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Christian Drosten„Je mehr Zeit vergeht, desto skeptischer werde ich“

Hatte die Coronapandemie ihren Ursprung in der Natur oder im Labor? Virologe Christian Drosten ist überzeugt: China könnte für Klarheit sorgen.

Christian Drosten im Januar 2025 in einem Labor der Charité Foto: Jens Gyarmaty

taz: Es war gar nicht so einfach, Sie von einem Interview zu überzeugen, Herr Drosten.

Christian Drosten: Es gibt so diese Standardinterviews im Moment: Fünf Jahre Pandemie und was haben wir gelernt … Es ist mir wichtig, dass ein Zeitungsinterview darüber hinausgeht.

taz: Dann versuchen wir das mal. Es gibt ein interessantes Paradoxon im Umgang mit gefährlichen Viren. Und das fängt so an: 2011 gab es eine große Debatte um das gefährlichste Virus, das jemals in einem Labor erzeugt wurde …

Drosten: … Sie meinen die Forschung meiner Kollegen Ron Fouchier und Yoshi Kawaoka.

Editorial: 5 Jahre Corona

Superspreader. Impfdurchbruch. Impfneid. Herdenimmunität. Geisterspiele. Osterruhe. 1G. 2G. 3G plus. Maskenmuffel. Booster. Helden des Alltags. Covidioten. Na, was geht in Ihnen vor, wenn Sie diese Begriffe lesen? Beklemmung, Abwehr – oder etwa Nostalgie? Der Beginn der Covid-19-Pandemie jährt sich zum fünften Mal, und während die taz-Redaktion normalerweise sehr begeisterungsfähig ist für Sonderseiten zu Jahrestagen aller Art, liefen die ersten Planungsrunden hier eher schleppend an.

Corona? Danke nein, da halten die Leute am Kiosk ganz freiwillig mindestens anderthalb Meter Abstand. Zu nah, zu schmerzhaft, zu kacke war diese Zeit, die Lücken in Familien und Freundeskreise riss, weil jemand starb oder sich abwandte. Die nachweislich bei vielen Spuren in der Psyche hinterließ, insbesondere bei jungen Menschen. Die Krankheitsverläufe hervorbrachte, die den Alltag vieler Menschen auch heute noch massiv einschränken.

Wie also würdigen, dass fünf Jahre vergangen sind – so, dass man es auch lesen will? In Brainstormingrunden kamen wir auf die wildesten Ideen. Wie wär’s denn mit Corona-Sonderseiten, auf denen wir Corona nicht erwähnen? Alles irgendwie auf der Metaebene verhandeln, mit einer Reportage aus einem Ort, an dem es Corona nie gab (dem polynesischen Inselstaat Tuvalu zum Beispiel) oder ein Interview mit Christian Drosten führen, aber übers Fliegenfischen und die Trendfarbe der Saison (ein warmer Braunton).

Wir haben Christian Drosten dann tatsächlich angefragt – nachdem wir eingesehen hatten, dass die Pandemie ausreichend offene Fragen hinterlassen hat, um sich in einem Dossier ernsthaft mit ihr zu beschäftigen. Und so spricht unsere Gesundheitsredakteurin Ma­nue­la Heim mit Deutschlands bekanntestem Virologen über im Labor erzeugte Viren und warum zu seiner Verwunderung auch 2025 noch immer kein Beleg dafür vorliegt, dass die Pandemie einen natürlichen Ursprung hatte.

In einer langen, sehr persönlichen Reportage erzählt unsere Kollegin Shayna Bhalla von ihrer Long-Covid-Erkrankung, die Anfang 2022 begann, als die Menschen um sie herum langsam wieder in Clubs oder auf Reisen gingen. Mit Anfang 20 musste sie lernen, dass Belastung bedeuten kann, sich die Haare zu kämmen. Und dass sie diese Ungewissheit in ihrem Leben so schnell nicht loswird.

Eiken Bruhn beschäftigte sich während der Pandemie viel damit, was dieses Virus gesellschaftlich so anrichtet – und fragt sich heute, ob sie selbst damals zu vorschnell vermeintliche Lösungen herbeischrieb. Ihr Text ist ein Plädoyer, dem Gegenüber zuzuhören – und wirklich verstehen zu wollen, warum jemand denkt, wie er denkt.

Unsere Kolumne „Starke Gefühle“ übernehmen diese Woche sechs Schü­ler­prak­ti­kan­t:in­nen. Sie berichten von techniküberforderten Leh­re­r:in­nen, von ausgefallen Skifreizeiten, von Einsamkeit, aber auch von Zusammenhalt trotz Lockdowns. Gleich daneben steht die Antwort auf die Kinderfrage einer Zehnjährigen, ob Corona denn jetzt schlimmer als die Pest war.

Und schließlich erklärt Lukas Heinser, was alles Schönes von der Pandemie geblieben ist. Vom In-die-Armbeuge-Niesen über Desinfektionsspender-Mahnmale bis hin zu „Stand jetzt“ – der Formulierung, die jede mittel- bis langfristige Planung infrage stellt, die uns zeigt: Alles ist Gegenwart, alles kann sich sofort und vollständig verändern.

Wir wünschen Ihnen eine gute Lektüre, und: Bleiben Sie gesund! ­Leonie ­Gubela

taz: Genau. Die New York Times hat damals von einem „technisch herbeigeführtem Weltuntergang“ geschrieben. Es hieß zunächst, das im Labor erzeugte Vogelgrippevirus sei zu 60 Prozent tödlich und könne über die Luft übertragen werden.

Drosten: Die Forschungsfrage war damals: Wie schnell können H5N1-, also Vogelgrippeviren, gefährlich werden für den Menschen? Ron Fouchier und sein Team haben verschiedene Mutationen, die bereits in der Natur vorkamen, im Labor kombiniert und auf Frettchen angepasst. Frettchen sind repräsentativ für die menschlichen Atemwege. Nach ein paar Anpassungsschritten entstand ein Virus, das tatsächlich über die Luft zwischen Säugetieren übertragbar war. Ron Fouchier hat das damals in einem wissenschaftlichen Meeting als das vielleicht gefährlichste Virus, das je in einem Labor untersucht wurde, bezeichnet. Das führte dann zu einer zugespitzten Debatte in der Öffentlichkeit.

taz: Die Publikation der Studienergebnisse wurde zurückgehalten, es gab ein Moratorium für diese Art von Forschung.

Drosten: Diese Diskussion wurde sehr breit geführt, ja.

taz: Inzwischen zirkuliert das natürliche Vogelgrippevirus in den USA bei Milchkühen – ohne dass darüber so erhitzt in der Öffentlichkeit debattiert wird. Ist das nicht paradox?

Drosten: Man kann inzwischen auch virologisch belegen, dass sich das Vogelgrippevirus in den USA schon ein Stück an Säugetiere angepasst hat. Und das, was dabei herauskommen könnte, kann sicherlich so gefährlich sein wie das, was auch in den Experimenten von Ron Fouchier bearbeitet wurde.

taz: Es wird aber viel weniger überwacht als im Labor.

Drosten: Ja, das findet in sehr großen Milchviehbetrieben mit Tausenden Tieren statt, die das Virus weitergeben und vermehren können. Wir wissen inzwischen: Auch Menschen werden dadurch infiziert.

taz: Die potenzielle Bedrohung durch ein Laborvirus wird viel intensiver wahrgenommen als die reale Bedrohung durch ein in Massentierhaltungsbetrieben zirkulierendes Virus.

Drosten: Das ist auch in gewisser Weise verständlich. Es ist eine monströse Vorstellung, dass in einem Labor ein gefährliches Virus entwickelt wird, das dann vielleicht durch Schlamperei entweicht, und am Ende haben wir eine Pandemie.

taz: Genau so ein Laborunfall wird immer noch als Auslöser der Coronapandemie diskutiert. Welche Rolle spielt diese Debatte in Deutschland?

Christian Drosten

2002 wurde die internationale Wissenschaftswelt aufmerksam auf den Virologen Christian Drosten: als Mitentdecker des neuartigen Sars-CoV-1-Virus, das vor allem in Asien 2002/2003 die SARS-Pandemie auslöste. Da war der 1972 geborene Mediziner aus Lingen im Emsland gerade 30 Jahre alt. Intensiv beteiligt war Drosten ab 2012 auch an der Erforschung der Atemwegsinfektion Mers, die vor allem auf der arabischen Halbinsel auftrat. Seit 2017 ist er Leiter der Virologie an der Charité Berlin.

Als international renommierter Experte für Coronaviren spielte Drosten eine große Rolle in der Erforschung und Bekämpfung der Sars-CoV-2-Pandemie. Drostens Arbeitsgruppe entwickelte im Deutschen Zentrum für Infektionsforschung den weltweit ersten Diagnostiktest. Er gehörte zum Kreis der Berater der Bundesregierung und erklärte im populären Corona-Podcast des NDR halbwegs allgemeinverständlich die aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse.

Drosten: Ich glaube durchaus, dass viele Menschen in Deutschland sich dafür interessieren. Im Vergleich wird die Diskussion allerdings in den USA viel schillernder geführt, viel kontroverser. Dort kommen auch Informationen aus Ministerien und Sicherheitsbehörden in die Öffentlichkeit, ohne dass Belege geliefert werden. Das stimuliert natürlich hitzige Diskussionen.

taz: Liegt es auch an Ihnen, dass in Deutschland weniger hitzig diskutiert wird? Schließlich haben Sie von Anfang an vehement argumentiert, dass ein natürlicher Ursprung wahrscheinlicher ist als ein Laborunfall.

Drosten: Die Vehemenz wurde mir vielleicht nachgesagt, aber so war das nie. Ich habe einfach das wiedergegeben, was wir in meinem Wissenschaftsfach wissen. Und ich muss auch darauf hinweisen, dass sich die Datenlage seit 2020 weiterentwickelt hat und meine Bewertung ebenso.

taz: Beginnen wir von vorne. 2019 tritt das Virus, das wir später Sars-CoV-2 nennen, das erste Mal gehäuft im Umfeld des Markts im chinesischen Wuhan auf. Dort wurden auch Tiere gehandelt, die als typische Überträger auf den Menschen gelten. In Wuhan gibt es allerdings, und das ist sicher der Ursprung für alle Spekulationen, auch ein Labor, das an Sars-Viren forscht.

Drosten: Das Institut in Wuhan ist eines der größten Forschungsinstitute für Virologie in China. Nach der ersten Sars-Epidemie im Jahr 2002/2003 wurde dort, aber auch in Peking und anderen Orten, an Sars gearbeitet. In Wuhan gibt es eine Arbeitsgruppe, die relativ früh die Verbindung zwischen dem Sars-1-Virus und Fledermäusen gefunden hat, und diese Arbeitsgruppe hat seitdem weiter daran gearbeitet. Ich kannte die leitende Wissenschaftlerin aus dem Forschungsfeld.

taz: Als Sie die ersten News über ein unbekanntes Virus aus Wuhan gehört haben, kam Ihnen das nicht komisch vor? Ausgerechnet Wuhan.

Drosten: Nein. Meine Assoziation war eher: Das trifft sich ja gut, dann ist direkt jemand vor Ort, der sich damit befassen kann. Ich hatte gleich am Anfang die leitende Wissenschaftlerin kontaktiert und hatte den Eindruck, sie weiß selbst noch nicht, was genau passiert, befasst sich aber erwartungsgemäß direkt damit. Dann hat aber schnell das Zentrum für Krankheitskontrolle aus Peking übernommen, wie sie sagte.

taz: Sie glaubten jedenfalls an einen natürlichen Ursprung.

Drosten: Das halte ich immer noch für wahrscheinlich und das nehmen auch fast alle Wissenschaftler an, die mit dem Thema befasst sind. Annehmen heißt aber nicht wissen.

taz: Was meinen Sie mit Wissenschaftlern, die damit befasst sind?

Drosten: Das sind Wissenschaftler, die in dem spezifischen Feld forschen und Detailkenntnis haben. Im Gegensatz dazu argumentieren manche Experten aus einer entfernten Perspektive, ohne Detailkenntnis. Die sind sicherlich gute Wissenschaftler in ihrem Feld, aber eben nicht in diesem.

wochentaz

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

taz: Und was sagen die Wis­sen­schaft­le­r*in­nen mit Detailkenntnis?

Drosten: Da passt eigentlich alles zusammen: Die frühen Infektionen hatten eine räumliche Verbindung zum Markt. Dort gab es die Zwischenwirte, Marderhunde, und das Virus wurde genau da auf dem Markt gefunden, wo auch diese Tiere verkauft wurden. Auf dem Markt hat man auch die frühen beiden Viruslinien gefunden, von denen die Pandemie ausging. Diese Linien sind geringgradig unterschiedlich und gehen nicht auf einen bekannten gemeinsamen Vorfahren im Menschen zurück. Der Mensch hat also mit einiger Wahrscheinlichkeit das Virus mehrmals erworben, und das passt eher zu Infektionen an einer Gruppe von Tieren als im Labor. Natürlich könnten sich die Markttiere auch an infizierten Menschen angesteckt haben, aber wahrscheinlicher ist eine Infektion des Menschen am Tier, wie auch bei Sars-1.

taz: Das klingt nach indirekten Indizien.

Drosten: Richtig, das sind alles nur Indizien. Ein Beweis fehlt für den natürlichen Ursprung genauso wie für den Laborursprung. Und das Frappierende ist, dass der Beweis für den natürlichen Ursprung eigentlich erbracht werden könnte. Chinesische Wissenschaftler haben dafür alle technischen Möglichkeiten. Es ist medienbekannt, wenn auch für mich nicht überprüfbar, dass zu der Zeit auf dem Markt und auch in Zuchtbetrieben bestimmte Tierarten, die als Wirte im Verdacht stehen, gekeult wurden. Und es ist für mich schwer denkbar, dass so etwas passiert, ohne dass Proben genommen und getestet werden. Bei dem Sars-1-Ausbruch 2002/2003 hat es ein paar Jahre gedauert, aber dann kamen immer mehr Studien aus China, die wasserdicht gemacht haben, dass dieses Virus aus solchen Tieren kommt.

taz: Das hätten Sie hier auch erwartet?

Drosten: Ja, und ich muss sagen, je mehr Zeit vergeht, desto skeptischer werde ich. Verbietet die Staatsräson, dass daran gearbeitet wird? Mag sein. Die andere Erklärung wäre aber, dass da gar kein natürliches Virus war. Die Politik sollte nach all den Jahren deutlicher die Forderung an China stellen, jetzt wirklich zu beweisen, dass es aus der Natur kommt.

taz: Wenn Sie jetzt sagen, dass dieses Virus vielleicht doch aus dem Labor kam, wird das für Aufruhr sorgen.

Drosten: Das würde ich so direkt auch nicht postulieren. Es ist aber nicht dasselbe, wenn wir im Jahr 2020 den Beleg für einen natürlichen Ursprung noch nicht haben, wie wenn wir im Jahr 2025 diesen Beleg immer noch nicht haben.

Christian Drosten in seinem Büro Foto: Jens Gyarmaty

taz: Das Sars-CoV-2-Virus verfügt über eine besondere Eigenschaft, die es so übertragbar beim Menschen macht.

Drosten: Das ist eine Viruseigenschaft, die berechtigterweise erst einmal zu Stirnrunzeln führt: die sogenannte Furinspaltstelle. Das ist etwas kompliziert, aber wir müssen uns kurz die Zeit nehmen zu verstehen, was das ist.

taz: Nur zu.

Drosten: Sie kennen doch diese Transportsicherungen bei Schränken oder Waschmaschinen – erst wenn man die abmacht, klappt die Tür auf oder dreht sich die Trommel. Und die Furinspaltstelle ist quasi ein Werkzeug, das beim Virus mitgeliefert wird, um seine Transportsicherung zu entfernen. Das Virus wird dadurch aktiviert und kann sich in den Atemwegen von Säugetieren besser ausbreiten. Bei dem Sars-1-Virus und seinen Verwandten in Tieren hatte man diese Furinspaltstelle vor der Pandemie nicht beobachtet, und das ist das Hauptargument der Verfechter der Laborursprungstheorie: Wenn es die sonst nicht gibt, muss die da jemand künstlich reingebaut haben.

taz: Das sehen Sie anders?

Drosten: Wir kennen solche Furinspaltstellen aus anderen Coronaviren und wir wissen von Influenzaviren, dass sie durch Mutation in der Natur entstehen und das Virus damit plötzlich hochansteckend ist für Tiere und Menschen. Das Vorkommen dieser Furinspaltstelle bei Sars-CoV-2 ist zwar auffällig, aber das ist erst mal ein Phänomen, das nichts beweist.

taz: Inzwischen ist aber bekannt, dass in Wuhan Forschung in diese Richtung geplant war.

Drosten: In meiner Anfangseinschätzung zum Virusursprung wusste ich davon noch nichts. 2021 wurde mithilfe des amerikanischen Informationsfreiheitsgesetzes veröffentlicht, dass amerikanische Wissenschaftler bereits 2018 einen Antrag auf Forschungsfinanzierung gestellt hatten für Arbeiten, die in meiner Bewertung durchaus nicht harmlos sind. Das Labor in Wuhan ist in diesem Förderantrag als Partner genannt.

taz: Um was genau handelte es sich dabei?

Drosten: Man wollte Sars-Viren aus Fledermäusen ins Labor bringen und isolieren. Für den Fall, dass man es nicht schafft, diese Viren in Zellkulturen zur Vermehrung zu bringen, wollte man ihnen künstlich ausgerechnet eine Furinspaltstelle einsetzen. Das ist aus diesem Blickwinkel durchaus besorgniserregend.

taz: Ist das vergleichbar mit dem, was Ron Fouchier damals gemacht hat?

Drosten: Es ist anders. Ron Fouchier hat verschiedene in der Natur vorkommende Veränderungen von H5N1-Viren im Labor zusammengetan, um zu schauen, ob das Virus dadurch gefährlicher wird. Solche Kombinationen entstehen auch in der Natur. Wenn ich dagegen Sars-Viren eine künstliche Furinspaltstelle einsetzen würde, dann würde ich etwas machen, das möglicherweise in der Natur noch gar nicht da ist und von dem ich schon vermuten könnte, dass es das Virus übertragbarer macht.

taz: Und welcher Nutzen läge darin?

Drosten: Zunächst ein technischer Nutzen, denn diese Viren lassen sich normalerweise gar nicht in Zellkultur vermehren. Das ist aber die Voraussetzung, um die Viren gründlich zu untersuchen. Erst dann könnte man auch beispielsweise einen Impfstoff gegen sie entwickeln. In dem Forschungsantrag wurde argumentiert, dass man Viren aus Fledermäusen vielleicht durch eine Furinspaltstelle dazu bringen könnte, sich im Labor besser untersuchen zu lassen.

taz: Aber der Antrag wurde abgelehnt?

Drosten: Richtig, wohl auch aus Sicherheitsüberlegungen. In der Öffentlichkeit stellt man aber zurecht die Frage, ob chinesische Wissenschaftler vielleicht dennoch daran gearbeitet haben. Hatten sie bereits die Technologie dafür? Würden sie diese Art der Forschung auch in Eigenregie durchführen? Ich habe das lange bezweifelt. Aber in jüngster Zeit habe ich manchmal ein ungutes Gefühl.

taz: Warum?

Drosten: Ich werde regelmäßig von wissenschaftlichen Journalen angefragt, Beiträge von anderen Wissenschaftlern zu begutachten. Was mir in letzter Zeit manchmal untergekommen ist, waren eingereichte Arbeiten aus China, die durchaus in diese Richtung gehen. Nicht speziell am Sars-Virus, dagegen sind wir jetzt ohnehin alle immun. Aber es gibt in Tieren noch andere zoonotische Viren, auch Coronaviren, die gefährlich sein könnten. Die würde man eigentlich im Labor nur mit gesteigerten Sicherheitsauflagen handhaben. Das wird aus diesen Studien aber manchmal nicht ganz klar. In letzter Zeit habe ich Arbeiten vorgelegt bekommen, die würde ich so hier nicht machen, und ich weise dann bei der Begutachtung auch darauf hin, dass das gefährlich sein könnte.

taz: Solche Forschung wird in China gemacht und die Ergebnisse werden auch hier bekannt?

Drosten: Wissenschaftler machen ja ihre Forschung nicht, um sie geheimzuhalten. Die Veröffentlichung ist das Ziel und der Lohn der Arbeit. Und diesen Antrieb gibt es natürlich nicht nur in der westlichen Hemisphäre. Gerade in China sieht man den schnellen technologischen Fortschritt wie eben auch in anderen Spitzengebieten der Technik. Rein aus dieser Perspektive betrachtet ziehe ich vor solchen Arbeiten meinen Hut. Aber es wird manchmal nicht klar, wie konsequent hier die Regulation und Kontrolle greift und ob die überhaupt so ausgeprägt ist wie bei uns.

taz: In der Debatte um Ron Fouchiers Forschung hatten Sie sich noch gegen zu starke Regulierung ausgesprochen. Offenbar hat sich Ihre Bewertung auch hier verändert?

Drosten: Sie beziehen sich auf eine Expertenstellungnahme, die 15 Jahre alt ist und die ich mitunterzeichnet habe. In der Wissenschaft ändert sich aber immer wieder die Faktenbasis und daran muss man auch seine Einschätzungen weiterentwickeln. Je mehr die Technik fortschreitet und je breiter sie angewendet wird, desto mehr Möglichkeiten gibt es auch für gefährliche Folgen.

taz: Wie können wir diese Risiken eindämmen?

Drosten: Die Frage stellt sich ganz unabhängig von der Laborursprungstheorie. Das Rätsel, wie es zur Coronapandemie kam, klären wir vielleicht nie auf. Aber nach vorne gedacht ist doch die Frage, ob es eine bindende Übereinkunft zu gefährlicher Forschung an Viren auf UN- oder WHO-Ebene geben kann und welche Durchgriffsrechte es da gäbe.

taz: Der WHO-Pandemievertrag ist gescheitert. Nur ein paar Jahre nach der Pandemie rücken die Länder schon wieder auseinander. Ganz aktuell wollen die USA aus der WHO austreten.

Drosten: Eine Chance, die wir vielleicht haben, ist so eine Art Soft Power in der Wissenschaft. Wir könnten sagen, dass wir zur Veröffentlichung eingereichte Arbeiten nur begutachten, wenn klargestellt ist, unter welchen Bedingungen sie genau gemacht wurden, wo die Virussequenzen dokumentiert sind und ob gefährliches Material nach Ende der Arbeiten wirklich zerstört wurde. Auch die renommierten wissenschaftlichen Journale könnten einen gemeinsamen Kriterienkatalog aufstellen.

taz: Ist das realistisch?

Drosten: In der westlichen Forschungswelt passiert das längst. Schon die bloße Spekulation um einen Laborursprung führt dazu, dass experimentelle Planungen noch kritischer und selbstkritischer angeschaut werden. Man macht einfach keine Arbeiten, die wirklich gefährlich sind. Und zusätzlich zu dieser Selbstkontrolle gibt es natürlich eine durchgehende behördliche Regulation und Überwachung der Arbeiten.

taz: Ende vergangenen Jahres gab es eine Konferenz zur wissenschaftlichen Aufarbeitung der Coronapandemie in Japan.

Drosten: Ja, da war ich auch.

taz: Eine Wissenschaftlerin sagte dort, dass wir uns in einer Welt bewegen, in der niemand mehr etwas von Covid hören will.

Drosten: Das war die Epidemiologin Maria van Kerkhove von der WHO. Auf einer ihrer Vortragsfolien hatte sie die Überschrift „Erinnert ihr euch?“ durchgestrichen und drübergeschrieben „Habt ihr vergessen?“. Das hat mich sehr beeindruckt. Sie illustrierte damit, was in der öffentlichen Wahrnehmung längst passiert ist: Wir koppeln uns ab von einer realistischen Rekonstruktion der Ereignisse. Manche Wissenschaftler haben die essenziellen Kennzahlen vergessen, und die meisten Privatpersonen haben die wahrgenommene und reale Bedrohung verdrängt.

taz: Das sind wahrscheinlich natürliche Abwehrreflexe.

Wenn wir den Anspruch haben, demokratische Entscheidungen anhand von Tatsachen zu treffen, dann müssen wir uns in der Breite der Gesellschaft darum bemühen. Mitdenken ist anstrengend

Drosten: Ja, das mag gesund sein.

taz: Warum sollten wir diesem „Bleib mir weg mit Corona“ trotzdem nicht nachgeben?

Drosten: Wir werden ja auch Generationen nach uns haben, die irgendwie mal in die Dokumente schauen wollen. Denken Sie mal an die Spanische Grippe, die letzte Pandemie dieses Schweregrades: Hätten wir die Aufbereitung präsent gehabt, dann hätten wir vieles schon wissen können, was passieren wird.

taz: Zukünftige Generationen … das ist doch den Leuten zu abstrakt.

Drosten: Populäre Politik kann sich kurzfristig über Tatsachen hinwegsetzen, aber langfristig wird sich das rächen. Jetzt, wo die Gefahr überwunden ist, lässt es sich wohlfeil argumentieren. Aber wissenschaftliche Tatsachen sind weder verhandelbar noch bequem oder populär. Im politischen Raum sehen wir jetzt allerhand unsaubere Argumentation, von Verwechslungen und Auslassungen bis hin zu absichtlich gestreuten Fehlinformationen. Man muss aufpassen und populistische Strategien erkennen. Wenn wir den Anspruch haben, unsere demokratischen Entscheidungen anhand von Tatsachen zu treffen, dann müssen wir uns in der Breite der Gesellschaft darum bemühen.

taz: Klingt anstrengend. Auch dieses Interview ist kein leichter Stoff.

Drosten: Mitdenken ist anstrengend. So ist das nun mal.

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