe Chialo schon an der nächsten. Selbst die SPD hat die Faxen dicke
Von Rainer Rutz
Den Sozialdemokrat:innen reißt beim Thema Joe Chialo langsam der Geduldsfaden. „Da fehlt mir inzwischen auch der Wille, das in irgendeiner Weise zu verteidigen“, sagt die kulturpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Melanie Kühnemann-Grunow, zu den aktuellen Pirouetten des CDU-Kultursenators.
Chialo hatte in der vergangenen Woche für Irritationen gesorgt, als er Vertreter:innen der Berliner Kulturszene in einem Videocall die für 2026 und 2027 anstehenden Kürzungen in seinem Kulturetat zu skizzieren versuchte. Herausgekommen ist die Meldung, dass in den kommenden beiden Haushaltsjahren noch einmal 300 Millionen Euro eingespart werden sollen – wohlgemerkt zusätzlich zu den 130 Millionen, um die der ursprünglich mal etwas mehr als eine Milliarde Euro umfassende Jahresetat der Kulturverwaltung zuletzt bis auf Weiteres abgesenkt wurde.
Wie die Katastrophenzahl in die Welt kam, ist unklar. Sicher ist nur, dass sie so nicht zutreffend ist. Denn tatsächlich sehen die vom Senat jüngst beschlossenen Eckwerte für den Doppelhaushalt 2026/27 im Chialo-Etat zwar weitere Kürzungen vor – aber nicht in dem Ausmaß. Für 2026 etwa geht es „nur“ um 34 Millionen Euro, die auf Chialos 130-Millionen-Sparliste noch obendrauf gepackt werden müssen. Die Aufregung ist dennoch groß, auch über die Informationspolitik des Kultursenators.
Melanie Kühnemann-Grunow vom Koalitionspartner SPD sagt, sie hätte sich gewünscht, „dass wir uns erst einmal zusammensetzen und die Zahlen plausibilisieren“. Sie „habe da ein Déjà-vu“. Schon bei der Kürzungsrunde im vergangenen Jahr hatte Chialo auf die Kommunikation mit den Fachpolitiker:innen verzichtet.
Melanie Kühnemann-Grunow, SPD
Herausgekommen war dann jene – teils stümperhaft zusammengestellte – Sparliste, deren Auswirkungen derzeit spürbar werden, ob bei den angehobenen Eintrittspreisen und gestrichenen Produktionen bei Theater- und Opernhäusern oder den auf der Kippe stehenden Honoraren in den kommunalen Galerien der Bezirke.
Der Sprecher für Kulturfinanzierung der Grünen-Fraktion und ehemalige Finanzsenator Daniel Wesener geht unterdessen davon aus, dass es auch im kommenden Jahr knüppeldick kommen wird. Bei den zusätzlich einzusparenden 34 Millionen werde es ihm zufolge jedenfalls nicht bleiben, weitere rund 65 Millionen dürften 2026 hinzukommen. Das ist jener Kürzungsbetrag, der in Chialos aktuellem 130-Millionen-Streichkonzert nur „durch klassische Einmaleffekte“ wie das Verfrühstücken der Rücklagen der Kulturinstitutionen erbracht wird. „Das Geld ist nun weg“, sagt Wesener. Das heißt, es muss 2026 erneut, aber eben woanders weggenommen werden. Der Kulturetat bleibt ja abgesenkt.
Er habe die fast 100 Millionen Euro, die damit im kommenden Jahr „irgendwie aus der Kulturförderung herausgestrichen werden müssen“, mal auf den aktuellen Kulturhaushalt umgelegt, sagt Wesener. Das Ergebnis: Selbst wenn die gesamte Projektförderung für sämtliche Sparten, die kulturelle Bildung und die Bezirkskultur komplett gestrichen werden, kommt die Kulturverwaltung nicht auf diesen Betrag.
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Ihm fehle „wirklich jede Fantasie, wie die anstehenden Kürzungen im Kulturhaushalt 2026 umgesetzt werden können“, sagt der Grünen-Politiker. Er habe bislang gedacht, Chialo habe keinen Plan. „Aber es ist viel schlimmer: Angesichts dieser Zahlen kann es auch gar keinen Plan geben.“
Das sieht auch Melanie Kühnemann-Grunow so: „Es ist klar, dass Einsparungen im Kulturbereich vorgenommen werden müssten – aber das hier passt doch vorn und hinten nicht“, sagt die SPD-Politikerin. Ihre Befürchtung ist aber, dass Chialo nun wirklich alle Kürzungen auf die freie Szene und den Bereich der kulturellen Bildung abwälzt.
Auf eines kann sich der Senator dabei verlassen: Der Protest der Kunst- und Kulturszene ist ihm sicher. Erst am Samstag gingen vor dem Roten Rathaus wieder Tausende auf die Straße, um gegen die Kürzungen in allen Bereichen zu protestieren.
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