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Bilanz zur Grünen WocheMehr als nur satt werden

Ein Pilotprojekt der sozialökologischen „Ernährungswende“ Berlins ist die „Kantine Zukunft“. Der Berliner Ernährungsrat fordert mehr.

Was kommt auf den Teller – zum Beispiel in Schulen? Ein bisschen was hat sich da schon getan

Berlin taz | Bei der Ernährungswende, der sozialökologischen Transformation in Beet und Teller, war Berlin von Anfang an vorne dabei. Hier startete vor 14 Jahren die erste Protestdemo gegen den agrar-industriellen Komplex („Wir haben es satt“), die an diesem Samstag erneut stattfindet. In Berlin wurde einer der ersten Ernährungsräte in Deutschland gegründet, in denen sich Bürger und zivilgesellschaftliche Organisationen für einen umweltbewußten Umgang mit Lebensmitteln und gegen deren Verschwendnung engangieren.

Auch die Politik bewegte sich: Die Forderung aus dem Abgeordnetenhaus „Essen ist politisch“ wurde vom Senat aufgegriffen, der eine langfristige Ernährungsstrategie entwickelte und Maßnahmen für mehr „Ernährungssouveränität“ finanzierte. Und als gesellschaftliche Gegenbewegung zum übermäßigen Fleischkonsum wurde die Currywurst-und Döner-Metropole Berlin auch noch zur Hauptstadt der veganen Ernährung. Es kam also einiges in Gang rund um den Esstisch. Viele Köche rührten am Brei. Was ist aber nachhaltig herausgekommen? Ist die Ernährungswende in Berlin gelungen? Oder sind die frühen Ansätze der Veränderung stecken geblieben, so wie es etwa der Verkehrswende in Berlin ergangen ist?

Die bevorstehenden Tage der „Grünen Woche“ in Berlin, der weltgrößten Messeveranstaltung für Landwirtschaft und Ernährung, bieten Anlass für eine Bilanz. Der große „Leitstern“, dem auch der Berliner Ernährungsrat in den ersten Jahren seit seiner Gründung 2016 folgte, war das „House of Food“ in der dänischen Hauptstadt Kopenhagen: eine öffentliche Einrichtung, die aktiv die Küchenregime in den Orten der Gemeinschaftsverpflegung so veränderte, dass mehr biologisch erzeugte Nahrungsmittel den Weg in die Töpfe der Kantinen fand, und das zugleich eine Anlaufstelle für Ernährungsbildung von Jung und Alt wurde. Daraus wurde in Berlin mit einer Anschubfinanzierung durch den Senat das Projekt „Kantine Zukunft“, das seine „Homebase“ in der Markthalle Neun in Kreuzberg fand, ebenfalls ein Ort für innovative Lebensmittelangebote.

Mehr kochen

Die Grüne Woche

Die Grüne Woche findet vom 17. bis 26. Januar 2025 auf dem Berliner Messegelände statt. Mit 1.400 Ausstellern aus 60 Ländern gilt sie als die weltgrößte Verbraucherschau für Landwirtschaft, Ernährung und Gartenbau. In diesem Jahr gibt es wegen der Maul- und Klauenseuche in Brandenburg keine Rinder, Schafe und Ziegen zu sehen. Zur zentralen Demonstration für eine bäuerliche und agrarökologische Landwirtschaft ruft am Samstag, 18. Januar, das „Wir haben es satt!“-Bündnis mit 60 Organisationen auf. Die Kundgebung beginnt um 12.15 Uhr auf dem Platz der Republik vor dem Kanzleramt. (mr)

Auftrag der „Kantine Zukunft“ ist es, die Köche aus den Gemeinschaftsküchen in Kitas, Altenpflegeheimen, Krankenhäusern, Betrieben oder Ministerien für den verstärkten Einsatz von Bio-Lebensmitteln fortzubilden. Die aktuelle Zielmarke liegt bei einem Bio-Anteil von 60 Prozent. Die Steigerungsraten sind unterschiedlich. Die größte Wirkung konnte die Evangelische Kindertagesstätte der Kirchengemeinde Mariendorf Süd erreichen, die ihren Bio-Anteil von zwei auf 100 Prozent erhöhte.

Die Koch-Kunst bestehe darin, „das Essen bei gleichbleibendem Budget und gleichen Rahmenbedingungen nicht nur nachhaltiger, sondern auch schmackhafter zu gestalten“, so lautet die Senatsvorgabe für das jährlich mit einer Million Euro aus dem Landeshaushalt finanzierte Projekt. So manche Kantine kommt auf diese Weise wieder zu ihren Ursprüngen zurück: zur Verarbeitung von Lebensmitteln, zum Kochen. Philipp Stierand, Gründer und Leiter der „Kantine Zukunft“ ist mit dem Verlauf zufrieden. „Wir haben uns gerade über die 100. Küche gefreut, die unsere Kantinen-Werkstatt abschließt“, berichtet er. Im fünften Jahr war die Zahl der teilnehmenden Küchen 2024 „so hoch wie nie zuvor“. Stierand: „So kann und soll es auch in den kommenden Jahren weitergehen.“

Größter Partnerbetrieb ist der Caterer „GREENs Unlimited“, der jeden Tag 12.500 Essen ausliefert. Die Etatkürzungen, die auch das Prestigevorhaben getroffen haben, wurden mit zusammen gebissenen Zähnen hingenommen. Inzwischen wurde das Konzept der „Kantine Zukunft“ auch vom Land Brandenburg sowie von anderen Städten und Bundesländern übernommen.

Noch größere Erfolge konstatiert der Senat beim Schulessen in den Berliner Grundschulen. „Im Vertragszeitraum 2017 bis 2020 mussten im Schulessen Bio-Lebensmittel in Höhe von mindestens 15 Prozent des geldwerten Anteils eingesetzt werden“, erklärt die für Ernährungspolitik zuständige Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz. Inzwischen müssen bestimmte Lebensmittelgruppen zu 100 Prozent aus biologischer Landwirtschaft stammen: „Getreide, Getreideprodukte und Kartoffeln sowie deren Erzeugnisse sowie Milch und Milchprodukte einschließlich Käse“, präzisiert die Senatsverwaltung. Ein Problem dabei ist, dass viele der Bio-Lebensmittel nicht in der unmittelbaren Brandenburger Region produziert werden, sondern von weiter her beschafft werden müsse. Das Bio-Plus hat in Berlin ein Regional-Malus.

Mehr Regional

Nach Schätzung von Experten geben die Berliner Verbraucher von ihren Ausgaben für Lebensmittel knapp knapp zwölf Prozent für frische Bio-Milch, Bio-Brot, Gemüse, Fleisch oder andere frische Nahrungsmittel aus ökologischer und nachhaltiger Erzeugung aus. Das ist deutlich mehr als der Bundesdurchschnitt, der acht Prozent liegt. In beiden Fällen sind die Anteile steigend. Der Naturkostfachhandel in Berlin-Brandenburg konnte seinen Umsatz im vergangenen Jahr um 2,7 Prozent auf 668 Millionen Euro steigern. „Mit Blick auf die regionalen Wertschöpfungsketten ist das eine gute Entwicklung“, kommentiert eine Senatssprecherin die Entwicklung.

Um die Verflechtung mit dem Umland zu steigern, wurde im Rahmen der Ernährungsstrategie mit dem „BezirksDialog Regio-Konzept“ ein Pilotvorhaben in Steglitz-Zehlendorf entwickelt, das „regionale Wertschöpfungsketten als Alternative zum globalen Handel etablieren“ soll. Dadurch werde „in Krisenzeiten die Nahversorgung gesichert und zugleich die Region mit ihrer Landwirtschaft und den Arbeitsplätzen gestärkt“, so die Intention des Vorhabens, dessen Ergebnisse aber noch nicht vorliegen.

Im Prinzip richtig, aber nicht ausreichend, kommentiert der unabhängige Ernährungsrat Berlin die Entwicklung. Der Senat sei zwar mit einigen Pilotvorhaben unterwegs, aber eine konsistente Ernährungsstrategie sei noch nicht realisiert worden, erklärt Saskia Richartz als Sprecherin der Gruppe, die rund 40 aktive Mitglieder umfasst. „Es fehlt der Ernährungsstrategie ein Konzept für eine Ernährungs-Umgebung“, sagt Richartz. Damit sind Orte gemeint, wo Bürger zusammenkommen, um Lebensmittel gemeinsam zuzubereiten und auch weiterzugeben. Ein gesellschaftlicher Zusammenhalt quasi über den Küchentisch.

Diese soziale Ernährungswende wird in einigen Bezirken bereits unter dem Stichwort „LebensMittelPunkt“ ausprobiert: Foodsharing kombiniert mit interkultureller Begegnung. Gerade das Problem der Ernährungsarmut müsste von den Behörden stärker aufgegrifffen werden, meint der Ernährungsrat, der das Thema auch in den Mittelpunkt seiner Vollversammlkung am 16. Januar stellt. Der anhaltende Zustrom zu den „Tafeln“, die überschüssige Lebensmittel weiter verteilen, ist ein Indikator dafür. Es sei daher auch richtig, dass der Senat eine Studie über Ernährungsarmut bei Kindern in Berlin in Auftrag gegeben habe. Mit einem Schönheitsfehler, so Richartz: „Die Ergebnisse sind nicht veröffentlicht worden“.

Kaputt gespart?

Das eigene Großprojekt, ein „Ernährungscampus“ im Gebäude des ehemaligen Flughafens Tempelhof, hat der Ernährungsrat noch nicht realisieren können. Es sollte ein erweitertes „House of Food“ werden, das unterschiedliche Veranstaltungsformate, Experimentierräume und Angebote umfasst. „Das reicht von Mitmachaktionen für Kinder über Beteiligungswerkstätten und Bür­ge­r*in­nen­rä­te bis hin zu Workshops und Fachtagungen“, heißt es im Konzept, dessen Erstellung sogar einmal Bestandteil eines Berliner Koalitionsvertrages war (2021).

In Zeiten massiver Haushaltseinschnitte von öffentlicher Seite sind die Erwartungen an das Projekt inzwischen reduziert, Übergangsweise soll mit einem „mobilen Ernährungscampus“ durch die Kieze gezogen werden.

Wird die Ernährungswende in Berlin kaputt gespart? Die Sprecherin der Senatsverwaltung für Verbraucherschutz versucht gegenüber der taz die Befürchtungen zu zerstreuen. „Die Förderung der Umsetzung der Ernährungsstrategie war gemäß des Haushaltsplans 2025 in Höhe der Summe von 2.227.000 Euro vorgesehen“, erklärt sie. Davon sollten zunächst eine Million Euro gestrichen werden. „Diese Einsparsumme konnte im Rahmen der Haushaltsverhandlungen um 243.000 Euro gesenkt werden“ – immerhin 25 Prozent gerettet. Damit sei „gesichert, dass die Ernährungsstrategie in ihren Kernanliegen fortgesetzt werden kann“, so die Sprecherin.

Immerhin: Berlin tut mehr für seine Ernährungspolitik als viele andere Kommunen – inzwischen gibt es deutschlandweit bereits 58 Ernährungsräte und Initiativen in Städten und Landkreisen. Aber dort, wo die Bewegung ihren Anfang genommen hatte, wird ernährunsgpolitisch in nächster Zeit wohl eher „Schmalhans der Küchenmeister“ sein.

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