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„Wir habenin DeutschlandeinsehreffektivesMutter- Schuld- Programm“

Paula Diederichs hat in Berlin das Hilfesystem für Eltern mit Schreibaby aufgebaut. Viele seien wirklich in Not und hätten auch mal Gewaltfantasien, sagt sie. Ein Gespräch über die besondere Zeit nach der Geburt, was den Familien hilft – und warum sie letztlich Friedensarbeit macht

Bei ihrer Arbeit fließen öfters Tränen: Paula ­Diederichs in der Schreibaby-­Ambulanz in Berlin-Mitte

Von Dunja Batarilo, Antje Lang-Lendorff (Gespräch) und Doro Zinn (Fotos)

taz: Frau Diederichs, Sie beraten Eltern, die ein Schreibaby haben und nicht mehr weiter wissen. Das klingt nach einem anstrengenden Job.

Paula Diederichs: Herausfordernd ist es schon. Aber auch eine große Freude, weil ich merke, dass ich wirklich etwas verändern kann. Diese frühkindlichen Prägungen wirken ein Leben lang. Insofern ist meine Arbeit auch politisch.

taz: Wie meinen Sie das?

Diederichs: Was ich mache, ist Friedensarbeit. Die Familie ist die kleinste Zelle der Gesellschaft. Ich helfe, in einem schweren Konflikt wieder Frieden herzustellen. Nicht nur die Eltern, auch die Kinder lernen dabei Konfliktfähigkeit. Es ist viel sinnvoller und auch effizienter, die Familien frühzeitig zu unterstützen, bevor die Krisen sich verfestigen, und nicht erst später, wenn das Kind bereits in der Kita oder in der Schule ist.

taz: Laut Definition ist ein Kind ein Schreibaby, wenn es drei Stunden pro Tag schreit und das an mehr als drei Tagen pro Woche über länger als drei Wochen hinweg.

Diederichs: Genau. Der Arbeitsvertrag der Eltern mit einem Schreibaby sieht so aus: 24 Stunden Dienst, sieben Tage die Woche. Keine Pausen, kein Urlaub, kein Krankenstand. Und unkündbar! Das macht die Situation so fatal. Die Eltern wollen dem Kind alles geben, sie tragen und stillen und lieben und singen bis zur Erschöpfung, aber sie haben damit keinen Erfolg und bekommen keinerlei Anerkennung. Viele Eltern fühlen sich vom Kind angebrüllt. Die sagen mir: Das Kind schreit mich an und sagt: Du kriegst das doch sowieso nicht gebacken. Sie sind in einer echten Notlage.

taz: Wohin führt das im schlimmsten Fall?

Diederichs: Zu einem Schütteltrauma beim Kind. Wenn es bei den Eltern, meist leider bei den Vätern, durch den extremen Stress zu einem Aussetzer kommt und sie ihr Kind schütteln, dann knallt beim Baby das Gehirn gegen die Schädel­decke und es kommt zu Mikro­blutungen. Man kann das eigene Baby sehr schnell in die Behinderung schütteln. Und das ist natürlich eine Tragödie, für alle Beteiligten.

taz: Wie oft kommt das vor?

Diederichs: Wir haben da keine genauen Zahlen. Aber so oft, dass die erfahrene Rechtsmedizinerin Saskia ­Etzold gefordert hat, alle Kinder, die am plötzlichen Kindstod sterben, daraufhin zu untersuchen. Und glauben Sie mal nicht, dass das alles Monstereltern sind, denen das passiert. Schätzungen zufolge sind etwa 20 Prozent aller Babys Schreibabys. Fast alle dieser Mütter und Väter berichten, dass sie schon Gewaltphantasien hatten. Dass es nicht zur Umsetzung kommt, dabei helfen wir.

taz: Können Sie beschreiben, wie Sie das machen?

Diederichs: Wichtig ist, dass die Eltern sich eingestehen, dass sie in einer massiven Krise stecken. Dafür schaffen wir den Raum. In einer ruhigen, freund­lichen Atmosphäre führen wir ein empathisches Gespräch, die Eltern dürfen in ihrer Not einfach da sein und sich verstanden fühlen.

taz: Und das Kind?

Diederichs: Dem sage ich: Du hast es echt schwer gerade, du kannst einfach nicht runterkommen. Deine Eltern tun alles, um dir zu helfen, aber es klappt einfach nicht. Das Baby hat ja eine Entspannungsblockade. Es reibt sich schon die Äuglein und versucht zu schlafen, aber in dem Moment, wo es sich ein bisschen entspannt, kommt ein Impuls in ihm hoch, der es wieder in die Spannung bringt. Das autonome Nervensystem ist in Richtung Sympathikus verschoben. Da setzen wir an, bei den Eltern und beim Kind.

taz: Wie bringt man ein Familien­system in die Entspannung?

Diederichs: Durch Gespräche, durch Atemübungen. Den Kindern helfen wir zu lernen, sich besser zu beruhigen. Und den Eltern bringen wir zum Beispiel bei, wie sie das Kind halten können, damit es nicht immer wieder in diesen Schreckreflex kommt.

taz: Heißt das, die Eltern machen ­etwas falsch und deshalb schreit das Baby?

Diederichs: Sehen Sie, genau das ist der Punkt. Darum geht es auch in den ­Sitzungen. Besonders mit den Müttern arbeiten wir ganz viel zu den Themen Schuld und Vergebung.

taz: Mama ist an allem schuld?

Diederichs: Meistens empfinden die Mütter das so, ja. Wir haben hier in Deutschland ein sehr effektives Mutter-Schuld-Programm laufen. Die ­Blicke, die Frauen bekommen, wenn ihre Kinder im Restaurant oder an der Supermarktkasse schreien, was die sich ­anhören müssen … Das Verhalten der Kinder wird immer auf die Mutter bezogen. Das Fatale ist: Je mehr sich Frauen oder die Elternpaare schuldig fühlen, desto mehr verschließen sie sich nach außen.

taz: Wie kommt man da raus?

Diederichs: Dazu braucht es jemanden von außen, der von dieser vermeint­lichen Schuld freispricht. Wir erinnern daran: Sich Hilfe zu holen ist kein ­Scheitern, sondern etwas Urmensch­liches.

taz: Sie haben 1996 begonnen, die Schreibaby-Ambulanzen in Berlin auszubauen. Wie kam es dazu?

Diederichs: Dafür muss ich etwas ­ausholen. Ich komme aus der Eifel, vom Bauernhof, und bin sehr katholisch geprägt. Nach der Schule war ich im ­Kloster und habe eine Haushaltslehre gemacht, 1980 bin ich dann ins wilde Westberlin gegangen, zum Studium.

taz: Das muss ein Kulturschock gewesen sein.

Diederichs: Absolut. Die 68er waren noch nicht lange her, es gab Haus­besetzungen, ich war Teil der Sponti-­Bewegung. Im Sozialarbeitsstudium wollten wir eine bessere Welt schaffen. Ich habe die Abgründe der Stadt ­gesehen und bin schon bald in die Obdachlosenarbeit eingestiegen. Damals gründeten sich die Grünen, ich war in einer grünen Hochschulgruppe, aber da gab es gleich Machtkämpfe, das ging für mich gar nicht. Wir hatten ein Seminar zu Sozialismus und Psychoanalyse, also zur Frage, warum der Mensch nicht gut genug ist für den Sozialismus, das fand ich spannend. Ich habe mich dann viel mit politischer Psychologie befasst und bin in Vorlesungen von Wilhelm Reich gegangen …

taz: Wilhelm Reich war Psycho­analytiker und Sexualforscher.

Diederichs: Er hat sich damit befasst, wie Menschen geformt werden müssen, um Faschisten zu werden. Oder aber, um mündige Bürger oder gute Demokraten zu werden. Seine Tochter, die Ärztin Eva Reich, hat die Ideen ihres Vaters auf Babys übertragen: Was formt Babys? Sie wollte Babys und Frauen in die Selbstwirksamkeit bringen und die Bindung stärken. Damit war sie ihrer Zeit weit voraus, denn es gab die Theorien dazu noch gar nicht.

taz: Die Bindungstheorie?

Diederichs: Ja, und die Entwicklungspsychologie. In den 80er Jahren war das noch nicht im Mainstream an­gekommen. Wegstellen, Schreien­lassen – es ist noch nicht lange her, da war das normal. In den Kliniken wurden Säuglinge ohne Anästhesie operiert und beschnitten, Mütter von ihren Kindern getrennt. Undenkbar aus heutiger Sicht. Ich habe Eva Reich damals in Berlin kennengelernt und war begeistert. Sie hat bei ihren Berlinaufenthalten immer mehrere Monate bei mir gewohnt. Sie hat sich als Ärztin für die natür­liche Geburt eingesetzt. Als ich Mutter wurde, habe ich als eine der ersten Frauen überhaupt in einem Geburtshaus entbunden.

taz: War Ihre Tochter ein Schreibaby?

Diederichs: Nicht im klassischen Sinne. Aber meine Tochter war sehr unruhig, ich kenne die Situation, hilflos zu sein – trotz all dem Wissen, das ich hatte. Das macht es ja oft noch viel schlimmer, wenn man vom Fach ist. Mittlerweile bin ich Oma, ich habe eine Enkelin und einen Enkel.

taz: Wie viel Eva Reich steckt in den Berliner Schreibaby-Ambulanzen von heute?

Diederichs: Jede Menge. Ich habe über Jahre hinweg mit ihr gearbeitet. Das prägt, ich habe viel von ihr über­nommen.

taz: Sie sind seit Jahrzehnten in dem Bereich tätig. Wie ist Ihre Erfahrung: Kriegen gestresste Eltern eher gestresste Kinder?

Diederichs: Nein. Es gibt nicht den einen Elterntypus, der eher ein Schreibaby hat. Wenn eine Geburt schwer war, das Kind sich vielleicht verkantet hat und rausgehebelt werden musste, dann hat nicht nur die Mutter Stress erlebt und im Körper sitzen, sondern auch das Kind. Im Umgang damit spielt dann der Stresstyp eine Rolle. Wenn ich sehr ehrgeizig oder per­fektionistisch bin, dann erlebe ich es eher als persönliches Scheitern, wenn ich mein Kind nicht beruhigen kann. Und habe dann nicht nur ein schreiendes Kind, sondern auch noch ein ­Problem mit mir selbst. Wer eher gnädig mit sich ist, kriegt das besser integriert.

Paula Diederichs

Wie sie wurde

Paula Diederichs, geboren 1957, wuchs auf einem Bauernhof im Kreis Cochem-Zell in der Eifel auf, gemeinsam mit zwei Schwestern und einem Bruder. Sie machte nach der Schule eine Haushaltslehre im Kloster Eltzerhof in Koblenz, 1980 zog sie nach Westberlin. Nach ihrem Studium an der staatlichen Fachhochschule für Sozialarbeit, heute Alice-Salomon-Hochschule, arbeitete sie zunächst mit Obdachlosen am Bahnhof Zoo. Später machte sie berufsbegleitend eine Ausbildung in Körperpsychotherapie.

Was sie ist

1996 übernahm Diederichs die erste Schreibaby-Ambulanz in Berlin. In München gab es damals bereits eine entsprechende Anlaufstelle. Sie baute das Hilfesystem im Laufe der Jahre weiter auf, heute gibt es 16 Schrei­baby-Ambulanzen in Berlin. Diederichs leitet die Ambulanz in Berlin-Mitte. Von 2016 bis 2019 war sie Präsidentin der Internationalen Gesellschaft für Pränatale und Perinatale Psychologie und Medizin. In dieser Zeit brachte sie auch das Hilfetelefon Schwierige Geburt mit auf den Weg.

taz: Und was wird aus den Schrei­babys, wenn sie größer sind, bleiben die sensible Kinder?

Diederichs: Mich fragen die Eltern immer: Kriegt mein Baby später ADHS?

taz: Und?

Diederichs: Ich sage: Weiß ich nicht, es ist wirklich zu früh für eine Diagnose. Mir hat noch kein Schreibaby gesagt, warum es brüllt. Wo die Reise hingeht, das zeigt nur die Zeit. Man sagt aber, Schreibabys sind Kämpfer, die geben Gas und lassen sich nicht unterkriegen. Tendenziell sind sie intelligent und wissbegierig, sie nehmen viele Reize auf. Die Herausforderung liegt darin, ihnen zu helfen runterzufahren und sich zu entspannen. Allerdings ohne die Mutter verrückt zu machen, dass die jetzt dem Kind eine komplett reiz­arme Umgebung bieten muss.

taz: Wie meinen Sie das?

Diederichs: Das begegnet mir immer wieder: Den Müttern wird gesagt, sie sollen eine reizarme Umgebung bieten, und dann sitzen die mit ihrem Baby in einem abgedunkelten Zimmer bei ­Kartoffeln und Reis und fühlen sich wie im Knast. Das kann es auch nicht sein.

taz: Welche Rolle spielen die Väter dabei?

Diederichs: Die Mutter ist schon die engste Bindungspartnerin, das Kind hat schließlich neun Monate in ihr gewohnt. Die Väter sind aber auch ganz wichtig. Wie stark sie Bündnispartner für die Mutter sind und ihr Ruhe geben, das ist entscheidend. Und natürlich auch, wie viel sie ihr das Kind abnehmen. Das muss jedes Paar individuell aushandeln.

taz: Gehen Väter mit Schreibabys ­anders um als Mütter?

Diederichs: Frauen gehen eher in eine resignativ-depressive Haltung und denken: Ich bin schuld, ich bin keine gute Mutter. Männer werden eher aggressiv. Das ist einfach Verhaltens­biologie. Bei ihnen ist die Gefahr größer, dass es zu einem Aussetzer kommt, und dann wird geschüttelt. Ich sage den Vätern: Wenn Sie merken, dass Sie in Stress geraten, dann legen Sie das Kind hin und verlassen Sie den Raum. Atmen Sie durch, bis Ihr Puls sich beruhigt hat und Sie wieder klar im Kopf sind. Und machen Sie sich einen Termin mit einer professionellen Beratungsstelle, um mit dieser Aggression besser klarzukommen.

taz: Die Eltern sind in einer krassen Ausnahmesituation …

Diederichs: Ja, zu uns kommen wirklich krisengeschüttelte Familien. ­Deshalb arbeite ich gerne in dem Bereich.

taz: Warum das?

„Ich mag Krisen. Menschen, die eine Krise erleben und damit bewusst umgehen, wenn sie die Krise durchgestanden haben, das sind die richtig coolen Leute. Die wissen wirklich, wovon sie sprechen“

Diederichs: Ich mag Krisen. Ich habe sie selber zur Genüge gehabt, sie haben mich geprägt. Was ich auch bei meiner Arbeit sehe: Menschen, die eine schwere Krise erleben und damit bewusst umgehen, wenn sie die Krise durchgestanden haben, das sind die richtig coolen Leute. Die wissen wirklich, wovon sie sprechen.

taz: Welche Krisen haben Sie geprägt?

Diederichs: Ich habe eine Schwester 1982 durch einen Fallschirmabsturz verloren. Vier Monate später ist mein Vater an einem Herzinfarkt gestorben. Da war ich in einer schweren Krise. Im Jahr 2000 auch wieder. Ich war mit einem Mann zusammen und dachte, wir werden gemeinsam alt, dann kam die Trennung. Ich musste als Allein­erziehende mit einer 12-Jährigen klarkommen und hatte mich gerade erst selbstständig gemacht. Das war eine harte Zeit, ich musste unheimlich ­powern.

taz: Und trotzdem sagen Sie, Sie mögen Krisen?

Diederichs: All das hat auch eine große Kraft freigesetzt. Man kann stark aus einer Krise hervorgehen. Das möchte ich auch den Eltern vermitteln, die zu uns kommen.

taz: Hat sich die Arbeit mit den Familien seit den 90ern verändert?

Diederichs: Seit Anfang der 2000er gab es plötzlich viel mehr Kaiserschnitte. Es wurde schnell deutlich: Für ­manche der Frauen, die in die Ambulanz kamen, war das die Rettung in der Not. Für ­andere ist der Kaiserschnitt ein Scheitern.

taz: Sie beschäftigen sich auch viel mit Gewalt bei der Geburt.

Diederichs: Ein riesiges Thema ist das! Verstehen Sie mich nicht falsch, die ­moderne Medizin ist ein Segen für die Geburtshilfe. Noch nie war die ­Säuglings- und Müttersterblichkeit so gering wie heute. Viele tolle Fachleute geben sich wahnsinnig viel Mühe. Aber es gibt auch Kreißsäle in Deutschland, da müsste eigentlich an der Tür stehen: Paragraf eins des Grundgesetzes gilt hier nicht.

taz: Die Würde des Menschen ist unantastbar.

Schreibabys haben eine Entspannungsblockade. Da setzt Paula Diederichs an

Diederichs: Und das sollte auch für Gebärende gelten. Eine Geburt ist ein sehr sensibler Prozess, eine präzise Kommunikation zwischen Mutter und Baby. Wenn die ins Stocken gerät, wenn ein medizinischer Eingriff sein muss, dann ist das Notfallmedizin. Da geht es dann nur noch um Blutdruck und Herztöne. Das Erleben der Frau, ihre Selbstbestimmtheit und ihre Würde werden ganz schnell zur Nebensache. Es wird über die Gebärende hinweg entschieden und agiert. Die Frau ist in dieser Situation wehrlos dem Geschehen ausgeliefert.

taz: Wie oft hören Sie solche Geschichten in der Schreibaby-Ambulanz?

Diederichs: Sehr oft. Ich höre, dass Frauen sich unter der Geburt „wie ein Stück Fleisch auf der Schlachtbank“ gefühlt haben, dass sie nicht ernst genommen oder sogar abgewertet wurden. Das setzt sich in der Seele fest. Sehr oft ist es der Stress einer traumatischen Geburt, der Mutter und Kind noch in den Knochen sitzt, wenn sie bei uns ankommen.

taz: Wie kann eine Frau unterscheiden, ob die Geburt schwierig oder traumatisch war?

Diederichs: Die wenigsten Ge­burten sind leicht. Aber Frauen, die normale Geburten erlebt haben, die sagen ­irgendwann: Ich kann mich an die Wehen­schmerzen gar nicht mehr ­erinnern. Das Erleben verblasst, ­innerhalb des ersten Jahres streicht das System das aus der Erinnerung. Wer eine traumatische Geburt hatte, vergisst das nicht. In der Schreibaby-­Ambulanz können wir als Krisen­begleiterinnen derzeit bis zu zehn ­Sitzungen anbieten. Den meisten Frauen gelingt es, innerhalb dieser Zeit die Geburtserfahrung zu integrieren. Wenn wir merken, das reicht nicht, dann schauen wir, wo weiter­führende Hilfe herkommen kann. Wenn man den Familien in dieser frühesten und sehr vulnerablen Zeit hilft, die Krise zu bewältigen und gut in Spur zu kommen, dann ist das wirklich gut investiert.

taz: Sie sind jetzt 67. Wie sieht es aus, gehen Sie bald in Rente?

Diederichs: Ich reduziere meine Stunden, aber aufhören will ich nicht. Die Arbeit mit den Familien ist ein großer Reichtum für mich. Ich kann helfen, dass die Eltern wieder zusammen­finden oder dass eine Trennung, wenn es sie gibt, friedlich abläuft. Ich kann dafür sorgen, dass die Kinder in einer sicheren Umgebung sind. Wenn eine von der Geburt traumatisierte Frau sagt, sie könne sich nach unseren ­Treffen eher wieder vorstellen, ein zweites Kind zu bekommen, dann ist das toll.

taz: Eltern, denen Sie geholfen haben, sind sicherlich sehr dankbar.

Diederichs: Wenn sich eine Familie neu gründet, ist das eine sehr verletzbare Zeit. Die Eltern wollen das Beste für ihr Kind, sie begegnen mir sehr herzens­offen. Es fließen oft Tränen, wir sind uns wirklich nahe. Da bekomme ich unheimlich viel zurück, und das ist wunder­bar.

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