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Fotos über Gentrifizierung in BerlinAbreißen, aufhübschen, unbrauchbar machen

Die Fotogalerie Friedrichshain zeigt Fotos über Gentrifizierung. Nur wenige Gegenden sind stärker davon gezeichnet als der Kiez rund um die Galerie.

Aus der Fotoreportage „Kampf um das Tuntenhaus“ zum Thema der Ausstellung „Wohnst du noch?“ in der Fotogalerie Friedrichshain Foto: Britta Burger

Berlin taz | Die Fotogalerie Friedrichshain an der Helsingforser Straße liegt in einer unwirklichen Gegend. Jenseits der Warschauer Brücke posieren die glänzenden „Leuchttürme“ der Berliner Stadtentwicklung, die seit den späten 2000er Jahren aus dem Megakommerzprojekt Mediaspree hervorgegangen sind: die Uber Arena, die East Side Mall, das Zalando Headquarter, der Amazon Tower.

Gegen die Kolossbebauung des Spreeufers hatte sich anfangs Widerstand formiert. Es half nichts. Weder ein Bürgerentscheid noch Demonstrationen und Aktionen des zivilen Ungehorsams konnten dem Stadtumbau gefährlich werden. Auf den rund 3,7 Kilometern entlang der Spree mussten neben alten Industriebauten auch Wohnraum und Kulturorte weichen. Sozialer Wohnungsbau war während der Planung ein nebensächliches Thema – und schließlich keines mehr.

Der ramponierte Anblick der Silhouette Richtung Spree von der Fotogalerie aus verlagert sich auf der anderen Seite der Warschauer Straße in sein Komplementär: Veränderung vollzieht sich hier vergleichsweise gemächlich. Das Friedrichshain, das einst von Arbeitern, Aktivisten und Systemverweigerern geprägt war, hat sich nur ganz allmählich – aber überaus sorgfältig – aus dem Boxhagener Kiez und seinen Ausläufern verabschiedet.

Die Ausstellung

„Wohnst du noch? Reportagen über Verdrängung" noch bis 21. Februar in der Fotogalerie Friedrichshain, Helsingforser Platz 1, 10243 Berlin, Öffnungszeiten: Dienstag, Mittwoch, Freitag, Samstag 14–18 Uhr, Donnerstag 10–20 Uhr, Eintritt frei

Heute findet das letzte Aufbegehren unangepassten Lebens vielleicht noch in der Rigaer Straße im Friedrichshainer Nordkiez seinen Niedergang. An der Warschauer Straße eröffnet dagegen ein Rewe mit rein pflanzlichem Sortiment; nebenan wird veganes Sushi angeboten. Zu Tisch sitzen jene, die einst Mediaspree versenken wollten.

Mittels Eigenbedarfskündigung gezwungen zu gehen

Anders als beim Mediaspree-Moloch haben die Kiezbewohner die lebensfeindlichen Bedingungen mitgeschaffen, die die Umgebung des Boxhagener Platzes prägen. Wer bis heute in diesem Friedrichshain durchgehalten hat, fällt mit seiner Wohnung möglicherweise demnächst aus der Sozialbindung oder wird mittels Eigenbedarfskündigung gezwungen zu gehen – wie im Quartier an der Weberwiese, wo den Bewohnern von 500 Wohneinheiten angeboten wurde, ihre Wohnung zu kaufen – oder abzuwarten, bis ein Dritter übernimmt und Eigenbedarf anmeldet.

Zwischen diesen Sphären präsentiert die Fotogalerie Friedrichshain derzeit die Ausstellung „Wohnst du noch – Reportagen über Verdrängung“. Sie läuft noch bis zum 21. Februar. Konzipiert wurde sie von der Fotojournalistin Ann-Christine Jansson, die die zehn teilnehmenden Fotografen ein Jahr lang im Rahmen ihrer Projektklasse Reportagefotografie schulte.

Neukölln, Kreuzberg, Prenzlauer Berg und Lichtenberg sind die Orte des Geschehens dieser Abschlussarbeiten: Überall wird abgerissen, aufgehübscht und unbrauchbar gemacht. Der Gebrauchswert sinkt, der Tauschwert steigt. Wo vor Kurzem noch ein Gemeinschaftshaus stand, ist heute teure Brache. Wo gerade noch ein Miniappartement war, sind jetzt zwei Mikroappartements. Im Berlin des Wandels steht alles zur Disposition.

Ein Bild aus der Serie „Das Verschwinden“ von Ingrid Munkhammar, zu sehen in der Fotogalerie Friedrichshain am Helsingforser Platz Foto: Ingrid Munkhammar

Die Ausstellung fängt diese Unsicherheit ein. Zu sehen sind Aufnahmen von abgekämpften Gesichtern. Orte, die einst Sicherheit gaben und heute bedroht oder verschwunden sind. Aber auch Menschen, die sich gegen die Verdrängung stellen und einfach bleiben – oder bleiben müssen.

Leben zwischen den Welten

Wie am Hafenplatz in Kreuzberg, wo mehr als 1.300 Menschen in bester City-Lage, aber heruntergekommenen Gebäuden wohnen. Tom Sauer hat dieses Leben zwischen den Welten in „Hafenplatz schwebt“ dokumentiert. Auf einer seiner Fotografien blicken zwei Mädchen aus einem geöffneten Fenster auf das unscharfe Weite, das auf der einen Bildhälfte nach wenigen Metern an der Wand des Nachbarhauses endet und sich auf der anderen Hälfte im Grün der Bäume verliert.

Ihre Gesichter sind nicht zu sehen, aber ihr Gefühlsausdruck lässt sich ableiten, wenn man die Geschichte des Hafenplatzes kennt. 2021 kaufte ein Investor das Grundstück. Seither spekuliert er auf den Abriss, überlässt den Komplex und seine Bewohner sich selbst. Der Hafenplatz verfällt, während eine Kindheit heranwächst, die zwischen Müll und Sehnsucht schwebt.

Die Serie „Names and Numbers“ von Julia Tomalka zeigt Aufnahmen aus Wohnungen, deren einst großen Räume nun Mini-Zimmer sind Foto: Julia Tomalka

Ingrid Munkhammar geht in ihrer Reportage „Das Verschwinden“ zu Menschen und an Orte in Neukölln, die in der Verwertungslogik der Immobilienwirtschaft überflüssig sind. Anstelle von Kneipen treten mondäne Bars, die Neuköllner Nachfragekriterien erfüllen: dunkles Licht, abgerissene Tapete und Negroni.

Verdrängung in der Erzählung von Munkhammer bedeutet aber nicht nur Verschwinden, sondern auch Sichtbarkeit. Die Fotografin porträtiert Menschen entlang des Landwehrkanals: Schwarze, die ihren Alltag im Freien verbringen, gesehen und übersehen werden, Kiffer, Musiker, Obdachlose. Munkhammer fängt sie ästhetisch ein, aber stilisiert sie nicht. Das Hässliche hat in den Fotografien seinen Platz. Wie sollte es auch anders sein auf der Straße, wo sich fast das ganze Leben der Menschen abspielt? Sie sind gekommen, um zu bleiben. Und das geht am besten dort, wo das Sitzen keinen Eintritt kostet.

Erfolgreich gegen einen Investor zur Wehr gesetzt

Einige der in der Ausstellung dokumentierten Kämpfe möchten Hoffnung machen. Das Beispiel des Tuntenhauses in Prenzlauer Berg zum Beispiel, das sich erfolgreich gegen einen Investor zur Wehr setzte. Doch diese kleinen Siege können nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie nur eine vorläufige Momentaufnahme sind. Deshalb ist es gut, ihnen jetzt Raum zu geben und nicht auf ihr Verschwinden zu warten.

Diesen Auftrag sieht auch Kuratorin Ann-Christine Jansson für sich: „Reportagefotografie bedeutet für mich, eine eigene Position zur Wirklichkeit zu beziehen und sie in den fotografischen Erzählungen zu zeigen.“ In der Ausstellung haben sich ihre Schüler dieser Maxime verschrieben. Die gezeigten Fotografien dokumentieren nicht nur, sie nehmen auch am Geschehen teil – und wer sie betrachtet, tut dies ebenfalls.

Die Galerie trotzt seit 40 Jahren den Veränderungen im direkten Umfeld

Der Ort, der dies möglich macht, trotzt seit nunmehr 40 Jahren den Veränderungen im unmittelbaren Umfeld. 1985 war die Galerie in Friedrichshain der erste Ausstellungsort in der ehemaligen DDR, in dem ausschließlich Fotografie gezeigt wurde. „Fotografie galt in der DDR noch nicht als Kunst“, sagt Andreas Maria Kahn, der hier als Galerieassistent arbeitet. Die Galerie habe dieses Verständnis erst etabliert, betont der 55-Jährige. „Heute zeigen wir hier Fotografie nach ästhetischen, politischen und künstlerischen Abwägungen.“ In einem Werk könnten jedoch alle drei Aspekte zusammenfallen, sagt Kahn.

Wenn dem so sein sollte, dann entzieht sich die Kunst sowohl dem Schönen als auch dem Politischen als alleinigen Kriterien: Sie widersteht einem bestimmten Zweck und letztlich der Verwertung. Vielleicht schafft dies neue Freiräume, die der Verdrängung entgegenwirken.

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