Prozess gegen Maja T.: Ausgeliefert in Ungarn
Maja T. aus Thüringen wurde nach Ungarn ausgeliefert. Der Vorwurf: Angriffe auf Rechtsextreme. Nun begann in Budapest der Prozess.
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Seit 14 Monaten sitzt Maja T. in Haft, seit acht Monaten in Isolationshaft in einem Budapester Gefängnis nur eine Straßenecke weiter, in einer Zelle, die zwei mal drei Meter misst. Nun ist die 24-jährige nichtbinäre Thüringer*in erstmals wieder in der Öffentlichkeit zu sehen. Stumm sitzt T. zunächst auf der Anklagebank, eine Dolmetscherin neben sich.
Später aber erhebt sich T. und verliest mit fester Stimme eine Erklärung. „Ich bin angeklagt in einem Land, in dem ich als nonbinärer Mensch gar nicht existiere. Ich bin angeklagt, weil ich Antifaschist*in bin.“ Es sei ein Prozess, „in dem ich bereits verurteilt bin“, sagt Maja T. dem Richter ins Gesicht. Es gehe „einzig darum, mich zu bestrafen und zu brechen“. Aber T. werde dagegen die Stimme erheben.
Vermummte griffen mehrere Rechtsextreme an
Vor zwei Jahren soll Maja T. in Budapest gewesen sein. T. soll sich an linken Protesten gegen den „Tag der Ehre“, ein alljährliches Treffen von Rechtsextremen aus ganz Europa in Ungarns Hauptstadt, beteiligt haben. Glorifiziert wird dort der „Widerstand“ von SS und Wehrmacht 1945 im von der Roten Armee belagerten Budapest. Die Neonazis marschieren in Uniformen und Stahlhelmen auf, zeigen Hakenkreuze und Hitlergrüße. Im Februar 2023 aber treffen sie auf gewalttätige Gegner: Vermummte greifen vor und nach dem Aufmarsch mehrere Rechtsextreme an, verprügeln diese schwer.
Es folgt eine Großfahndung. Noch in Budapest nimmt die Polizei drei Linke fest: zwei Mittzwanziger aus Berlin, Anna M. und Tobias E., sowie die italienische Aktivistin und Lehrerin Ilaria Salis. Es wird nach zehn weiteren Deutschen gesucht, monatelang erfolglos. Bis eine Person im Dezember 2023 in einem Hotel in Berlin von deutschen Zielfahndern aufgespürt und festgenommen wird: Maja T.
Die Strafverfolgung überrascht angesichts der Angriffe nicht. Aber die Festnahme hätte der Beginn eines diplomatischen Tauziehens zwischen Ungarn und Deutschland werden können – über die Frage, ob man Maja T. in das rechtsautoritäre Ungarn ausliefern kann, welche Haftbedingungen es dort gibt, umso mehr für eine nichtbinäre Person, und ob ein fairer Prozess zu erwarten ist. Aber Deutschland äußert keine Bedenken.
Die Staatsanwältin fordert 14 Jahre Haft
Sechs Monate sitzt Maja T. in der JVA Dresden in Haft, dann gibt das Berliner Kammergericht am Abend des 27. Juni 2024 dem Auslieferungsersuchen Ungarns statt. Noch in der Nacht wird Maja T. vom sächsischen LKA in einem Helikopter nach Österreich geflogen, von dort nach Budapest gefahren – offenbar akribisch vorbereitet. All dies, noch ehe das Bundesverfassungsgericht über eine Eilbeschwerde gegen die Auslieferung entscheiden konnte. Als Karlsruhe dieser tags darauf stattgibt, ist Maja T. bereits in Ungarn – der Beschluss bleibt folgenlos.
Am vergangenen Freitag verliest in Budapest eine Staatsanwältin die Anklage gegen Maja T. Lebensgefährliche Körperverletzung und Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung lautet der Vorwurf. An zwei Angriffen auf sechs Personen soll T. sich beteiligt haben, auf zwei öffentlichen Plätzen: Personen, die wegen ihrer Shirts oder Militärkleidung als Rechtsextreme identifiziert wurden, seien zunächst verfolgt, dann überfallartig von Vermummten attackiert worden, auch mit Schlagstöcken oder Hämmern. Nach rund 30 Sekunden seien die Angreifer geflohen, hätten noch Pfefferspray versprüht. Die Überfallenen hätten Kopfplatzwunden, Knochenbrüche und Prellungen erlitten.
Dass die Opfer nicht in Lebensgefahr gerieten, sei „nur dem Zufall geschuldet“, sagt die Staatsanwältin. Sie fordert für Maja T. 14 Jahre Haft – im Falle eines Geständnisses. Ansonsten, so ging es aus früheren Schriftwechseln hervor, könnten es bis zu 24 Jahre werden. Es sind Strafhöhen, die weit über die im deutschen Strafrecht üblichen hinausgehen.
Ein Geständnis? Maja T. zögert nicht lange. „Nein“, sagt T. dem Richter. Die Anklage beruhe auf „reinen Hypothesen“, führe keine Tatsachen an. „Sie erwarten allen Ernstes von mir, dass ich diese Behauptungen zu meinen eigenen mache?“
Die Verteidigung spricht von einem „Schauprozess“,
Zu den Angriffen äußert sich Maja T. nicht. Stattdessen erhebt T. selbst eine Anklage. Gegen den ungarischen Staat, der dulde, dass Rechtsextreme beim „Tag der Ehre“ aufmarschieren, dessen Bekenntnisse zu Menschenrechten nur auf dem Papier existierten. Einen Staat, der Gefangene in Haft verprügele, „ich hörte Schreie und Schläge in den Zellen“. Eine Anklage gegen deutsche Behörden, die T. nach Ungarn auslieferten, das eigene höchste Gericht übergehend. „Dieses Verfahren hätte in Deutschland stattfinden sollen“, sagt Maja T. „Ich erwarte, dass dem nun endlich ein Ende gesetzt wird.“
Auch Sven Richwin und Maik Elster, die Anwälte von Maja T., halten die angedrohte Strafhöhe für völlig überzogen – und die Beweislage für dürftig. So gibt es ein Überwachungsvideo, das Maja T. in einer Straßenbahn vor einer der Taten zeigen sollen. „Das ist aber alles andere als ein Tatnachweis“, sagt Richwin. „Die Beweislage ist völlig undurchsichtig.“ Erst einen Tag vor Prozessbeginn bekamen die Anwälte die komplette Akte, 9.100 Seiten, die meisten auf Ungarisch. Worauf die Anklage genau gründet, war bis dahin nicht klar.
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Richwin spricht von einem „Schauprozess“, in dem Maja T. „als lebendes Feindbild vorgeführt“ werde. „Mit einem fairen Verfahren hat das nichts zu tun.“ Immer wieder sei Maja T. ein Kontakt zu T.s ungarischem Anwalt verwehrt worden. Eine Befragung durch Ermittler habe ohne diesen stattgefunden. Die meisten Akten würden für T. nicht ins Deutsche übersetzt. Von den Tatvideos bekam T. zwar eine DVD, aber kein Abspielgerät.
Zudem seien die Haftbedingungen „klar rechtswidrig“, klagt Richwin. Auch Maja T. klagt im Gericht über die andauernde Isolationshaft, anfangs mit permanenter Kameraüberwachung. T. berichtet von täglichen Zellenkontrollen, auch mit Anordnungen, sich zu entkleiden. Von Schlafentzug, weil auch nachts stündlich das Licht angeschaltet werde. Von Bettwanzen und Kakerlaken, von Hautausschlag, von verweigerten Arztbesuchen, von fehlendem gesundem Essen und Tageslicht. „Mein Sehvermögen schwindet, mein Körper ermattet.“
Der Richter weist die Vorwürfe zurück: Die wesentlichen Akten seien frühzeitig und übersetzt übergeben worden. Die Haftbedingungen seien rechtmäßig, die JVA habe zugesichert, diese zu verbessern. „Das Recht auf faire Verfahrensführung ist bisher nicht beschädigt worden.“ Der Verteidiger von Maja T. widerspricht umgehend.
Italien zeigt, wie es auch gehen könnte
Das Berliner Kammergericht hatte sich auf Garantieerklärungen des ungarischen Justizministeriums verlassen, das zusicherte, dass es für Maja T. menschenrechtskonforme Haftbedingungen und einen richterlich unabhängigen Prozess geben werde. Zudem könne Maja T. im Falle einer Verurteilung die Haft auch in Deutschland verbüßen. Richwin kritisiert die Zusagen als „floskelhaft“, den Berliner Gerichtsbeschluss als „fahrlässig naiv“.
Das Bundesverfassungsgericht gab der Verfassungsbeschwerde der Anwälte zuletzt recht: Das Kammergericht habe die Haftbedingungen für Maja T. als nichtbinäre Person „nicht hinreichend aufgeklärt“, die Auslieferung sei rechtswidrig gewesen. Dass T. trotzdem weiterhin in Ungarn in Haft sitze, kritisiert Anwalt Richwin als „rechtlich unhaltbaren Zustand“.
Dabei zeigt sogar das von der Postfaschistin Georgia Meloni regierte Italien, wie es anders geht. Als dort Briefe der inhaftierten Ilaria Salis öffentlich wurden, in denen sie katastrophale Zustände in der ungarischen Haft beklagte, und auch sie in Ketten und an einer Leine im Gericht vorgeführt wurde, bestellte die Regierung den ungarischen Botschafter ein. Salis kam daraufhin erst in Hausarrest, dann erhielt sie Immunität, weil sie für eine italienische Linkspartei ins Europaparlament gewählt wurde. Die Auslieferung eines zweiten Italieners wegen der Budapester Angriffe lehnte ein Mailänder Gericht ab.
Berlins Justizsenatorin Felor Badenberg (CDU) hatte die Auslieferung von Maja T. für „beanstandungsfrei“ erklärt. Eine Rückholung sei rechtlich unmöglich. Vom Auswärtigen Amt heißt es, die Botschaft in Budapest stehe „in engem Kontakt“ mit den Anwälten und Angehörigen von Maja T., man setze sich für bessere Haftbedingungen ein. Botschaftsmitarbeitende sitzen am Freitag im Publikum. Druck wie Italien aber macht die rot-grüne Restregierung nicht. Von einem verstärkten Eintreten von Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne), wie jüngst berichtet, habe er noch nichts bemerkt, sagt Anwalt Richwin. „Solange sie keine Rücküberstellung nach Deutschland einfordert, wirkt das nur wie Wahlkampf.“
Es gibt noch viele andere Fälle
Maja T. ist nicht allein im Visier der ungarischen und deutschen Ermittler. Seit Januar 2024 läuft in Budapest ein Prozess gegen die dort festgenommene Berlinerin Anna M. – sie ist auf freiem Fuß, auch weil ihr keine konkrete Gewalttat, sondern nur Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung vorgeworfen wird. Tobias E., dem derselbe Vorwurf gemacht wurde, ließ sich auf ein Geständnis ein und wurde im Januar 2024 in Budapest zu drei Jahren Haft verurteilt, die später auf ein Jahr und zehn Monate verringert wurden. Im Dezember wurde E. nach Deutschland ausgeliefert, wo er sofort wieder festgenommen wurde, weil ihm hier weitere Angriffe vorgeworfen werden.
Von den anderen gesuchten deutschen Linken wurde ein weiterer im November festgenommen: der Leipziger Johann G., nach dem die Ermittler schon seit Jahren fahndeten und den sie als Kopf einer Gruppe um die bereits verurteilte Leipzigerin Lina E. sehen. Lina E. und drei Mitangeklagte wurden bereits zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt, weil sie ab 2018 mehrere Angriffe auf Neonazis in Sachsen und Thüringen verübt haben sollen – mit gleichem Tatmuster wie in Budapest.
Sieben weitere der Gesuchten stellten sich im Januar der Polizei. Sie sitzen nun in Nordrhein-Westfalen, Sachsen und Hamburg in Haft. Nach Ungarn ausgeliefert werden sie wohl nicht: Die Bundesanwaltschaft erklärte inzwischen, dass es „vorrangig“ sei, die Verfahren in Deutschland zu führen. Ein Sprecher der Berliner Generalstaatsanwaltschaft, wo die Verfahren gebündelt werden sollen, sagte der taz, sobald alle Verfahren eingetroffen seien, werde man einen Antrag auf Nichtauslieferung stellen. Im Fall von Johann G. lehnte ein Oberlandesgericht bereits eine Auslieferung ab. Unklar ist indes der Fall des Syrers Zaid A., der sich ebenfalls im Januar stellte. Da er nicht deutscher Staatsbürger ist, gilt die Zusage der Bundesanwaltschaft für ihn nicht. Er befindet sich in der JVA Köln in Auslieferungshaft.
Auch in München wird verhandelt
Doch davonkommen lassen will auch die Bundesanwaltschaft die Beschuldigten nicht. Erst am Mittwoch begann in München ein Prozess gegen eine 30-jährige Kunststudentin, Hanna S., der ebenfalls die Budapester Angriffe vorgeworfen werden. Verhandelt wird in einem unterirdischen Hochsicherheitssaal. Die Bundesanwaltschaft wirft Hanna S. versuchten Mord vor, was zu mehrjährige Haft führen könnte. Ihre Verteidiger halten das für völlig überzogen. Einen Entschluss, Neonazis zu töten, habe es nicht gegeben. Das Gericht signalisierte aber, dass der Vorwurf am Ende nur auf gefährliche Körperverletzung lauten könnte.
In Budapest äußert Maja T. am Ende der vorgebrachten Erklärung Hoffnung. Irgendwann werde „der Winter weichen“. Dann dreht sich Maja T. zur Familie und den Unterstützer*innen um, bedankt sich für die Solidarität. „Ich hab euch verdammt lieb.“ Ein junger Mann ruft zurück: „Wir dich auch.“
Der Vater von Maja T., Wolfram Jarosch, sagt später, er habe sein Kind „unglaublich stark und mutig“ erlebt. Es brauche ein Ende des Prozesses in Ungarn und ein deutsches Verfahren oder mindestens eine Haftentlassung und Hausarrest. Das aber weist das Gericht zurück. Der Prozess wird am 6. März fortgesetzt.
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