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„Die Be­la­rus­s*in­nen sitzen von drei Seiten in der Falle“

Bei der Präsidentschaftswahl in Belarus steht der Sieger schon fest: Alexander Lukaschenko. Der Oppositionelle Valery Kavaleuski setzt auf die USA und die EU, auf dass sie sein Land von Russlands Einfluss befreien

Minsk am 21. Januar: Die Ersten „wählen“ schon Foto: Viktor Tolochko/ SNA/imago

Interview Barbara Oertel

taz: Herr Kavaleuski, am Sonntag wird in Belarus gewählt. Oder wie würden Sie dieses Ereignis bezeichnen?

Valery Kavaleuski: Von wirklichen Präsidentenwahlen kann keine Rede sein. Sie entsprechen keinen demokratischen Standards. Niemand erwartet, dass das eine freie Abstimmung sein und die Auszählung der Stimmen korrekt ablaufen wird. Wenn Alexander Lukaschenko dennoch glaubt, seine Legitimität zu erneuern, kann er das vergessen.

taz: Lukaschenko steht als Sieger fest, und trotzdem hat das Regime Repressionen gegen Kri­ti­ker*in­nen sogar noch verstärkt. Warum?

Kavaleuski: 2020 hatte Lukaschenko die Zügel etwas gelockert. Wohin das geführt hat, wissen wir – zu wochenlangen Massenprotesten. Das darf nicht noch einmal ­passieren, deshalb braucht es jetzt eine klare Botschaft an die Bevölkerung.

taz: Derzeit sitzen in Belarus noch rund 1.200 politische Gefangene ein. Im vergangenen Jahr hat Lukaschenko 250 begnadigt. Wie passt das zusammen?

Kavaleuski: Auch das ist ein Signal an seine Landsleute, aber nicht nur an sie. Lukaschenko weiß, dass viele Be­la­russ*in­nen ungehalten darüber sind, dass es so viele politische Gefangene gibt. Dem Westen will er sagen: Seht her, ich bin bereit, etwas zu verändern, auf eure Einwände zu hören und darauf zu reagieren. Gleichzeitig ist es Lukaschenko wichtig zu zeigen, dass das allein seine Entscheidung gewesen sei und er keinem Druck nachgegeben habe. Lukaschenko ist derzeit sehr stark von dem außenpolitischen Kontext beeinflusst.

taz: Was meinen Sie damit?

Kavaleuski: In Europa durchlaufen viele Staaten politische Transformationsprozesse, neue Po­li­ti­ker*in­nen sind auf die Bühne getreten. Die haben kein emotionales Verhältnis zu den Ereignissen von 2020. Lukaschenko setzt darauf, dass die Zeit alles heilt und es ihm gelingt, seine Geschichte zu verkaufen.

taz: Die westlichen Staaten haben mehrfach Sanktionen gegen Belarus verhängt. Haben diese etwas bewirkt?

Kavaleuski: Die Strafmaßnahmen wurden schrittweise verhängt, um dem Regime die Möglichkeit zu geben, sein Vorgehen zu überdenken. Doch stattdessen hat sich das Regime angepasst und Möglichkeiten gefunden, die Sanktionen zu umgehen. Insgesamt ist festzustellen, dass Belarus wirtschaftliche Einbußen erlitten hat, aber das war keine existenzielle Bedrohung. Hinzu kommt, dass diese Verluste kompensiert werden können. Belarussische Betriebe arbeiten in drei Schichten für den militärisch-industriellen Komplex in Russland. Wenn es zu einem Waffenstillstand in der Ukraine käme, würde das Belarus empfindlich treffen.

taz: Wie ist das Verhältnis zwischen Moskau und Minsk?

Kavaleuski: Das Ganze gleicht einer Beziehung zwischen Herr und Diener. Selbst wenn Lukaschenko die Beziehungen zum Westen irgendwie normalisieren wollte, würde das wohl eine negative Reaktion des Kreml hervorrufen. 90 Prozent aller belarussischen Waren gehen über Russland. Das ist ein ernst zu nehmender Hebel, um Druck auszuüben. Lukaschenko ist einen Pakt mit dem Teufel eingegangen. Um an der Macht zu bleiben, hat er zugestimmt, den Integrationsprozess mit Russland zu beschleunigen, auch um den Zusammenbruch der Wirtschaft abzuwenden. Aber es geht nicht nur um die Wirtschaft. So werden beispielsweise jetzt in Belarus Geschichtsbücher umgeschrieben. An die Stelle belarussischer treten russische Helden.

taz: Ver­tre­te­r*in­nen der Opposition sitzen im Gefängnis oder sind ins Exil gegangen, um einer Haftstrafe zu entgehen. Von außen betrachtet hat man den Eindruck, dass Letztere nicht an einem Strang ziehen. Wie ist der Zustand der Opposition?

Kavaleuski: Ich würde nicht von einer Spaltung sprechen. Jetzt gilt es Versuche zu bewerten, was wir in viereinhalb Jahren erreicht haben, was funktioniert hat und was nicht. Wie müssen wir uns neu aufstellen, um in der jetzigen Situation relevant zu sein, welche neue Strategie brauchen wir, um unsere Ziele zu erreichen? Die Mission der demokratischen Bewegung war zuallererst die Freilassung der politischen Gefangenen und die Durchführung freier Wahlen. Das haben wir nicht geschafft.

taz: Aber Sie haben doch im vergangenen Juni die Übergangsregierung von Swetlana ­Tichanowskaja, die im litauischen Exil lebt, verlassen. Warum?

Kavaleuski: Ich habe mich dort um Außenpolitik gekümmert. Keine Frage, Kontakte zur interna­tio­nalen Gemeinschaft sind wichtig, auch, damit Belarus auf der Agenda bleibt. Aber das reicht nicht. Wir müssen der Innenpolitik in Belarus mehr Aufmerksamkeit schenken. Wir müssen viel mehr mit den Be­la­russ*in­nen in Belarus arbeiten und denjenigen, die ihre Heimat verlassen haben. Unsere internationalen Partner können uns nur bei der Lösung unserer Pro­bleme helfen, diese aber nicht für uns lösen. Das ist unsere Aufgabe, Pflicht und Verantwortung.

taz: Lettland und Litauen haben viele belarussische Geflüchtete aufgenommen. Doch dort wird die Gangart gegenüber diesen Menschen jetzt merklich verschärft. In Litauen etwa ist geplant, dass Fahrzeuge mit belarussischen Nummernschildern nicht mehr fahren dürfen. In Lettland fürchten Be­la­russ*in­nen eine Abschiebung, wenn ihre Pässe abgelaufen sind, sie jedoch nur in Belarus neue Papiere bekommen können. Wie bewerten Sie das?

Kavaleuski: Das alles führt dazu, dass ein neuer Eiserner Vorhang entsteht. Die Distanz zwischen den westlichen Ländern und den Menschen in Belarus wächst. Ja, wir sind nicht Teil der Europäi­schen Union, aber dennoch sind wir Europäer*innen, wir fühlen uns als Teil dieser Familie, dieser Zivilisation. Aber wir haben das Gefühl, dass sich die europäische Familie von uns entfernt. Dort glaubt man, dass insbesondere Be­la­russ*in­nen eine Bedrohung der Sicherheit darstellen. Dabei reden wir vielfach von Leuten, die 2020 auf die Straßen gegangen sind.

taz: Sanktionen hatten ja bisher nicht den gewünschten Effekt. Was könnten, was sollten die westlichen Staaten denn jetzt stattdessen tun?

Kavaleuski: Die Vergabe von Visa für Be­la­russ*in­nen ­maximal erleichtern. Die Grenzkontrollpunk­te müssen wieder geöffnet werden. Um aus Minsk nach Warschau zu kommen, müssen die Menschen mindestens 48 Stunden Schlange stehen, manchmal sogar länger. Außerdem die Mobilität wieder erhöhen – durch die Eisenbahn, die unser Land immer mit Westeuropa verbunden hat, mit Warschau, Berlin und Paris. Doch die Beschränkungen für Be­la­russ*in­nen werden immer stärker, zur großen Freude von Wladimir Putin.

taz: Wie das?

Kavaleuski: Er sieht, dass die Be­la­russ*in­nen von drei Seiten in einer Falle sitzen. Da ist Lukaschenko mit seinen Repressionen, seinem Machthunger und seiner Unsicherheit, was die Zukunft anbelangt. Da ist Russland, das Belarus als Werkzeug für seine geopolitischen Ambitionen nutzt. Und da ist ein Teil der europäischen Länder, die sich gegen die Be­la­russ*in­nen abschotten.

taz: Sie haben berufsbedingt einige Jahre in den Vereinigten Staaten von Amerika verbracht. Was erwarten Sie von dem neuen US-Präsidenten Donald Trump? Weiß Trump überhaupt, dass es einen Staat namens Belarus auf der Landkarte gibt?

Kavaleuski: Da bin ich nicht sicher. Neulich hat er ja auch über Spanien gesagt, das Land gehöre zu den Brics-Staaten. Was Belarus angeht, so sollte man spezielle Kenntnisse von einem US-Präsidenten aber auch nicht unbedingt erwarten.

Foto: privat

Valery Kavaleuski,Jahrgang 1976, war als Diplomat für das belarussische Außen­ministerium tätig. Heute gehört er der Opposition an und arbeitet bei der Euro-­Atlantic Affairs Agency in Warschau.

taz: Wagen Sie eine Prognose, was ein mögliches Ende des Kriegs in der Ukraine angeht?

Kavaleuski: Trump wollte diesen Krieg in 24 Stunden beenden, jetzt sind wir schon bei sechs Monaten. Immerhin, da tut sich etwas. Mir scheint, dass er erkennt, wie wichtig es ist, dass dieser Krieg zumindest mit einem gerechten Frieden für die Ukraine endet.

taz: Also doch nicht ein Frieden um jeden Preis? Genau das fordern jetzt aber einige deutsche Parteien.

Kavaleuski: Die Ukraine jetzt nicht mit allen Mitteln zu unterstützen wird schwerwiegende Folgen haben. Internationale Regeln, die nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden sind, würden zerstört. Dazu gehören der Respekt vor der Souveränität eines Staats, das Prinzip von Nichteinmischung und Gewaltverzicht sowie die Unverletzlichkeit der Grenzen. Einen solchen Präzedenzfall darf es nicht geben.

taz: Wie würde sich ein Friedensschluss in der Ukraine auf Belarus auswirken?

Kavaleuski: Belarus ist sehr verwundbar. Wenn Russland diesen Krieg gewinnt, könnte Moskau versucht sein, das Land komplett zu unterwerfen. Das Gleiche könnte jedoch auch dann passieren, wenn die Ukraine einen Frieden erreicht, den sie von ihrem Standpunkt aus als gerecht ansieht. Ich möchte die europäischen Partner daran erinnern, dass ein nachhaltiger, gerechter Frieden in der Ukraine jedoch nur möglich ist, wenn Belarus vom Diktat Russlands befreit ist. Denn es war das von Russland kontrollierte Belarus, dass zum Ausgangspunkt der Aggression gegen die Ukraine wurde. Und das kann sich wiederholen.

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