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Neue Afrikapolitik der BundesregierungAngekommen in der „multipolaren Welt“

Kurz vor der Bundestagswahl stellt die Bundesregierung neue „afrikapolitische Leitlinien“ vor. Darin löst „gegenseitiger Respekt“ Forderungskataloge ab.

„Welt im Wandel“: Olaf Scholz beim gemeinsamen Partnerschaft-Gestalten in Senegal mit dem damaligen Präsidenten Macky Sall, 2022 Foto: Michael Kappeler / dpa

Berlin taz | Es ist nicht selbstverständlich, dass Afrika in globalen Konflikten auf der Seite des Westens steht: vor dem Hintergrund dieser Erkenntnis hat die deutsche Bundesregierung am Mittwoch neue „afrikapolitische Leitlinien“ verabschiedet.

Das im Auswärtigen Amt erarbeitete Dokument „Gemeinsam Partnerschaften gestalten in einer Welt im Wandel“ löst die Leitlinien aus dem Jahr 2014 ab, die 2019 unter dem Titel „Eine vertiefte Partnerschaft mit Afrika“ überarbeitet worden waren.

Während 2014 Afrika noch als „Kontinent der Zukunft und der Chancen“ bezeichnet worden war und 2019 vor dem Hintergrund des Mali-Einsatzes der Bundeswehr sicherheitspolitische Zusammenarbeit im Vordergrund stand, werden diese beiden Zugänge heute vor der konstatierten Schwächung des „globalen Westens“ sanft beiseitegeschoben.

Afrika „entwickelt sich immer mehr zu einem Gravitationszentrum in einer multipolaren Welt“, heißt es einleitend. Deutschland will mit afrikanischen Partnern gemeinsame Interessen definieren und gemeinsam „globale Herausforderungen“ meistern, auf der Grundlage von „gegenseitigem Respekt“.

Afrikanische Konflikte sind nicht mehr so wichtig

Genannt werden die „Dreifachkrise aus Klimawandel, Biodiversitätsverlust und Umweltverschmutzung“, die „Sicherung globaler Ernährungs- und Energiesicherheit“, der „Schutz des globalen Wasserkreislaufs“, der „Kampf gegen Pandemien“, das „kluge Management der fortschreitenden Urbanisierung“ und auch zum Beispiel die Reform globaler Governance-Strukturen, der Umgang mit künstlicher Intelligenz und „die Gestaltung von legaler und die wirksame Reduzierung irregulärer Migration sowie die Bekämpfung ihrer Ursachen“.

Letzteres schließt „Prävention und Bewältigung von Konflikten“ ein, was früher ein zentrales eigenständiges Thema war. Ebenso genannt wird wirtschaftliche Zusammenarbeit auf der Grundlage der Initiativen von G20, G7 und EU.

Die innere Verfasstheit afrikanischer Staaten, Demokratie und Menschenrechte nehmen hingegen einen nachgeordneten Rang ein, heißt es. Beim gemeinsamen Handeln mit afrikanischen Partnern „werden wir auch mit Staaten kooperieren, mit denen wir Werte nicht in vollem Umfang teilen“, heißt es; „autokratischen Tendenzen begegnen wir mit offenem, kritischem Dialog“.

Koloniale Aufarbeitung wird zentraler

Erstmals wird die kritische Aufarbeitung der deutschen Kolonialvergangenheit in Afrika ausdrücklich als „wichtiges Element für ein zukunftsgerichtetes Miteinander“ betont. 2014 kam das Thema noch gar nicht vor, 2019 nur in einem Nebensatz.

Jetzt erklärt die Bundesregierung sogar explizit: „Die Aussöhnung mit Namibia nach dem Völkermord an den Nama und Herero zu Beginn des 20. Jahrhunderts ist eine Priorität.“ Namibia ist das einzige Land, das namentlich in dem Papier vorkommt, und die umstandslose Anerkennung des Völkermordes in diesem Satz ist ebenfalls bahnbrechend.

Die Leitlinien hätten eigentlich schon 2024 fertig sein sollen. Das SPD-geführte Bundesentwicklungsministerium hatte bereits Anfang 2023 eine eigene Afrikastrategie „Gemeinsam mit Afrika Zukunft gestalten“ veröffentlicht, die bereits vieles vorwegnimmt, was jetzt das grüngeführte Auswärtige Amt vorgelegt hat. Es ist kein Geheimnis, dass es in der zerstrittenen Ampelkoalition unterschiedliche Sichtweisen etwa zu Militäreinsätzen in Afrika und zur globalen Energiepolitik gegeben hat.

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4 Kommentare

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  • Man könnte das Papier auch als "Eiertanz" bezeichnen.



    Z.B.: "Deutschland will mit afrikanischen Partnern gemeinsame Interessen definieren." Ich vorstelle mir vor, dass es da sehr unterschiedliche, um nicht zu sagen, sich widersprechende Auffassungen gibt. In diesem Fall plädiere ich schon für das Durchsetzen eigener dt. Interessen.



    "Beim gemeinsamen Handeln mit afrikanischen Partnern „werden wir auch mit Staaten kooperieren, mit denen wir Werte nicht in vollem Umfang teilen“": Ähm, es geht nicht um Werte, sondern um universelles Menschen- und Völkerrecht.



    "...„autokratischen Tendenzen begegnen wir mit offenem, kritischem Dialog“.": Das war bislang nicht anders, aber genutzt hat das wenig, weder der durch eigene afrikanische Diktatoren bis zum heutigen Tag ausgebeuteten Bevölkerung noch (bei Duldung durch Ditschl) den guten Wirtschaftsbeziehungen. Wenigstens letzteres haben China und Russland wesentlich besser drauf.



    "...kritische Aufarbeitung der deutschen Kolonialvergangenheit in Afrika...": Ich bin leider zu alt, um mir ausrechnen zu müssen, in die wievielte Generation das noch gehen soll. Mich betreffend wäre mein Urgroßvater alt genug, um schuldig geworden sein zu können.

  • Zu spät Herr Scholz,



    1) In ein paar Tagen sind sie eh weg vom Fenster, was soll der plötzliche Aktionismus? Warum haben sie die letzten 3 Jahre kaum gehandelt?



    2) Die Chinesen und Russland haben sich schon in Afrika kräftig eingekauft. Ob Häfen oder fruchtbare Böden, die "Perlen" sind schon weg. Die Deutsche Politik hat diesen Zug völlig verschlafen.



    Afrika wird asiatisch.

    • @Hans Dampf:

      China kauft nicht ein, sondern Investiert, schafft Arbeitsplätze und fördert Infrastrukturprogramme in Afrika. Die Chinesen in Afrika verhalten sich nicht annähernd so arrogant wie die anderen Industrieländer. Chinesen in Afrika leben bescheiden wie die meisten Afrikaner. Die fahren im Sammeltaxi und sind teilweise als Straßenverkäufer tätig. Das macht sie beliebt. Natürlich geht es um Profit, aber auf eine andere Art und nicht so herablassend.

      • @Andreas J:

        Geht es noch ein bisschen romantischer? Der verklärte Blick auf den ach so humanen "globalen Süden"?



        China investiert massiv, um globalen Einfluss zu gewinnen, sei es auf Infrastruktur oder Bodenschätze oder anderer Länder Innenpolitik.



        Chinesische Firmen beschäftigen in aller Regel nur chinesische Arbeiter und Ingenieure und schaffen keine primären Arbeitsplätze für Einheimische.



        Die chinesischen Investitionen müssen die afrikanischen Ländern mit horrenden Krediten selbst stemmen und geraten damit häufig in eine fatale Abhängigkeit zu China, mit entsprechendem Wohlverhalten.



        Was ist der Unterschied zwischen "Profit" und "herablassendem Profit"?



        Im übrigen hackt eine Krähe der anderen kein Auge aus. Klar ärgert sich der afrikanische Diktator, wenn ihm der "Westler" erläutert, dass er es doch mal mit demokratischen Wahlen probieren könnte. Oder Rechtsstaat.