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Der Kampf um den Folterkeller

Eine geplante Gedenkstätte für Folteropfer der Franco-Diktatur in Madrid sorgt für Streit in der Politik

Aus Madrid Reiner Wandler

Seit 14 Jahren geben die Demonstrierenden nicht auf: Jeden Donnerstagabend versammeln sich einige Dutzend Menschen vor dem Gebäude der Madrider Regionalregierung am zentralen Platz Puerta del Sol. Sie verlangen „Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung“ für die Gewaltverbrechen, unter der Teile der Bevölkerung während der Franco-Diktatur gelitten haben. Viele von ihnen wurden selbst gefoltert oder sind Angehörige von damaligen Folteropfern.

Ihre Forderungen sind aktueller denn je: Zu Francos 50. Todestag plant die Regierung eine Reihe an Gedenkfeiern. Für die Folteropfer soll am Gebäude an der Puerta del Sol eine Gedenkstätte entstehen.

Ildefonso Gómez zeigt auf den Bau, vor dem sie stehen: „Hier wurde in den Jahren der Franco-Diktatur gefoltert“, erklärt der Sprecher der Initiative. Dort im Keller des Real Casa de Correos, befanden sich von 1939 bis 1979 die Zentrale und die Zellen der Politischen Polizei, der Generaldirektion für Sicherheit (DGS).

Der 76-jährige Gómez wurde dort insgesamt neun Mal mit Gewalt verhört. „Das erste Mal, als ich gerade 15 war, das letzte Mal 1977“, erklärt er. „Einmal wurde ich so schwer misshandelt, dass ich anschließend für 25 Tage ins Gefängnishospital eingewiesen wurden musste“, fügt er hinzu.

Gewerkschafter, Gegner der Diktatur, rebellische Studenten, Schwule, Frauen, die abtreiben ließen, alle, die als staats- und moralfeindlich galten, wurde hierher gebracht. Das letzte Opfer starb 1980, bereits in der Demokratie, kurz bevor die neu geschaffene Regionalregierung einzog.

Der Plan, einen Gedenkort zu errichten, führt jetzt zu einem politischen Streit. Denn im Real Casa de Correos, im Königlichen Haus der Post, hat seit den 1980er Jahren die Regionalregierung der Hauptstadtregion Comunidad de Madrid ihren Sitz. Dort gibt die konservative Partido Popular (PP) den Ton an und die will ein solches Gedenken um jeden Preis verhindern.

Eine Gedenkstätte würde den Namen der Comunidad de Madrid beschmutzen, beschwert sich Regionalpräsidentin Isabel Díaz Ayuso. Sie wäre ein „Angriff auf die Regionalregierung“ und auf die Hauptstädter als solche und würde die Bevölkerung spalten. Deshalb dürften am Gebäude nur Tafeln angebracht werden, die die Spanier einen.

Ihr schweben Tafeln vor im Gedenken an den Aufstand gegen die napoleonische Besatzung, an die Opfer der islamistischen Anschläge auf Pendlerzüge und die an Covid Verstorbenen.

Díaz Ayuso hatte zwar ­Auschwitz einen offiziellen Besuch abgestattet. Doch den Faschismus in Spanien und die Gräueltaten der Diktatur, die sich in Díaz Ayusos heutigem Amtssitz abgespielt haben, hat sie nie verurteilt.

Das fragliche Gebäude ist ein Beispiel für den bisherigen Umgang Spaniens mit seiner Vergangenheit. Kaum jemandem ist heute, 50 Jahre nach dem Tod Francos, noch bewusst, was hier geschah. Die Puerta del Sol steht heute für die meisten vielmehr für Neujahr. Die Uhr des Gebäudes läutet jedes Jahr vor Tausenden auf dem Platz und vor Millionen am Bildschirm den Jahreswechsel ein.

Die Weihnachtszeit über werden die Fenster der Regionalregierung zu lauter Musik bunt beleuchtet. Zehntausende Touristen lassen sich jedes Jahr an diesem Punkt fotografieren. Zur traurigen Geschichte des Gebäudes selbst gibt es nichts.

„In allen Hauptstädten, die Szenario des Schreckens des Nazismus und Faschismus waren, gibt es Gedenktafeln. Museen, die an die Menschen erinnern, die für die Freiheit kämpften.

Doch hier vor der Puerta del Sol erinnert nichts an die Tausende Frauen und Männer, die Widerstand gegen die Diktatur leisteten“, erklärt Willy Meyer gegenüber der spanischen Presse. Der 70-jährige ehemalige EU-Abgeordnete der spanischen Partei Vereinigten Linke wurde als junger Mann selbst an der Puerta del Sol misshandelt.

Bevor an der Puerta del Sol tatsächlich etwas geschieht, dürfte es zu einem heftigen Rechtsstreit kommen. Denn die konservative Partido Popular von Regionalpräsidentin Díaz Ayuso hat ihre absolute Mehrheit im Regionalparlament genutzt, um kurz vor Jahreswechsel ein Gesetz zu erlassen, dass jedwede weitere Gedenktafel am Gebäude verbietet.

Ildefonso Gómez geht eine Gedenkstätte ohnehin nicht weit genug. „Es geht uns um Gerechtigkeit. Erst wenn mit der Straffreiheit Schluss ist, geben wir Ruhe“, sagt er. Dafür ist er bereit, auch die kommenden Jahre jeden Donnerstag an die Puerta del Sol zu kommen und zu demonstrieren.

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