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Endstation China

Laos ist eines der ärmsten Länder Asiens und steckt in einer Krise. Extreme Staatsverschuldung und Inflation treiben viele junge Leute aus ihrer Heimat. Der wachsende Einfluss Chinas ist Fluch und Segen zugleich

Nachts in Boten: Viele junge Frauen arbeiten in Laos als Sexarbeiterinnen, um ihre Familien finanziell zu unterstützen Foto: Laurent Weyl/panos pictures

Aus Boten und Vientiane, Laos, Andrew Müller und Michael Kleinod-Freudenberg

Kaum ist die 16-jährige Laotin Noy in Boten an der Grenze zu China angekommen, da beginnt in den kühlen Abendstunden ihr erster Arbeitstag. Fünf chinesische Männer umringen das Mädchen. Noy, die eigentlich anders heißt, trägt eine Zahnspange und lacht verlegen. „Ich habe noch nie in diesem Job gearbeitet“, sagt sie, während ihr Zuhälter, dessen Frau und einer der fünf Chinesen einen Preis aushandeln. „Etwas nervös bin ich schon.“ Dann geht alles sehr schnell, und sie verschwindet mit ihrem ersten Kunden – drei- oder viermal so alt wie sie – in der Dunkelheit.

Sexarbeit ist in Laos die wohl lukrativste von vielen ungelernten Arbeiten, mit der junge Menschen zum Überleben ihrer Familien beitragen. Das Land mit gut 7 Millionen Ein­woh­ne­r:in­nen hat kaum Industrie, aber viel Subsistenzlandwirtschaft – und ist eines der ärmsten Asiens. Die UNO listet Laos, das Teil der ehemaligen französischen Kolonie Indochina war, unter den am wenigsten entwickelten Ländern der Welt.

Seit der Pandemie und dem russischen Überfall auf die Ukraine ist Laos noch einmal ärmer geworden. Die gestiegenen Preise für Treibstoff oder Düngemitteln sowie der weltweite Anstieg der Zinsen stürzte die Wirtschaft in einen Strudel aus Inflation und Verschuldung. Ein riesiger Strom junger Menschen verlässt die Heimat, um in Thailand, Südkorea oder in chinesischen Sonderwirtschaftszonen wie Boten Geld zu verdienen.

Zwar befindet sich Boten auf laotischem Boden, doch gelten hier andere Regeln. An der Prostitution teils Minderjähriger verdient die laotische Polizei mit – und bessert sich ihr mageres Gehalt auf. Viel präsenter als laotische Polizisten sind Männer in weißer Uniform mit der Aufschrift „Police“, die sich als chinesisches Sicherheitspersonal entpuppen. Überhaupt könnte man meinen, in China zu sein. Überall prangen chinesische Schriftzeichen: auf Speisekarten, Produkten im Laden, selbst auf Gullydeckeln. Die Preise sind in Yuan angegeben und überall wird Chinesisch gesprochen. Selbst die Uhren vieler Menschen ticken nach chinesischer Zeit, für sie ist es eine Stunde später als in Laos.

Abends bevölkern Sexarbeiterinnen aus Laos und Freier aus China die Straßen. Überall sind Bordelle, davor sitzen junge Mädchen. Ihr Gelächter und das Johlen betrunkener Chinesen vermischt sich mit lauter Musik. Hinter vorgehaltener Hand kursieren Geschichten über Geschlechtskrankheiten und Drogen. In dem ehemaligen Marktareal, wo Noy seit heute arbeitet, kommt es manchmal zu Schlägereien. Als die junge Frau mit dem ersten Kunden verschwunden ist, greift ihr Zuhälter – nennen wir ihn Anousak, da er anonym bleiben will, – nach Holzresten, um in einer Metalltonne ein Feuer gegen die Nachtkühle zu machen. Die Stadt liegt zwar in den Tropen, aber auf 1.029 Metern Höhe. Anousak hat das Holz in den umgebenden Gassen gesammelt, wo die Reste von Botens erster Blüte verrotten. 2002 schloss der laotische Staat einen Pakt mit Peking und es entstand eine Casino-Stadt, die schnell außer Kontrolle geriet und von China stillgelegt wurde. Seit 2015 bekannt wurde, dass Boten eine Station der neuen China-Laos-Railway werden würde, erschallt hier tagsüber wieder Baulärm.

Der zwischen China und Laos verkehrende Schnellzug ist Teil der Neuen Seidenstraße, einer Vielzahl globaler Meginfrastrukturprojekte, die den chinesischen Einflussbereich ausdehnen. Die China-Laos-Railway ist der erste Abschnitt einer Trasse, die komplett auf chinesischer Technologie basiert und eines Tages vom südchinesischen Kunming bis ins über 2.500 Kilometer südlich gelegene Singapur führen soll – dessen Häfen eine wichtige Drehscheibe für den gigantischen Warenstrom aus und nach China sind.

Die durch den Zug wiederbelebte Sonderwirtschaftszone Boten ist das größte Investitionsprojekt in Laos. Noch stehen hier höchstens ein paar Dutzend Hochhäuser, aber bis 2035 wollen chinesische In­ves­to­r:in­nen eine Stadt mit mindestens 300.000 Ein­woh­ne­r:in­nen gezaubert haben. Die Bessergestellten – meist Chi­ne­s:in­nen – leben zentral, die meist laotischen Ar­bei­te­r:in­nen am Rand. Auf der Suche nach einem Ausweg aus der Misere wollen auch letztere wenigstens ein bisschen vom Wohlstand Chinas abhaben.

Am Nachmittag hat Anousak sich auf sein Moped gesetzt, um Noy vom Bahnhof abzuholen. Wie viele Mädchen habe sie seinen Kontakt von einer Freundin bekommen, die schon hier arbeitet. „Lieber würde ich die erste Apotheke von Boten eröffnen“, sagt er, „dann hätten die Mädchen eine bessere Arbeit.“ Oder eine Klinik für plastische Chirurgie, fügt er hinzu. Dann müssten die Mädchen für Schönheitsoperationen nicht mehr in die Provinz Bokeo fahren, wo es eine noch berüchtigtere chinesische Sonderwirtschaftszone gibt, das Golden Triangle.

Der Zuhälter Anousak wirkt wie seine eigene Antithese: schmächtige Figur, sanfte Art, zuweilen ein schlechtes Gewissen. „Die Inflation hat mich in dieses Gewerbe gedrängt“, beteuert er. Vor zwei Monaten ist er mit seiner Frau und seinem anderthalbjährigen Sohn aus der Provinz Luang Prabang nach Boten gezogen. Mit ihnen und 17 Mädchen lebt er nun in einem zweistöckigen Verschlag, der jeden Abend zum Bordell wird. Zuvor hat Anousak einen Elektronikladen betrieben und Konzerte organisiert. „Es hat kaum für mich und meine Familie gereicht“, sagt er. Früher habe er von 100.000 Kip (etwa vier Euro) am Tag gut leben können, doch in letzter Zeit seien die Preise derart gestiegen, dass das nun unmöglich ist. „Alle Menschen in Laos haben gerade solche Sorgen“, sagt er.

Nun ist dieses kleine Land zwischen China, Thailand, Kambodscha und Vietnam wahrlich leidgeprüft. Abhängigkeiten und Krisen gehören schon lange zum Alltag einer der letzten nominellen Volksrepubliken. Nach dem Ende des Vietnamkriegs – in Laos „Amerikanischer Krieg“ genannt – übernahmen die Kom­mu­nis­t:in­nen ein in jeder Hinsicht niedergebombtes Land, wollten einen Sozialismus sowjetischer Prägung aufbauen – und übernahmen sich damit. Die Kollektivierung der Landwirtschaft wurde inmitten von Flutkatastrophen und außenpolitischen Spannungen,nach gerade mal einem Jahr wieder gestoppt. Mitte der 1980er folgte Laos dem „großen Bruder“ Vietnam in marktwirtschaftliche Reformen.

Seither setzt die revolutionäre Volkspartei auf ausländische Investitionen in die Ausbeutung natürlicher Ressourcen in Form von Strom aus Wasserkraft, Plantagenwirtschaft oder Bergbau. Das geht einher mit Umsiedlung und Landverlust der lokalen Bevölkerung sowie mit ökologischem Raubbau. Laos ist abhängig von externer Hilfe, Investitionen und Importen. Die staatlichen Investitionen in Bildung und Gesundheit gehören zu den geringsten weltweit, während Korruption den Export billiger Rohstoffe befördert. Ein laotisches Sprichwort bringt es trocken auf den Punkt: „Reiche gehen nicht ins Gefängnis, Arme gehen nicht ins Krankenhaus.“

Während der Coronapandemie wurde aus einer alltäglichen Krise eine außergewöhnliche. Wichtige Waren- und Menschenströme kamen abrupt zum Erliegen – damit blieben die wichtigen Importe und Devisen aus. Eine Abwertung des laotischen Kip gegenüber dem US-Dollar, dem thailändischen Baht und dem chinesischen Yuan begann und verschlimmerte sich mit der durch den Ukraine-Krieg ausgelösten weltweiten Krise, bis der Kip im Juni 2022 zusammenbrach.

Die Inflationsrate sprang auf fast 27 Prozent und kletterte bis Februar 2023 auf über 41 Prozent. Verbraucherpreise verdoppelten sich, vor den Tankstellen bildeten sich lange Schlangen und Lebensmittel wurden unerschwinglich. Derzeit bewegt sich die Inflationsrate bei immer noch sehr hohen 22 Prozent. Laut einer vom Wirtschaftsgeografen Keith Barney und Kol­le­g:in­nen für den australischen Thinktank Lowy Institute verfassten und in Kürze erscheinenden Studie sind Hunderttausende Lao­t:in­nen dadurch in die Arbeitsmigration gedrängt und in Ernährungsunsicherheit geworfen worden. In einer Umfrage der Weltbank von Anfang 2024 geben über 60 Prozent der ärmsten Haushalte in Laos an, aufgrund der Inflation weniger zu essen. Und das in einem Land, in dem Unterernährung sowieso schon ein großes Problem ist.

In einer Umfrage geben über60 Prozent der ärmsten Haushalte an, aufgrund der Inflation weniger zu essen

Zur Inflation und den wachsenden Schulden der Privathaushalte gesellte sich ein starker Anstieg der Staatsverschuldung. Die Schuldenlast verdoppelte sich im Vergleich zu 2010 und erreichte zwischenzeitlich über 130 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Derzeit beträgt sie 108 Prozent. Führende Ratingagenturen setzten die laotische Volksrepublik auf die unterste Stufe: akute Gefahr eines Staatsbankrotts. Das erschwerte zusätzlich den Zugang zu Devisen, die wiederum für den Schuldendienst notwendig wären. Chinas Rolle in diesem Teufelskreis ist Segen und Fluch zugleich. Seit über zehn Jahren ist es der größte Gläubiger von Laos, das inzwischen über die Hälfte seiner Schulden bei dem nördlichen Nachbarn hat. Mit dem Geld aus China werden Großprojekte wie der Schnellzug oder Staudämme gebaut.

Einerseits bedeutet das eine Abhängigkeit, die international viel kritisiert wird. China ist im Globalen Süden der weitaus größte Kreditgeber. Neben Sri Lanka gilt Laos als Paradebeispiel dafür, wie die Verschuldung gegenüber China die eigene Staatssouveränität gefährden kann – zumal die Einnahmen aus den Investitionsprojekten vor allem den Eliten zugutekommen dürften. In der laotischen Bevölkerung gibt es seit Jahren Unmut angesichts der zahlreichen geschäftstüchtigen Chi­ne­s:in­nen im ganzen Land – und ihres zunehmenden auch kulturellen Einflusses. Laut einer Umfrage des ISEAS-Instituts in Singapur zeigten sich 2024 77,4 Prozent der befragten Lao­t:in­nen besorgt über den wachsenden Einfluss Chinas in der Region.

In Boten, das gefühlt schon weitgehend zu China gehört, machen sich viele Lao­t:in­nen nichts daraus. Manche fluchen zwar, dass sie Miete und Pacht an chinesische Geschäftsleute abdrücken müssen. Menschen wie Noy oder Anousak hingegen scheinen die Spielregeln des chinesischen Kapitals akzeptiert zu haben. Pragmatisch versuchen sie, die Vorteile zu sehen. Zum Beispiel, dass einige Freier in Yuan zahlen – eine deutlich stabilere Währung als der Kip. „Deswegen lohnt sich das Geschäft hier“, sagt Anousak.

Wie die meisten Lao­t:in­nen in Boten nutzen auch Anousak und die in seinem Bordell arbeitenden Mädchen regelmäßig den chinesischen Zug, etwa um ihre Familien zu besuchen. Bis Ende 2022 dauerte die Reise von Boten in die Hauptstadt Vientiane noch rund 24 Stunden. Man musste in Bussen unzählige Schlaglöcher und Kurven durch unwegsames Bergland über sich ergehen lassen. Der Zug hingegen schießt wie ein speerförmiges Raumschiff mit 160 km/h durch etliche Tunnel und über 167 Brücken. Die Fahrt dauert nur noch drei Stunden.

Die China-Laos-Railway ist der Inbegriff von Chinas Fluch und Segen. Einerseits kurbelt der Zug die Wirtschaft an, indem er zum Beispiel für einen Aufschwung der Plantagenwirtschaft sorgt – vor allem Durian und Bananen werden für den chinesischen Markt angebaut. Andererseits geschieht das unter Einsatz von Pestiziden, unterirdischen Arbeitsbedingungen und der Rodung der wenigen noch verbleibenden intakten Wälder. Wie ein jüngster Bericht der Plattform Mekong Eye bemerkt, verlor Laos so allein im Jahr 2023 mehr als 136.500 Hektar Urwald, eine der höchsten Entwaldungsraten weltweit.

Das zeigt sich auf der Fahrt von Boten in die laotische Hauptstadt: Während man an beeindruckenden Karstlandschaften, tropischen Wäldern und Dörfern mit rot-goldenen buddhistischen Tempeln vorbeirauscht, tauchen immer wieder Kautschukplantagen, kahl geschorene Hänge und nackte Bergkuppen auf, wo einst Tiger durch dichte Vegetation streiften.

Seitdem der neue Schnellzug aus China in Boten hält, ist die Stadt zu einem der größten chinesischen Investitionsprojekte in Laos geworden Foto: Laurent Weyl/panos pictures

In den komfortablen Zügen sitzen oft ebenso viele Menschen aus China wie Laot:innen. Im Bahnhof der alten Königsstadt Luang Prabang steigen dann allerhand westliche Tou­ris­t:in­nen zu. Der nächste Halt ist Vang Vieng, wo im November 2024 sechs Tou­ris­t:in­nen an gepanschtem Alkohol starben. Dieser Vorfall dürfte jedoch wenig daran ändern, dass der Zug den Tourismus wieder kräftig ankurbelt, einen der wichtigsten Devisenbringer. Gegen Ende der Fahrt wird das Gelände flacher; an Reisfeldern, Gemüsegärten und weidenden Wasserbüffeln vorbei erreicht man die vorerst letzte Station Vientiane.

Auch hier prägen chinesische Bauprojekte immer stärker das Stadtbild. Außerhalb des Stadtzentrums unweit des Bahnhofs, einem der größten Gebäude des Landes, entsteht eine weitere Sonderwirtschaftszone, That Luang Lake. Sie ist ebenfalls Teil der Neuen Seidenstraße und im Volksmund als die „chinesische Stadt“ bekannt. Aufsehen erregte sie, weil sie in den ökologisch wichtigen Mekong-Feuchtgebieten östlich der ehemaligen Stadtmauer hochgezogen wird. Auch sonst platzt die einst beschauliche Stadt aus allen Nähten.

In einem hippen Restaurant im touristischen Herzen Vientianes, wo der Mekong Laos und Thailand trennt, erzählen befreundete So­zi­al­wis­sen­schaft­le­r:in­nen der Nationalen Universität beim Abendessen mehr von der Situation im Land. „Die jungen Leute verlassen unser Bildungssystem gerade auf allen Stufen, von der Grundschule bis zur Universität“, sagt Kan. Ihr Kollege Sypha fügt hinzu: „Die Krise ist beispiellos.“

Unter dem Druck steigender Preise greifen viele Menschen verstärkt auf die krisenbewährten Methoden der Subsistenzwirtschaft zurück, Reisanbau in Kombination mit Jagen und Sammeln, aber auch Arbeitsmigration. Letzteres umso mehr, je mehr die Menschen den Zugang zum Land an Investitionsprojekte verlieren. An allem, was Geld kostet, wird zwangsläufig gespart – auf privater wie staatlicher Ebene. Zahlen des Bildungsministeriums belegen einen signifikanten Rückgang von Schü­le­r:in­nen und Student:innen, wie die Laotian Times im Juni berichtete. 2023 entschieden sich lediglich 10.000 von 49.000 aller Absolventinnen und Absolventen der weiterführenden Schule für ein Studium. In Deutschland sind es je nach Bundesland 60 bis 80 Prozent.

„Die Inflation hat mich in das Bordellgewerbe gedrängt. Ich würde lieber die erste Apotheke von Boten eröffnen“

Anousak, Zuhälter in Boten

Und nicht nur Studierendenzahlen brechen ein: „Meine Abteilung hat viele Angestellte verloren“, sagt Sypha, während er Bier nachschenkt und sich darüber verärgert zeigt, dass der von Viet­na­me­s:in­nen geführte Laden keine laotischen Gerichte anbietet. „Sie sind irgendwann einfach nicht mehr zur Arbeit erschienen.“

Viele von ihnen dürfte es nach Thailand oder Südkorea gezogen haben, wo die Löhne in der Landwirtschaft, auf dem Bau oder in der Fabrik um ein Vielfaches höher liegen. So ist die Zahl der Ar­beits­mi­gran­t:in­nen von 50.000 im Jahr 2022 auf über 415.000 im Juni 2024 gestiegen, die meisten sind junge Menschen. Mit der Abwanderung aus dem heimischen Bildungssystem und der Einwanderung in ungelernte, prekäre Arbeitsverhältnisse im Ausland wird laotische Arbeitskraft auf lange Sicht entwertet und dem Aufbau einer heimischen Wirtschaft entzogen. „Ich könnte von meinem Gehalt an der Uni allein auch nicht leben“, bemerkt Sypha. „Ohne die zusätzlichen Beratungsaufträge für internationale Organisationen wüsste auch ich nicht weiter.“

Der Internationale Währungsfonds verspricht bis Ende dieses Jahrzehnts keine Besserung, weder in Sachen Inflation noch Schulden. Die Studie des Lowy-Instituts warnt vor einer ganzen Dekade sozialer und ökonomischer Misere, sollte sich China – anders als einst Russland – nicht zu einem Schuldenerlass durchringen können. Und danach sieht es derzeit nicht aus.

Doch es gibt auch Hoffnung. Und die heißt ebenfalls: China. Während landesweit die Studierendenzahlen einbrechen, erlebt die chinesische Sprache einen regelrechten Boom. Unter den verbliebenen Studierenden ist Chinesisch seit 2023 das am meisten nachgefragte Fach. Ein klares Zeichen für die Hoffnungen der jungen Generation, die mit China verknüpft sind.

So ist auch Amphay ins quasi-chinesische Boten gekommen, um dem Ort eine bessere Zukunft abzuringen. Sie ist ebenfalls 16, hat die Schule abgebrochen – sich aber gegen Sexarbeit entschieden. „Manchen Familien ist das Geld wichtiger“, sagt sie, „aber meine Eltern und ich wollen das nicht.“ Allerdings wollte Amphay auch nicht weiter auf der Kautschukplantage ihrer Familie schuften; sie musste jede Nacht um eins aufstehen, um die Bäume anzuritzen und den austretenden weißen Saft zu ernten.

Ihr fiel es schwer, ihre Heimat zu verlassen, doch immerhin war es nicht weit nach Boten. Sie lebt seit gut einem Monat hier und arbeitet als Putzkraft in einem chinesischen Reisebüro. Dort soll sie zwei Millionen Kip monatlich verdienen, kaum 90 Euro. Das ist ein Zehntel dessen, was eine befreundete Sexarbeiterin oder ein Arbeitsmigrant in Südkorea verdient – aber nicht schlecht für eine Ungelernte, zumal Amphay ihre Unterkunft nicht bezahlen muss.

Allerdings ist sie noch immer nicht entlohnt worden, nur 300.000 Kip (etwas mehr als 12 Euro) gaben ihre Chefs ihr bisher. Davon zu leben, war nur möglich, weil sie in ihrem Zimmer Reis kocht, den sie von zu Hause mitgebracht hat. Wird sie das Geld noch bekommen? Sie hat sich bisher nicht getraut nachzufragen. Viele der jungen Männer, die auf den Baustellen arbeiten, stellen sich die gleiche Frage. Manche von ihnen mischen seit Monaten Beton, schleppen Sand oder hieven Metallteile in die Höhe, haben aber noch kein Geld gesehen.

Immerhin hat Amphay viele längere Pausen, und die nutzt sie. Sie sitzt dann vor dem Reisebüro an einem Tisch auf dem überdimensionierten Gehweg im Zentrum von Boten und hält einen dicken gelben elektronischen Plastikstift in Tigerform in der Hand. Wenn sie seine Spitze über die Satzanfänge in einem Heft führt, das aufgeschlagen vor ihr liegt, spricht der Tiger. Er liest die Sätze vor – auf Laotisch und Chinesisch. So bringt sie sich selbst die Sprache bei, die ihr die Türen zu einer besseren Zukunft öffnen soll.

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