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Fridays for Future schafft es längst nicht mehr, die Massen zu mobilisieren. Was die Aktivist*innen dennoch antreibt - und warum sie von den Grünen enttäuscht sind

Auf der Suche nach der Zukunft, auch für sie selbst: Fridays-for-Future-Protest im Landschaftspark DuisburgAnfang Januar Foto: Maximilian Arnhold

Aus Duisburg und Hannover Maximilian Arnhold

Linda Kastrup steht mit einer kleinen Gruppe von Ak­ti­vis­t*in­nen auf einer Stahlbrücke, hinter ihr die stillgelegten Hochöfen des Duisburger Hüttenwerks. Es ist ein frostiger Januartag mit Schneeregen, doch das Wetter schreckt die 25-jährige Studentin nicht ab. Vor der Kulisse der Industrieruine reckt sie die Faust in die Luft. „Was wollen wir?“, ruft sie entschlossen, „Klimagerechtigkeit“, antworten ihre Mit­strei­te­r*in­nen von Fridays for Future (FFF) im Chor. Dann entrollen die Ak­ti­vis­t*in­nen am Geländer ein Transparent mit dem Aufspruch: „Zukunft wär schon geil“.

Das gilt allerdings auch für die Bewegung. Der Landschaftspark Duisburg-Nord, heute ein Naherholungsgebiet in der Stadt, ist fast menschenleer, nur ein lokales Filmteam ist für die Aktion vorbeigekommen. Die Ak­ti­vis­t*in­nen geben Interviews, machen Fotos für Social Media, zeigen sich selbstbewusst.

Noch vor wenigen Jahren schien Fridays for Future unaufhaltsam: 2019 mobilisierte Fridays for Future bis zu 1,4 Millionen Menschen für den globalen Klimastreik, vor der Bundestagswahl 2021 war Klimaschutz das beherrschende Thema. Doch die Euphorie, mit der Fridays for Future den Klimaschutz einst überall ins Zentrum der gesellschaftlichen Debatte rückte, ist verflogen. Woran liegt das?

„Die Ausgangslage ist heute eine völlig andere als vor der letzten Wahl“, führt Kastrup an, die auch eine der Sprecherinnen der Bewegung auf Bundesebene ist. „Wir haben seitdem eine massive Diskursverschiebung nach rechts erlebt“, erinnert sie. „Immer wieder übernehmen auch demokratische Parteien die Positionen der AfD.“ Mittlerweile müsse man für so grundlegende Dinge wie für die Demokratie und gegen rechts demonstrieren, Klimaschutz habe es da schwer. „Wir gehen auch dafür auf die Straße, um unsere langfristige Meinungsfreiheit und damit die Möglichkeit zum Druckaufbau für mehr Klimaschutz abzusichern.“

Der Protestforscher Daniel Saldivia Gonzatti vom Wissenschaftszentrum für Sozialforschung in Berlin nennt weitere Gründe für die Demobilisierung: Es gebe einen Ermüdungseffekt, die Fridays-Aktionen seien weder neu noch überraschend. Schulstreik gelte nicht mehr als Schockmittel, viele der Ak­ti­vis­t*in­nen von damals seien heute selbst im Studium oder im Beruf. Dazu komme die Krisenstimmung in der Gesellschaft: Statt Klimaschutz bestimmten Wirtschaftslage und Migration die Debatte. „Den Ak­ti­vis­t*in­nen gelingt es bisher nicht ausreichend, diese Themen mit Klimaschutz zu verbinden“, meint der Experte. „Die Bewegung hat es nicht geschafft, ihr einseitiges Öko-Image abzulegen.“ Schließlich der politische Widerstand: „Längst hat sich eine rechtskonservative Gegenbewegung formiert und nutzt Klimathemen, um Kulturkämpfe zu befeuern“, mahnt auch der Politikwissenschaftler.

Trotzdem zeige Fridays for Future immer noch ein großes Mobilisierungspotenzial, besonders im Vergleich zu massenwirksamer Protestorganisation etwa von Querdenken, von denen es allenfalls noch Ableger gebe. Fridays for Future habe ihre Strategie immer wieder an veränderte politische Rahmenbedingungen angepasst, um für eine soziale Klimapolitik zu werben. Saldivia Gonzatti sagt: „Es ist schon ein Erfolg der Bewegung, dass es sie nach sechs Jahren weiterhin gibt.“

Mit der Neuwahl kämpft sie um ihre Bedeutung. Wie der Klimaschutz insgesamt, der laut ARD-Deutschlandtrend auf Platz vier der wichtigsten Themen abgerutscht ist.

Wenige Stunden vor der Aktion in Duisburg. Die Spitze um Luisa Neubauer hat soeben in Berlin ihre Forderungen zur Bundestagswahl präsentiert, als dieser Satz fällt: „Wir können für Klimaproteste mobilisieren, aber es muss auch das Vertrauen in eine Regierung geben, dass Proteste wirken.“ Umgekehrt stellt sich die Frage, ob Protestmittel wie Demos und Transparente dann noch die richtigen sind.

In Duisburg weht ein eisiger Wind, es beginnt zu schneien. Die Ak­ti­vis­t*in­nen scherzen, ihre Pappschilder sähen im Schneeregen so traurig aus. Linda Kastrup, blonde Haare, einnehmendes Lächeln, erklärt: „Wir setzen an vielen Stellen an, nicht nur alleinig mit Demonstrationen.“ Dazu gehörten Verfassungsklagen, Bündnisse mit Gewerkschaften und lokalen Akteuren vor Ort. In Duisburg, wo einst Kohle und Stahl das Stadtbild prägten, wolle man die Stadt mit lokalen Verbündeten zur Klimaneutralität 2035 drängen. „Wir sehen, dass in den letzten Jahren mehr Klimaschutz umgesetzt wurde als je zuvor. Unser Protest wirkt“, ist sie überzeugt. „Aber die Regierungen tun das nicht von allein, deswegen müssen wir weitermachen. Jedes Zehntelgrad Erderhitzung, das wir verhindern, ist ein voller Erfolg.“

Nach der Banneraktion am Stahlwerk fahren die Ak­ti­vis­t*in­nen mit der Bahn ins Linke Zentrum, die nächste Klimademo vorbereiten. Mit Filzstift schreiben sie den Treffpunkt unter Plakate, planen, wer die Redebeiträge übernehmen soll. „Wer fragt die Omas gegen Rechts an?“, wirft ­Kastrup in die Runde. Ein Streitpunkt: Soll auch die CDU zur Demo eingeladen werden? „Die kommen eh nicht, da können wir uns die Mühe sparen“, sagt eine junge Aktivistin. „Ich finde, wir sollten grundsätzlich alle demokratischen Parteien ansprechen“, entgegnet Kastrup. „Aber nur, wenn sie auf unsere Forderungen eingehen“, meint ein anderer Aktivist. „Die hängen wir ihnen in der Mail an, um noch mal Druck zu machen.“ Zustimmung.

Kastrup versprüht Optimismus. Klar würden sich die Krisen überlagern. „Aber die Klimakrise geht ja nicht weg. Gerade weil sie so spürbar ist, müsste die neue Regierung den Menschen wenigstens ihre Sorgen und Nöte diesbezüglich abnehmen und konsequenten Klimaschutz von selbst mitdenken.“

Was ihr Zuversicht gibt? „Meine Ortsgruppe sitzt direkt hinter mir“, zeigt sie auf die sieben Menschen im Raum, „ich bin nicht allein. Wir kommen hier zusammen, bestärken uns und planen neue Aktionen. So kommt man aus der Ohnmacht heraus.“ Natürlich sei sie auch mal wütend oder müde, aber Klimaschutz brauche nun mal einen langen Atem. Jedes Mal, wenn sich ein neues Gesicht im Plenum dazusetze, freue sie sich – und strahlt. Zuletzt sei die Gruppe größer geworden, berichtet sie.

Allerdings war im vergangenen Jahr auch viel vom Rechtsruck in der Gesellschaft zu lesen, und explizit die Jugend stand dabei im Fokus: Bei den Europawahlen im Frühsommer 2024 büßten die Grünen in der Altersgruppe der 16- bis 24-Jährigen 23 Prozentpunkte im Vergleich zu 2019 ein. Die AfD hingegen wurde bei den Jungen mit 16 Prozent (plus 11 Prozentpunkte) nur knapp hinter der CDU zweitstärkste Kraft.

Was ist, wenn die Aktionen fürs Klima – Wahrheit, Wirklichkeit und gesunder Menschenverstand, wie die prominenteste FFF-Aktvistin Luisa Neubauer es jüngst in einem Tiktok-Video nannte – nicht ausreichen?

Einer Studie der Bertelsmann-Stiftung vom Dezember 2024 zufolge glaubt nur noch jeder fünfte junge Mensch, durch politisches Engagement etwas bewirken zu können. Fast 40 Prozent der befragten 16- bis 30-Jährigen sind der Ansicht, dass sie die gesellschaftlichen Verhältnisse ohnehin nicht ändern können. Befunde, die sich nach sechs Jahren Klimademo auf der Straße anhören wie eine Hiobsbotschaft.

Streiken fürs Klima

Der Klimastreik Am 14. Februar, gut eine Woche vor der Bundestagswahl, hat Fridays for Future bundesweit zum Klimaprotest aufgerufen. Keine Partei lege einen ausreichenden Plan zur Bekämpfung der Klimakrise vor, kritisieren die Aktivist*innen.

Fünf Forderungen Für die Bundestagswahl fordern die FFF-Aktivist*innen von den Parteien einen Gasausstieg bis 2035, ein Recht auf klimafreundliche Wärme und Mobilität für alle sowie eine Ausbildungsoffensive mit jährlich 300.000 Zukunftsjobs. Vermögende sollen mit einer Steuer einen „fairen Anteil“ an der Transformation zahlen, ein Klimaanpassungsfonds und Katastrophenhilfe sollen mit Abgaben fossiler Konzerne finanziert werden.

Ein Motto „Wir haben ein Recht auf Zukunft“, hieß es bei der Vorstellung der politischen Forderungen. Das Klimakatastrophenjahr 2024 habe gezeigt, was auf dem Spiel stehe. Die Politik habe eine Verantwortung.

Hat Fridays for Future, die vor sechs Jahren noch mehr als eine Million Menschen alleine in Deutschland zum globalen Klimastreik auf die Straße mobilisierten, hat die Bewegung verloren?

Ein Besuch bei der Ortsgruppe in Hannover. Sanja Wellmann, 18 Jahre alt, führt den Reporter an einer Schnellstraße vorbei zu einer breiten Schneise schneebedeckter Ödnis. Ein paar Baumstümpfe ragen in den grauen Himmel. Der Autoverkehr auf dem Südschnellweg rauscht, auf der mit Bauzäunen gesperrten Fläche warten Bagger auf ihren nächsten Einsatz.

Es ist das Bild eines Kahlschlags: „Genau ein Jahr ist es jetzt her, als die Polizei hier in der Leinemasch ein von Kli­ma­ak­ti­vis­t*in­nen besetztes Baumhauscamp aufgelöst hat“, erzählt Wellmann. Die Bundesstraße soll verbreitert werden, 16 Hektar Bäume im Naherholungs- und Hochwasserschutzgebiet Leinemasch mussten weichen. Dagegen gab es Widerstand.

Die FFF-Gruppe hatte sich mit lokalen Klima- und Umweltverbänden bis zum Ende für den Erhalt des Gebiets eingesetzt – es half nichts, am frühen Morgen des 15. Januar 2024 wurden das Camp geräumt und die Bäume gerodet.

Einen Lichtblick aber gibt es: „Wir sind hier für dieselbe Sache zusammengekommen, haben gelernt, Widerstand zu leisten und unter erschwerten Bedingungen bei teils minus zehn Grad zusammenzuleben“, sagt Wellmann, die schon mit zwölf Jahren auf ihre erste Fridays-Demo gegangen ist. In der Stadt habe sich eine Initiative gebildet, die ein vergleichbares Debakel beim Westschnellweg – einer weiteren Verkehrsader in der Stadt, die saniert werden soll – verhindern will. „Das ist alles aus der Bewegung heraus entstanden“, sagt sie. „Wir sind an einem Punkt in der Klimakrise, wo man für jeden Baum kämpfen muss.“

Verlieren oder gewinnen, so einfach ist es nicht: Der Erfolg einer Gruppe, die ein breites übergeordnetes Thema wie den Klimaschutz adressiert, sei nicht direkt messbar, da zu viele Faktoren in Frage kämen, konstatiert Politikwissenschaftler Daniel Saldivia Gonzatti.

„Wir sind an einem Punkt, wo man für jeden Baum kämpfen muss“

Sanja Wellmann, FFF-Aktivistin in Hannover

Selbst wenn ein konkreter Schaden fürs Klima – wie in Hannover – nicht durch den Widerstand in der Bevölkerung verhindert werden könne, gebe es aber durchaus lokale Errungenschaften. In Hamburg beispielsweise hat Fridays for Future erfolgreich für ein Volksbegehren für mehr Klimaschutz mobilisiert.

Auch die Bertelsmann-Studie bestätigt: Die klimabewegte Jugend ist nicht unbedingt verloren gegangen. Umweltschutz und Klimawandel nannten zwar nur zwölf Prozent der Befragten als das Thema, das sie am meisten interessiert – es steckt aber auch in Themen wie Frieden, sozialer Gerechtigkeit oder Mobilität drin.

Mann kann es ja auch so sehen: Immerhin noch mehr als zwei Drittel der Jugendlichen wollten sich politisch engagieren oder seien zumindest teilweise dazu bereit, macht Regina von Görtz, Jugendexpertin der Stiftung, deutlich – sie wüssten bloß nicht, wo und wie. „Die Befragten glauben, dass sie eher auf lokaler als auf nationaler Ebene etwas verändern können“.

Neubauer konfrontierte kürzlich zum Beispiel CDU-Politiker Jens Spahn in Berlin, wie die Union ohne Heizungsgesetz, Gasausstieg oder Verkehrswende die Klimaziele einhalten wolle. Das Tiktok-Video belustigte die eigene Blase, produzierte darüber hinaus aber kaum Schlagzeilen.

„Viele Menschen haben immer noch dieses Bild von uns im Kopf, dass wir gegen SUVs, Flugzeuge und Plastikflaschen sind“, bedauert Sanja Wellmann. „Dabei verstehen wir uns als systemkritische Bewegung mit der Vision einer lebenswerten und sozial gerechten Welt“, sagt die Aktivistin, während sie an den Überresten der geräumten Leinemasch vorbeiläuft. Am Wegrand baumeln noch ein paar Seile in den verbliebenen Bäumen, an denen sich die Be­set­ze­r*in­nen entlanghangelten.

„Protest funktioniert immer indirekt“, erläutert der Politologe Saldivia Gonzatti. „Er wirkt wie eine Verstärkung der öffentlichen Meinung.“ Im Grunde hätten alle Forderungen von Fridays for Future mit Investitionen in die Zukunft zu tun, stellt er fest – die Öffentlichkeit sei laut Umfragen aber momentan mehrheitlich der Meinung, dass aufgrund der Wirtschaftslage Investitionen in Klimaschutz nicht die höchste Priorität hätten. Das bedeute nicht, dass sie Klimaschutz ablehnend gegenüberstünde.

Auch mal Scheitern: Der Protest in Hannover gegen den Südschnellweg an einem Naturschutzgebiet war erfolglos Foto: Stefan Müller/Pic One/picture alliance

Es gebe Erfolgspotentiale, das habe die Forschung in der Vergangenheit gezeigt. „Besonders im Wahlkampf gibt es Möglichkeiten, zu beeinflussen, was nach der Wahl auf der parlamentarischen Agenda stehen wird.“ In Allianzen mit Gewerkschaften wie Verdi sieht Saldivia Gonzatti eine Möglichkeit, das Klima-Thema auf der Agenda zu halten. Auch die lokale Verankerung helfe dabei. Bundesweit bestehen nach Angaben der Ak­ti­vis­t*in­nen noch immer mehrere hundert Ortsgruppen, über 500 waren es mal zu Hochzeiten.

Warum aber ruft Fridays for Future nicht dazu auf, eine bestimmte Partei zu wählen? „Unser Anspruch ist, dass alle demokratischen Parteien Klimaschutz umsetzen“, verdeutlicht Linda Kastrup. „Es darf nicht an der Güte von einem zukünftigen Bundeskanzler liegen, ob die Welt untergeht oder nicht.“

Am Tisch ihrer Duisburger Ortsgruppe sehen sie das ähnlich. Einer arbeitet für die Grünen, will aber nicht mit Namen zitiert werden. „Man muss in einer Partei nicht alles toll finden und kann immer Kompromisse eingehen“, sagt er. „Außer es geht um die Lebensgrundlagen der Menschheit.“ Bewegung und Partei hätten unterschiedliche Rollen, damit sich etwas ändere, müsse es auch von innen angestoßen werden.

Die Enttäuschung über die Grünen ist offensichtlich. 2021, bei der letzten Bundestagswahl, gaben viele Ak­ti­vis­t*in­nen der Partei ihre Stimme – in der Hoffnung, dass sie als Regierungspartei Fortschritte beim Klimaschutz erzwingen würde. Von der Bilanz der gescheiterten Ampelregierung ist nun nicht nur Kastrup ernüchtert. Das Dorf Lützerath im rheinischen Braunkohlerevier? Abgebaggert, trotz der Grünen in der nordrhein-westfälischen Landesregierung. „Das hat das Vertrauen der Klimabewegung gerade hier in NRW stark erschüttert“, sagt Kastrup.

Im Wahlkampf spielt die Klimakrise keine große Rolle. Dabei schreitet die Erderhitzung weiter voran. Die taz schaut in dieser Woche dahin, wo es brennt. Alle Texte zum Thema finden Sie hier.

Nach der Räumung der Proteste sei das Verhältnis zwischen Klimabewegung und Grünen auf einem Tiefpunkt angekommen, rief auch Fridays-Frontfrau und Grünen-Mitglied Luisa Neubauer den Delegierten beim Parteitag im November 2024 ins Gewissen. Sie sagte das in ihrer Abschiedsrede für Ricarda Lang, die Grünen-Parteichefin während der Ampelkoalition war – und mit der sie gut befreundet ist.

Erst mit der Debatte um Gasbohrungen vor der ostfriesischen Insel Borkum schien eine „lange vermisste Augenhöhe“ wieder greifbar, so Neubauer. „Die Bewegung wurde nicht als Dienstleister für die Verteidigung unliebsamer Gesetzesvorhaben verstanden, sondern als notwendiges Korrektiv.“

Ricarda Lang, die Ende September 2024 ihren Rücktritt von der Grünen-Parteispitze verkündete, blickt im Gespräch mit der taz selbstkritisch zurück: „Wir haben geglaubt, dass alle im Grunde dasselbe wollen“, sagt sie, „nämlich den Wohlstand Deutschlands, der auf fossilen Grundlagen beruht, auf klimaneutrale Beine zu stellen. Aber es gibt auch Gruppen, die massiv von den fossilen Strukturen profitieren und dagegen kämpfen. Darauf haben wir uns nicht schnell genug eingestellt.“

Von der Bewegung müsse man sich den Vorwurf gefallen lassen, den sozialen Ausgleich nicht an den Anfang der Auseinandersetzung gestellt zu haben. „Wir haben zu oft zugelassen, dass Klimaschutz als Elitenprojekt wahrgenommen wird“, bedauert sie. Damit habe man es den Geg­ne­r*in­nen leichtgemacht, Klimaschutz als eine Gefahr für Menschen mit kleinem Geldbeutel darzustellen.

„Es darf nicht von einem zukünftigen Bundeskanzler abhängen, ob die Welt untergeht oder nicht“

Linda Kastrup, FFF-Aktivistin in Duisburg

Und heute? Fridays for Future sieht im Wahlprogramm der Grünen „richtige Ansätze“, kritisiert aber den fehlenden Gasausstieg – und dass Wirtschaftsminister und Kanzlerkandidat Robert Habeck den Kohleausstieg bis 2030 infrage gestellt hat.

Lisa Badum ist die klimapolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im Bundestag und sie findet, dass Fridays for Future ihre Partei zu Recht antreibe. „Wir als Partei und die ganze Gesellschaft brauchen radikal-realistische Forderungen, um das Nötige gegen die Klimakrise zu tun. Gerade wenn sie manchmal unbequem sind“, sagt Badum.

Mit der Ampelregierung habe man beim Ausbau der Erneuerbaren viel erreicht und wolle jetzt noch weitergehen. „Gleichzeitig brauchen wir breite gesellschaftliche Bündnisse für eine sozial gerechte Klimapolitik, um uns gemeinsam gegen die Angriffe der fossilen Lobby zu wehren.“ Bei der Wahl am 23. Februar, mit einer möglichen CDU im Kanzleramt, drohe ein Rückschritt hinter das Erreichte, das dürfe nicht zugelassen werden.

In Hannover stapft Sanja Wellmann missmutig durch den Matsch. Sie darf zum ersten Mal bei einer Bundestagswahl wählen, denkt darüber nach, strategisch abzustimmen, solange sie halbwegs dahinterstehen könne. Dann hält sie inne, blickt über die zerstörte Wiese, die bald Straße sein wird. „Wir müssen einfach überall präsenter werden, auf Plakaten, in Social Media, auf Demos“, meint sie. Ihre Ortsgruppe habe überlegt, ob es sinnvoll sei, wieder eine Demonstration zu organisieren. Letztendlich habe man sich auch deshalb dafür entschieden, weil man den Menschen das Gefühl geben wolle, nicht allein zu sein.

„Unsere Aufgabe ist es, dass im aktuellen politischen Kontext nicht vergessen wird, dass wir eine existenzielle Klimakrise haben, die alle Probleme verschärft“, beschwört sie. „Damit sind wir gestartet und groß geworden. Und damit werden wir auch weitermachen. Auch wenn jetzt andere politische Probleme dazukommen, außer uns macht es ja niemand.“

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