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Gegen den „Hakenkreuz-Unfug“

Der Germanist Kai Sina zeigt die Wandlung des kaisertreuen Nationalisten Thomas Mann zum Kämpfer für die Demokratie

Thomas Mann in seinem Haus in Pacific Palisades bei Santa Monica (Kalifornien), um 1940/ Foto: Ernest E. Gottliebakg/picture alliance

Von Jan Pfaff

Bei Thomas Mann nehmen die Jubiläen kein Ende. Im November wurde noch der 100. Jahrestag des Erscheinens seines großen Zeitromans „Der Zauberberg“ begangen, nun steht im Juni sein 150. Geburtstag an, weshalb 2025 gleich zum Thomas-Mann-Jahr erklärt wurde, samt eigener Thomas-Mann-Playmobilfigur. Runde Jahrestage sind ja immer Anlass, neu zu fragen, was Werk und Leben noch mit dem Heute zu tun haben. Und da wird, das ist jetzt schon abzusehen, im Jahr 2025, in dem die liberale Demokratie weltweit unter Beschuss steht, ein Schwerpunkt auf dem politischen Thomas Mann liegen.

Schließlich wandelte der sich vom kaisertreuen Nationalisten in der Weimarer Republik zu einem der prominentesten Fürsprecher der jungen und umkämpften Demokratie – und im US-amerikanischen Exil ab 1938 zum Repräsentanten eines anderen Deutschland, der nicht müde wurde, die Verbrechen der Nazis anzuprangern, und darüber zu sprechen, dass die Demokratie im Kampf gegen den Faschismus am Ende triumphieren würde.

Den Fokus auf diesen politischen Thomas Mann legt auch Kai Sina, Germanistikprofessor an der Universität Münster, mit seinem Buch „Was gut ist und was böse. Thomas Mann als politischer Aktivist“. 1918, nach dem Ende des Ersten Weltkriegs, hatte Mann noch die unsäglichen „Betrachtungen eines Unpolitischen“ veröffentlicht, einen 600-Seiten-Essay, in dem er die Demokratie als den westlichen Ländern und ihrer „Zivilisation“ zugehörig beschrieb, vor allem Frankreich und den USA. Deutschland als Land der „Kultur“ und „Tiefe“ könne damit nichts anfangen, stehe eher Russland nahe. Ein Großessay, der heute die meisten Fans in AfD-Kreisen haben dürfte.

1922 folgt Thomas Manns klare Distanzierung von diesen Thesen. Nach der Ermordung des Reichsaußenministers Walther Rathenau durch die rechtsextreme und antisemitische Organisation Consul hält Mann in Berlin im Oktober 1922 die Rede „Von deutscher Republik“. Deren Ziel, so der Redner ganz explizit, sei es, die Zuhörer „für die Republik zu gewinnen und für das, was Demokratie genannt wird“.

Sina betont, dass diese Rede nicht so sehr Bruch mit zuvor vertretenen Positionen sei, sondern vielmehr eine Rückkehr zu liberalen, teils auch linksliberalen Ansichten, die Mann bereits in Essays im Kaiserreich vertreten habe. Die „Betrachtungen“ seien insofern eine „Diskontinuität“, ausgelöst durch die aufgeheizte Stimmung des Kriegs und einen erbitterten Streit mit dem Bruder Heinrich über die Rolle des Schriftstellers.

Manns politischer Aktivismus zeichne sich durch ein hohes Maß an Pragmatismus aus, betont Sina: „Thomas Mann betrachtete die Demokratie weniger als ideelles Konstrukt denn als eine praktisch anzugehende Aufgabe, mehr als einen Handlungsauftrag denn als reine Denksache“. Wie dies konkret aussah, zeigt Sina anhand von Manns Engagement für den Zionismus. In den 1920er Jahren mit ihrem ansteigenden Antisemitismus tritt er dem zionistischen Interessenverband „Pro Palästina“ bei. Das Unwesen der Nazis erkennt er früh und klar, schreibt bereits 1921 vom „Hakenkreuz-Unfug“.

Kai Sinas Buch hat eine doppelte Struktur. Zum einen zeichnet er die wichtigsten Stationen in Manns Kampf für die Demokratie nach, zum anderen beschreibt er Manns dauerhafte Unterstützung des Zionismus, die sich über die Jahre und mit den Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs auch wandelt. Sympathisiert der Schriftsteller zunächst mit einem kulturellen Zionismus, der noch keine konkrete Staatsgründung im damaligen britischen Mandatsgebiet Palästina vorsieht, unterstützt er nach der Schoah die Gründung des neuen Staates Israel vehement.

Anfang der 1930er Jahre warnt der politische Aktivist Thomas Mann immer eindringlicher vor dem erstarkenden Nationalsozialismus. Nachdem die NSDAP bei der Reichstagswahl im September 1930 18,3 Prozent der Stimmen gewonnen hatte und nur noch die SPD stärker war, sagte er in einer Rede in Berlin, dass der Platz der Bürger und damit auch sein eigener nirgendwo anders als an der Seite der Arbeiter und der Sozialdemokratie sein könne. Die Rede wurde dann von SA-Männern im Publikum gestört – wie um vorzuführen, wovor Mann am Rednerpult warnte.

Nach der Machtübertragung an Hitler im Januar 1933 geht Mann ins Exil, zunächst in die Schweiz. 1938 folgt die Übersiedlung in die USA. Als Literaturnobelpreisträger und mit dem internationalen Erfolg seines „Zauberbergs“ galt er als Name, der auch ein amerikanisches Publikum anzieht. Das ermöglichte ihm, Teil des „Lecture Circuit“ zu werden – eine feste Einrichtung des öffentlichen Lebens, die Vorträge bekannter Menschen ins ländliche und kleinstädtische Amerika brachte. Im Schlafwagen legte er die riesigen Distanzen zurück, überarbeitete seine Reden ständig. Seine erste Tournee 1938 hatte 14 Stationen, sein Honorar betrug 15.000 US-Dollar, damals das dreifache Jahresgehalt eines College-Professors. Manns Ziel war es, die Anfang der 1940er noch isolationistisch geprägte US-Gesellschaft zum Kampf gegen Hitlerdeutschland zu mobilisieren.

Im Schlafwagen legte er die riesigen Distanzen zurück, überarbeite seine Reden ständig

Bekannt sind Manns Radioansprachen „Deutsche Hörer!“, die er für die BBC aufnahm und die in Deutschland ausgestrahlt wurden. Darin redet er den Deutschen während des Zweiten Weltkriegs „als ein Freund“ ins Gewissen. In einer Rede im September 1942 geht er auf die Ermordung der Juden in den Ostgebieten ein, nach Angaben der polnische Exil-Regierung seien bereits 700.000 Juden von der Gestapo ermordet worden. „Wißt ihr Deutschen das? Und wie findet ihr das?“, fragt Mann seine Zuhörer.

Die BBC-Reden sind der Höhepunkt von Thomas Manns antifaschistischem Aktivismus. Kai Sina zeigt anschaulich, wie sie am Ende eines immer weiter gesteigerten Engagements stehen. Während viele Bücher über Thomas Mann vom Umfang her in Konkurrenz mit seinen dickleibigen Romanen treten, kommt Sina in seiner konzentrierten und gut lesbaren Darstellung mit 240 Seiten Text aus. Als Einstieg in eine Beschäftigung mit dem politischen Thomas Mann ist sein Buch sehr zu empfehlen.

Kai Sina: „Was gut ist und was böse. Thomas Mann als politischer Aktivist“. Propyläen, Berlin 2024. 304 Seiten, 24 Euro

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