: Windräder, Wut und Widersprüche
Vor Kurzem zog unsere Autorin in die Lausitz, eine Region zwischen Angst und Zuversicht, rechten Strukturen und zivilem Engagement. Die erste Folge der neuen Text-Serie handelt von einer unfreiwilligen Windrad-Diskussion an der Haustür
Von Linda Leibhold
Es war Ende Oktober, außerdem Freitagnachmittag und es klingelte an meiner Tür. „Hallo, ich glaube wir kennen uns noch nicht“, begrüßte mich ein Mittfünfziger mit Klemmbrett in der Hand und zusammengerolltem A0-Plakat unterm Arm. Meine Freundin Gerda und ich waren erst vor zwei Monaten auf einen kleinen Hof in ein noch kleineres Dorf nahe Hoyerswerda (Sachsen) gezogen.
Der Mann hatte recht: Wir kannten uns noch nicht. Er stellte sich als Dieter vor und erklärte, er sammle Unterschriften gegen die Errichtung von Windkraftanlagen in der Gemeinde. Über solche neuen Nachbarn freut man sich natürlich.
„Oh“, sagte ich schlagfertig, bevor Dieter ausgiebig begann zu erzählen, man müsse dringend gegen die Windräder vorgehen – vor allem aus gesundheitlichen Gründen. Stichwort Infraschall. Nachdem ich mich nach den planerischen Details erkundigt habe (und Dieter die nicht wusste), freute ich mich (zu früh), dass mein Studium der Umweltwissenschaften nicht umsonst war. „Wusstest du, dass man bei einer dreistündigen Autofahrt ähnlich viel Infraschall ausgesetzt ist, wie wenn man 20 Jahre lang in der Nähe eines Windrads wohnt?“, fragte ich den Antiaktivisten vor meiner Tür.
Das wusste Dieter nicht. Und das glaubte Dieter auch nicht. Also wollte ich es versöhnlicher versuchen und räumte ein, dass Windkraft natürlich – wie alles im Leben – auch Nachteile birgt und man über diese sprechen müsse. Aber, dass uns der Klimawandel dummerweise mehr und mehr um die Ohren fliegt und ein Mix aus Erneuerbaren aktuell das Beste ist, was wir haben.
„Das haben sie dir so in der Uni beigebracht“, lächelte mich Dieter spöttisch an. Seelenruhig fuhr er fort: „Was sie dir nicht beigebracht haben: Es gibt eine Energieform, die komplett kostenlos ist und ganz ohne Umweltschäden funktioniert. Aber die wird uns von der Regierung vorenthalten!“ Uff. Der Beantwortung meiner Frage, was das für eine Energieform sein solle, kam Dieters Geheimwissen in die Quere – das könne er hier auf offener Straße nicht einfach so verkünden. Stattdessen bot er an, mir bei sich zu Hause entsprechende Unterlagen zu zeigen. Dieses Angebot fand ich wenig verlockend.
Also räumte ich ein: „Ich fürchte, wir finden hier keinen gemeinsamen Boden. Du kannst mir deine Quellen zeigen, aber denen werde ich nicht glauben. Und ich kann dir wissenschaftliche Studien zeigen, aber denen glaubst du vermutlich nicht.“
Er dachte kurz darüber nach und nickte schließlich. Wir unterhielten uns noch ein wenig weiter und obwohl klar war, dass Dieter und ich wohl keine Freunde werden, fand ich es gut, dass wir unseren Dissens mit einer merkwürdigen Form von Gelassenheit hinnehmen konnten. Es wäre illusorisch zu glauben, man bekäme einen Verschwörungstheoretiker bei einem Plausch an der Türschwelle bekehrt. Gleiches gilt auch umgekehrt. Grundsätzlich finde ich es jedoch – innerhalb meiner persönlich definierten Grenzen – hilfreich, lose im Gespräch bleiben zu können.
Dennoch machte sich in mir ein Gefühl von Erlösung breit, als schließlich hinter ihm Gerdas Auto in die Einfahrt steuerte. Sie warf mir einen irritierten Blick zu, bevor Dieter auch ihr sein Anliegen mit Bitte um Unterschrift darlegte. „Nein danke – ich finde Windkraft super!“, entgegnete Gerda freundlich, womit sich das Thema erledigt hatte. So einfach geht es auch, na toll.
Bevor sich Dieter und sein zusammengerolltes Plakat verabschiedeten, erhaschte ich noch einen Blick auf seine Unterschriftenliste, die prall gefüllt war. Ich finde es bemerkenswert, wie sehr man sich an einem Windrad stören kann. Dabei ist mir bisher häufig das Argument der „Verschandelung der Landschaft“ begegnet.
Immerhin sind wir hier in der Lausitz, wo in den letzten 150 Jahren zur Energiegewinnung buchstäblich gesamte Dörfer und ausgedehnte Landstriche tiefen Tagebaukratern weichen mussten.
Gegen die vielerorts am Horizont qualmenden Kohlekraftwerke ist so ein Windrad recht harmlos. Die Ablehnung reicht also weitaus tiefer. In vielen Köpfen ist es Rechtspopulist*innen scheinbar gelungen, folgende Assoziation zu manifestieren: Das Windrad steht für die Grünen. Und die wiederum stehen für Klimahysterie und „von oben“ regieren und überhaupt für alles, was in diesem Land angeblich schief läuft. Bei den vergangenen Landtagswahlen im September 2024 warb die AfD bei uns mit dem Slogan:
Im Wahlkampf spielt die Klimakrise keine große Rolle. Dabei schreitet die Erderhitzung weiter voran. Die taz schaut in dieser Woche dahin, wo es brennt. Alle Texte zum Thema finden Sie hier.
„Wer CDU wählt, bekommt Grün.“ Wäre gar nicht so schlecht, wenn man mich fragt. In unserer Gemeinde fuhren die Grünen stattliche 1 Prozent der Stimmen ein; die AfD wählte knapp jede*r Zweite. Auch im aktuellen Bundestagswahlkampf wird das Thema Antiwindkraft weiter von der AfD befeuert, wie zuletzt beim Parteitag in Riesa deutlich wurde. Dabei ist mir hier bisher niemand begegnet (übrigens auch nicht Dieter), der den menschengemachten Klimawandel leugnet.
Im Gegenteil: Ostdeutschland als Dürrehotspot, zunehmende Extremhochwasser, sinkende Grundwasserspiegel, Waldsterben – Themen, von denen mir Nachbar*innen besorgt berichten.
Es ist kompliziert. Und politisch, diskursiv und emotional aufgeheizt sowieso. Das Intermezzo mit Dieter hatte natürlich kein Happy End: Er zog mit seiner Petition weiter in der Nachbarschaft herum, wenig später nahm der Gemeinderat den Beschluss zur Errichtung des Windparks mit großer Mehrheit zurück.
Auch Teil der Wahrheit ist: Beinahe die einzige Stimme im Gemeinderat, an den Ausbauplänen festzuhalten, kam ausgerechnet von unserem CDU-Bürgermeister. Parallel dazu startete ein umfangreiches Pilotprojekt zu schwimmenden Photovoltaikanlagen auf einem nahegelegenen Tagebausee.
Kurz darauf fand ich mich beim Tischtennis in unserer Dorfkneipe mit einer Handvoll Rentnern bei einem interessierten Fachgesimpel über die Vorteile von Wärmepumpen wieder.
Das ist eine andere Geschichte. Dass Dinge bei genauerer Betrachtung selten schwarz-weiß sind, ist kein Geheimnis. Für mich ist die sächsische Oberlausitz, wie ich sie bisher kennenlernen durfte, ein Paradebeispiel für scheinbar widersprüchliche Gleichzeitigkeiten:
Wegzug und Zurückkehren, Angst und Zuversicht, rechte Strukturen und zivilgesellschaftliches Engagement. Meckern im Großen und machen im Kleinen. Manchmal auch umgekehrt. Frust und Einfallsreichtum. Schwarze Pumpe und schwimmende Photovoltaik. Opferrolle und Emanzipation, Wut und Humor, graue Plattenbauten und neue SUVs.
Vergangenheit und Zukunft. Und natürlich alles dazwischen. In den kommenden Wochen möchte ich ein paar der Geschichten erzählen, die Gerda und ich beim Ankommen in der Lausitz erlebt haben. Oft sind sie skurril, nachdenklich, lustig und besorgniserregend zugleich. Für mich bisher immer lehrreich. Nur was auf dem A0-Plakat von Dieter stand, weiß ich bis heute nicht.
Dies ist der erste von sechs Texten der Reihe „Geschichten aus der Lausitz“. Sie erscheinen wöchentlich bis zur Bundestagswahl am 23. 2.
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