Millionennachzahlung verlangt: Mieter wehren sich erfolgreich gegen Heizkostenwucher
Göttinger müssen überhöhte Heizkostennachzahlungen erstmal nicht bezahlen. Die Hauseigentümerin LEG klagt nun gegen den Energieversorger Enercity.
![auf einem Holzhaus vor Hochhäusern liegt ein ewig Schnee auf einem Holzhaus vor Hochhäusern liegt ein ewig Schnee](https://taz.de/picture/7530846/14/N1-auf-5-5sp-1.jpeg)
In der seit über einem Jahr andauernden Auseinandersetzung darum deutet sich nun eine ungewöhnliche Wende an. Die LEG-Immobilien-Gruppe, die in den oft als „abgehängt“ beschriebenen Teilen des Viertels rund 1.100 Wohnungen besitzt, will nun gegen den Energielieferanten Enercity klagen statt gegen die Mieter. Die sind dadurch zumindest für die nächsten Jahre vor diesen Forderungen geschützt.
Auf einer gut besuchten Bürgerversammlung am Mittwochabend begrüßten die von Mietern ins Leben gerufene Prüfgemeinschaft und der Mieterbund den Vorstoß. Es handele sich um ein „Vorbild auch für andere Quartiere“.
Vor gut einem Jahr hatten Mieterinnen und Mieter der LEG in Grone ihre Heizkostenabrechnungen für 2022 mit teils horrenden Nachforderungen erhalten, insgesamt mehr als 1,5 Millionen Euro. Enercity – das Unternehmen ist weitgehend im Besitz der Stadt Hannover – hatte die Erhöhung mit einer sogenannten Preisanpassungsklausel im Wärmelieferungsvertrag begründet und unter anderem auf eine sich damals abzeichnende Energiekrise infolge des Ukraine-Krieges verwiesen. Die LEG hatte die Kosten vorgestreckt und dann an die Mieter weitergereicht.
Massenhafte Widersprüche gegen Nachzahlung
In der Folge verbündeten sich viele Groner Mieter. Sie riefen eine Prüfgemeinschaft ins Leben, der inzwischen rund 60 Prozent der LEG-Haushalte angehören, und legten massenhaft Widersprüche gegen die Nachzahlungsforderungen ein. Gleichzeitig gaben sowohl die Prüfgemeinschaft als auch LEG und Enercity Gutachten in Auftrag, die erwartungsgemäß zu unterschiedlichen Bewertungen kamen. Der Widerstand war zunächst erfolgreich, bis heute mussten die Mieterinnen und Mieter nicht zahlen. Die Forderung blieb jedoch bestehen.
Nach langen Verhandlungen zwischen LEG, Prüfgemeinschaft und Mieterverein können die Beteiligten jetzt einen Ausweg aus der festgefahrenen Lage aufzeigen: Das Immobilienunternehmen will die Rechtmäßigkeit der Nebenkosten gerichtlich prüfen lassen und gegen Enercity klagen. „Der Entwurf dafür soll bis nächste Woche stehen und spätestens im März eingereicht werden“, sagte LEG-Jurist Clemens Kuhn der taz. „Wir haben jetzt gemeinsam einen Weg zum Wohle der Mieter gefunden, und wir sehen sehr große Erfolgsaussichten.“
Dabei rechnet die LEG mit einem mindestens drei Jahre dauernden Verfahren durch mehrere Instanzen. So lange, versichert Kuhn, müssten die Mieter die Heiznebenkosten für 2022 keinesfalls zahlen, auch Zinsen würden in dieser Zeit nicht auflaufen. „Wir stunden die Zahlungen für die Zeit der Klage.“ Die LEG werde auch keine Kündigungen wegen Zahlungsverzugs aussprechen, die Forderungen nicht mit Kautionen verrechnen und den Bewohnern auf Wunsch Bescheinigungen für Mietschuldenfreiheit ausstellen.
Bei einem Erfolg vor Gericht, verspricht die LEG, erhalten alle Mieter eine neue Abrechnung für 2022. „Wir legen dann den Preis zugrunde, der vor der Erhöhung in Kraft war, also den von 2021. Wir ziehen also die 1,5 Millionen wieder von den Heizkosten ab.“ Für Enercity wäre eine juristische Niederlage übrigens locker zu verschmerzen. Im Krisenjahr 2022 hat der Konzern nach eigenen Angaben ein Rekordgeschäft gemacht und 218,5 Millionen Euro Gewinn erwirtschaftet – ein Plus von 3,2 Prozent gegenüber dem Vorjahr.
Und wenn die Klage scheitert, die Heizkostenforderung also für rechtmäßig befunden wird? Für diesen Fall, sagt Andrea Obergöker „haben wir einen Rettungsschirm aufgespannt“. Die Rechtsanwältin war an den Verhandlungen mit der LEG beteiligt. So beinhalte die Vereinbarung etwa Möglichkeiten der Zahlung in Raten von maximal 50 Euro pro Mieter und 125 Euro pro Mietverhältnis. Es werde kein Inkassobüro mit dem Eintreiben von Rückständen beauftragt. Und schließlich lege die LEG einen Härtefallfonds über 300.000 Euro auf, falls der Prozess verloren geht. Über die Auszahlung bestimmt ein Ausschuss aus Prüfgemeinschaft, Mieterverein und LEG. Wer transferleistungsberechtigt sei, so Obergöker, bekomme die Nebenkosten ohnehin von der Stadt beziehungsweise der Arbeitsagentur erstattet: „Ich glaube, dass niemand existenzielle Sorgen haben muss.“
Hendrik Falkenberg von der Prüfgemeinschaft zeigt sich ebenfalls sehr zufrieden mit der Vereinbarung. „Wir haben was Tolles erreicht, was Wunderschönes“, freut er sich. Als „Haar in der Suppe“ sehen die Mietaktivisten indes eine am Mittwochabend von der LEG vorbereitete und verteilte „Verjährungsverzichterklärung“.
„Verlieren wir, besteht ja der alte Anspruch aus der Nebenkostenabrechnung“, erläutert LEG-Jurist Kuhn den Bewohnern. „Da die Klage gegen Enercity lange dauern kann, ist es möglich, dass der Anspruch gegen Sie verjährt ist. Das wollen wir vermeiden. Erklären Sie nicht den Verzicht, müssten wir Sie direkt verklagen und nicht Enercity. Das wollen wir aber nicht, und deshalb werben wir für diesen Weg.“
Um das Abkommen nicht zu gefährden, raten auch Falkenberg und Anwältin Obergöker allen Betroffenen, die Erklärung zu unterzeichnen.
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