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Keine Blumen für die Levys

Seit 2008 fordert eine jüdische Familie ein Gemälde des impressionistischen Malers Lovis Corinth von der Stadt Hannover zurück. Doch die zögert und mauert. Jetzt möchte sie den Fall am liebsten loswerden

Lovis Corinth, Bunte Wicken und Rosen (Erbsenblüten), 1913 Foto: wikimedia commons

Von Nadine Conti

Das Blumenstillleben, um das hier gestritten wird – das gehört nicht einmal zu den bedeutendsten Werken von Lovis Corinth, wie der Kunstexperte Stefan Koldehoff erklärt. Ein schönes Bild sind „Bunte Wicken und Rosen (Erbsenblüten)“, 1913 entstanden, sehr wohl. Koldehoff schätzt den Wert auf 400- bis 450.000 Euro. In Hannover hängen sie allerdings im Depot des Landesmuseums, wo sie kein Besucher zu Gesicht bekommt.

Für die Stadt Hannover ist dieses Stillleben vor allem Teil eines sehr viel größeren Problems. Das hat sich Hannover schon 1949 eingehandelt. Der damalige Leiter des Landesmuseums, Ferdinand Stuttmann, kaufte 115 Werke aus der Sammlung Conrad Doebbeke – eines ziemlich fragwürdigen Immobilienhändlers und Kunstsammlers aus Berlin. Der ist nicht nur frühzeitig in die ­NSDAP eingetreten, sondern hat auch später – nach dem 2. Weltkrieg – gar keinen Hehl daraus gemacht, dass er große Teile seiner Sammlung verzweifelten Juden abgekauft hatte.

Das steht so ganz unverblümt in Briefwechseln, die sich heute noch in Archiven finden lassen. Der schon erwähnte Stefan Koldehoff hat das – zusammen mit seiner Kollegin Änne Seidel – in zwei Episoden des Deutschlandradio-Podcasts „Tatort Kunst“ unter dem Titel „Hannovers Dunkles Erbe“ ebenso akribisch wie unterhaltsam nachgezeichnet.

Da schrieb etwa die Ehefrau Doebbekes: „Da haben uns die Juden das Haus eingerannt.“ Und auch dem Hannoveraner Museumsdirektor riet Doebbeke 1949 ganz dringend, das Zeug doch „lieber in den Kisten zu lassen“ und keinesfalls gleich auszustellen – wegen der „Rückerstattungsgefahr“.

Wie problematisch eine solche Sammlung ist, dämmerte natürlich auch der Stadt Hannover irgendwann. Seit 2008 gibt es eine Provenienzforscherin, Annette Baumann, die damit beauftragt ist, die problematischen Besitzverhältnisse auszuleuchten.

Fast genauso lange – also nunmehr 17 Jahre – versucht Familie Levy ihr Corinth-Bild zurückzubekommen. Doch natürlich ist das eine vertrackte Sache: Man muss ja erst einmal belegen, dass man das Bild tatsächlich besessen hat. Und dann, dass es einem in der Nazi-Zeit abhandengekommen ist und nicht etwa davor oder danach. Aber wer sich gerade noch so ins Ausland gerettet hat wie die Familie Levy, der hat selten den passenden Papierkram zur Hand.

Die Suche nach Belegen ist deshalb oft eine endlose Schnitzeljagd durch die verschiedensten Archive, auf der Suche nach Hinweisen in Ausstellungskatalogen, Werkverzeichnissen, alten Akten jener Ämter, die möglicherweise mit der Beschlagnahmung von Vermögen oder dem Einziehen der „Reichsfluchtsteuer“ befasst waren, Nachlässen von Galerien, Auktionshäusern oder Speditionen, die an Arisierungen und „Judenauktionen“ verdienten.

Auf eine solche Schnitzeljagd nimmt der Podcast seine Hörer mit. Stefan Koldehoff und seine Kolleginnen sprechen mit der 95-jährigen Ellen Lore McQuoid Levy, die sich daran erinnert, das dieses Bild in ihrer Kindheit in der Berliner Wohnung der Familie hing; mit der Dresdener Rechtsanwältin Sabine Rudolph, die die Familie seit Jahren vertritt. Sie reisen zu Archivrecherchen nach Oldenburg, München und Köln, sprechen mit Wissenschaftlerinnen und Archivaren.

Und sie versuchen auch mit der Stadt Hannover ins Gespräch zu kommen. Doch das, erklärt Koldehoff im Gespräch mit der taz immer noch erstaunt, erweist sich als seltsam schwierig – und eigentlich wisse er bis heute nicht genau, warum.

Im Podcast kritisiert er das Kommunikationsverhalten der Stadt ziemlich harsch. Das betrifft gleich mehrere Fronten: Da ist zum einen die immer wieder aufgeschobene Publikation zu den eigenen Forschungsergebnissen. Die hat die Stadt jetzt gerade für Ende Februar dieses Jahres angekündigt – ähnliche Ankündigungen gab es aber auch schon 2014 und 2019. Eine so richtig stichhaltige Begründung dafür liefert die Stadt nicht, verweist auf ihre Internetseite und Berichte im Kulturausschuss, die aber allesamt so summarisch ausfallen, das man nicht wirklich erfährt, welchen Ansätzen die Forscherin nun schon gefolgt ist, welche sie verworfen hat oder ausrecherchiert.

Auch die Anwältin der Familie Levy beklagt, dass sie oft lange auf Antwort wartet, es mit ständig wechselnden Ansprechpartnern zu tun hat und Forschungsergebnisse mit ihr nicht geteilt werden, während sie selbst unermüdlich zuliefert und über Quellen und Fundstellen immer detailliert Auskunft gegeben hat.

Ihre 95-jährige Mandantin ist kurz vor Weihnachten verstorben, ohne noch erleben zu dürfen, dass dieser Fall gelöst wird. Die Nichten, die allerdings auch schon über 60 sind, wollen weitermachen.

Von dem neuesten Stand erfuhren die Betroffenen wiederum nur aus der Zeitung. Zwar hatte die Stadt ihnen formell mitgeteilt, man wolle jetzt die für solche Streitfälle zuständige „Beratende Kommission NS-Raubgut“ (Limbach-Kommission) auf Bundesebene anrufen – oder eben das Schiedsgericht, das diese Kommission bald ersetzen soll. Das ist an sich schon schwierig, weil die Kommission aufgelöst werden soll und bisher nicht klar ist, wann das Schiedsgericht seine Arbeit aufnehmen kann.

Wer sich gerade noch so ins Ausland gerettet hat wie die Familie Levy, hat selten den passenden Papierkram zur Hand

Was die Stadt Hannover dabei allerdings nicht mitgeteilt hat: dass man dieser Kommission offenbar eine ganz andere Interpretation jener Belege unterbreiten will, die „Tatort Kunst“ und die Rechtsanwältin Rudolph überhaupt erst herbeigeschafft haben.

Zu deren Überraschung erklärt die Stadt nun, sie halte den legendären Kunsthändler Justin Thannhauser für den wahrscheinlicheren Geschädigten. Die Levys waren bisher davon ausgegangen, dass er derjenige war, von dem Max Levy das Bild gekauft hat – so legt es jedenfalls das 1958 erschienene Werkverzeichnis von Lovis Corinth nahe, zu dem man erst im Laufe der Recherchen die Vorarbeiten und Manuskripte aus den Anfängen der 30er-Jahre wiedergefunden hat.

Die Provenienzforschung der Stadt stützt sich auf die gleichen Belege, interpretiert sie aber völlig anders, wie sie erst auf mehrfache Nachfrage preisgibt. Sie hält die Darstellung des Podcasts an mehreren Stellen für falsch, die Angaben aus dem Werkverzeichnis für unzulässig und Thannhausers privates Notizbuch, in dem er von 1928 bis 1937 seine eigene Sammlung dokumentiert hat, für einen Beleg dafür, dass ihm das Werk bis in die NS-Zeit hinein gehörte.

Rechtsanwältin Rudolph hält das für unwahrscheinlich – immerhin war Thannhauser auch nach 1945 in den USA noch als Kunsthändler aktiv, hat für seinen Nachlass eine Stiftung gegründet, die sich unter anderem mit Raubkunst befasste – aber anscheinend nie nach diesem Gemälde geforscht oder Ansprüche geltend gemacht. Für die Stadt wäre er allerdings das bequemere jüdische Opfer: Er hat keine bekannten Nachfahren.

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