: An seinen Taten sollt ihr ihn erkennen
Bremens Innensenator stößt die Kirchen vor den Kopf: Ein angekündigtes Gespräch über die Zukunft des Kirchenasyls hat nicht stattgefunden. Stattdessen soll nun wieder abgeschoben werden
![](https://taz.de/private/picture/6063964/516/1370994.jpg)
Von Eiken Bruhn
Bis Ende Januar würde niemand abgeschoben, der in einer Bremer Kirchengemeinde Schutz vor Abschiebung gesucht hat. Das hatte Bremens Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) kurz vor Weihnachten per Pressemitteilung zugesagt; überschrieben war diese mit „Innensenator Mäurer und evangelische Kirchen verständigen sich zum Kirchenasyl“. Das Moratorium war vorläufiger Schlusspunkt einer Auseinandersetzung um das Kirchenasyl im Land Bremen. „In dieser Zeit sollen weitere, notwendige Klärungen erfolgen. Dazu gehört, feste Kriterien für ‚Härtefälle‘ und ‚unzumutbare Härten“ abzustimmen und festzulegen“, hatte es weiter in der Pressemitteilung geheißen.
Allein: Die ebenfalls angekündigten Gespräche mit den betroffenen Kirchengemeinden haben nicht stattgefunden, „feste Kriterien“ sind nicht festgelegt worden. Letzteres ist auch schwer möglich, weil zum einen das Bundesamt für Migration (Bamf) darüber entscheidet, wer als Härtefall in Deutschland bleiben darf – und nicht die Bremer Ausländerbehörde und ihr Dienstherr, der Innensenator. Zum anderen nehmen Kirchengemeinden Menschen auf, weil das Bamf ihnen unzumutbare Härten abspricht – die Gemeinden das aber anders sehen.
Trotz der fehlenden Klärung wird Bremen jetzt wieder Menschen aus dem Kirchenasyl abschieben. Das teilte ein Sprecher des Innensenators auf Nachfrage mit. Und zwar dann, wenn das Bamf im sogenannten Dossierverfahren auf Bitten der Kirchengemeinden den Fall erneut geprüft hat und weiter keine Härten erkennen kann. Dies ist nach Angaben der ökumenischen Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche fast immer das Ergebnis der Prüfung.
„Sollte es zu Fällen kommen, in denen Personen auch nach dem Dossierverfahren in den Gemeinderäumen bleiben, muss die Gemeinde auch mit einer Überstellung aus diesen Räumen rechnen“, schreibt der Sprecher des Innensenators in einer Mail. Und: „Das wird jeweils eine Einzelfallentscheidung sein.“ Er schreibt auch von „Recht und Gesetz“, an die sich alle Beteiligten halten müssten, sowie von zu befolgenden Regeln, damit es keine Abschiebeversuche mehr aus Gemeinderäumen wie Anfang Dezember gibt. Damals sollte ein junger Somalier nach Finnland abgeschoben werden; er hatte Angst, von dort nach Russland und dann in sein Herkunftsland gebracht zu werden. Demonstrant:innen hatten den Polizeieinsatz in einer Kirche im Bremer Süden so behindert, dass er abgebrochen wurde.
Doch worin genau Regeln, Recht und Gesetz bestehen sollen, kann der Sprecher nicht sagen. Kein Wunder, denn es gibt keinen Rechtsrahmen, in dem sich das Kirchenasyl bewegt. Auch mit den Regeln ist es so eine Sache. 2015 hatten sich Vertreter:innen der beiden christlichen Kirchen in Deutschland mit dem Bamf auf eine bessere Zusammenarbeit geeinigt. Ein Bestandteil ist nach einem Protokoll der Gespräche „ein zentrales Postfach“ für „die Prüffälle in Form von Dossiers“, die das Bamf bearbeiten soll. Anders als vom Bremer Innensenator und Amtskolleg:innen in anderen Bundesländern behauptet, enthält die Einigung keinen Passus darüber, was passiert, wenn das Bamf bei seiner ersten Einschätzung bleibt.
Doch solange das Bamf weiter reihenweise „die Dossiers ohne näheres Eingehen auf den Einzelfall“ ablehne, würden die Bremer Kirchengemeinden die Kirchenasyle weiterhin so lange aufrecht erhalten, wie sie es für richtig erachten. Das teilte am Mittwoch der Verein Zuflucht mit, der in der Stadt Bremen die Kirchenasyle koordiniert. Weiter heißt es in einer Erklärung, der Verein erhoffe sich „für Bremen eine Rückkehr zum konstruktiven Miteinander von staatlichen und kirchlichen Stellen, wie es bis November 2024 praktiziert wurde“.
Bis dahin hatte der Innensenator toleriert, dass in den letzten Jahren im Land Bremen überdurchschnittlich viele Geflüchtete Zuflucht in Kirchengemeinden gefunden hatten. Mäurers Position hatte sich erst im letzten Jahr geändert, nachdem die Bremer Fallzahlen infolge der stärkeren Abschiebebemühungen Deutschlands noch einmal deutlich angestiegen waren. Laut Innensenator waren es im Jahr 2021 16 Fälle, 2022 30 und 2023 schon 90 Fälle, in der Mehrzahl handelte es sich dabei um Einzelpersonen. Im vergangenen Jahr seien es bis einschließlich Oktober 202 Fälle gewesen.
Dabei lag dieser neuerliche sprunghafte Anstieg vor allem daran, dass Bremerhavener Gemeinden sehr viele Geflüchtete aufgenommen hatten. Etwa 100 Fälle sollen es dort bis Dezember gewesen sein – das hatte die Hannoversche Landeskirche der taz mitgeteilt, zu der die Bremerhavener Gemeinden gehören. Für die Stadt Bremen gab der Verein Zuflucht 125 für das ganze Jahr 2024 an.
Sebastian Ritter, Pastor der Johannesgemeinde in Bremerhaven
Sowohl die Bremer als auch die Bremerhavener Gemeinden nehmen jetzt nur noch wenige Geflüchtete auf und vor allem kaum noch aus anderen Bundesländern – das hatte der Bremer Innensenator gefordert. Aktuell leben in der Stadt Bremen zwölf Menschen aus Somalia, Afghanistan und Syrien im Kirchenasyl. Sie sollen in verschiedene andere europäische Länder „überstellt“ werden, wie es die Dublin-Verordnung vorsieht.
Danach müssen Geflüchtete in dem Land Asyl beantragen, in dem sie zuerst als Einreisende registriert wurden. Halten sie sich mehr als sechs Monate in Deutschland auf, können sie hier Asyl beantragen. Um diese Frist verstreichen zu lassen, gewährt ein Bruchteil der Kirchengemeinden in Deutschland den vorübergehenden Schutz vor Abschiebung.
Auch in Bremerhaven seien es in allen vier Gemeinden mit aktuell neun Fällen deutlich weniger bisher, sagte am Donnerstag Sebastian Ritter von der Johannesgemeinde. Nicht nur wegen des Drucks des Innensenators: „Es war auch für uns zu viel, das ging über meine Kraft hinaus.“ Im Sommer hätten täglich 20 Leute bei ihm geklingelt. Er konnte so gut wie niemand aufnehmen. „Aber sie haben gesagt, ich sei der Erste, der sich ihre Geschichte angehört habe.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen