: Brüsseler Kronjuwelen
Die EU will klimaneutral werden und dafür Treibhausgasemissionen richtig teuer machen. Wie krass der Preisschock für Verbraucher:innen wird, hängt von der nächsten Bundesregierung und ihren Klimazielen ab
Von Jonas Waack
Von manchen Preisschocks darf eine Bundesregierung überrascht sein. Zum Beispiel, nachdem Russland in die Ukraine einmarschiert ist. Dann – Überraschung – wird klar, dass Gas aus Russland versteckte Kosten mit sich bringt und es teurer wird für die Verbraucher:innen als gedacht. Andere Preisschocks wiederum kündigen sich an, haben so viel Zeit, dass sie sogar Postkarten verschicken könnten.
Ein solches Beispiel ist der Preis für CO2: „Liebe Bundesregierung – könnte auf einer solchen Postkarte stehen – zum 1. Januar 2027 werde ich die Kosten fürs Heizen um bis zu 3 Cent pro Kilowattstunde Gas erhöhen. Noch bezahlt ihr ja weniger als 10 Cent. Das ist ein bisschen wenig. Den Benzinpreis erhöhe ich auch, vielleicht sogar um 38 Cent pro Liter. Herzlich, dein Europäischer Emissionshandel.“
Was albern klingt, ist kein Witz. Der Europäische Emissionshandel (ETS) ist quasi das Kronjuwel der europäischen Klimapolitik. Und wie das bei Kronjuwelen so ist, ist auch der ETS gut geschützt, teuer und sorgt für Kopfschmerzen, wenn man zu lange hinschaut. Seine Stärke: Er macht fossile Energie teuer, sodass sich erneuerbare Energien lohnen. Seine Schwäche: Er macht fossile Energie teuer, sodass Menschen ohne Zugang zu Erneuerbaren ärmer werden. So richtig spürbar wird das ab 2027 werden, also mitten in der kommenden Legislaturperiode.
Die EU will Klimaneutralität dadurch erreichen, dass Treibhausgasemissionen sündhaft teuer werden und niemand mehr Kohle, Öl oder Gas verbrennen will. Das funktioniert so: Der ETS zwingt Unternehmen dazu, für ausgestoßenes CO2 zu bezahlen. Den Preis legt aber nicht EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen fest, sondern er bildet sich an einem Markt. Dort werden Zertifikate gehandelt, die erlauben, eine Tonne CO2 auszustoßen. Wer CO2 ausstößt, braucht so ein Zertifikat. Aber die EU versteigert nur eine begrenzte, immer weiter abnehmende Zahl. So will sie ihren CO2-Ausstoß 2050 auf 0 bringen. Das bedeutet aber auch: Je mehr CO2 ausgestoßen wird, desto höher wird die Nachfrage nach den Zertifikaten und desto teurer werden sie. In 15 bis 20 Jahren sollen dann gar keine Zertifikate mehr ausgegeben werden, sodass auch kein CO2 mehr ausgestoßen werden darf.
Für die Bereiche Strom und Industrie gilt der ETS schon. Für Gebäude und Verkehr gilt noch der von der Bundesregierung festgelegte CO2-Preis von 55 Euro pro Tonne. Wer Gas zum Heizen verkauft oder Benzin an der Tankstelle, muss diesen Preis zahlen und gibt die Kosten an die Verbraucher:innen weiter. Ab 2027 wird aber auch dieser CO2-Preis für Gebäude und Verkehr in einen Emissionshandel überführt, separat vom ETS1 für Strom und Industrie: den ETS2.
Wie hoch der Preis für eine Tonne CO2 im ETS2 2027 sein wird, weiß noch niemand. Es werden wohl mehr als 45 Euro sein, aber weniger als 300 Euro. In Benzin übersetzt: 2 Cent weniger pro Liter oder 59 Cent mehr.
Für diese riesige Spanne gibt es zwei Gründe. Es ist unklar, wie teuer Öl, Gas und Kohle 2027 sein werden. Werden sie viel teurer als Strom, lohnt es sich zeitlich früher, zum Beispiel auf Wärmepumpen umzusteigen. Dann sinkt die Nachfrage nach Öl, Gas und Kohle und dementsprechend nach CO2-Zertifikaten. Das Ergebnis: Der CO2-Preis ist niedriger. Die Nachfrage nach CO2-Zertifikaten sinkt auch dann, wenn Regierungen Klimaschutz betreiben. Werden Fernwärme- und Busnetze ausgebaut oder Wärmepumpen gefördert, wird weniger CO2 ausgestoßen und die Preise sinken. Zu einem bedeutenden Teil hängt der CO2-Preis 2027 also von der nächsten Bundesregierung und ihren Klimazielen ab.
Im Bereich Heizen und Verkehr ist Deutschland für rund ein Viertel der EU-Emissionen verantwortlich. „Die deutschen Emissionen im Verkehr sind in den letzten Jahrzehnten kaum gesunken“, sagt Lea Nesselhauf, die bei der Denkfabrik Agora Energiewende arbeitet. „Auch bei der Wärmewende geht es längst nicht so schnell voran wie in anderen Ländern, zum Beispiel Dänemark oder Schweden.“ Die Wärmewände hat Deutschland jahrzehntelang versäumt. Darunter leidet wegen des hohen CO2-Preises ab 2027 der ganze Kontinent.
Die Parteien haben Vorschläge, um Haushalte in Deutschland und Europa in den nächsten Jahren zu entlasten. Die Grünen-Politikerin Julia Verlinden sagt: „Das Wichtigste ist, dass wir die Menschen bei den nötigen Investitionen unterstützen, um schnellstmöglich unabhängig zu werden von fossilen Energien.“ Fördergelder dafür sollen für Menschen mit niedrigeren Einkommen höher ausfallen. „Mit dem CO2-Kosten-Aufteilungsgesetz haben wir bereits Vorsorge geschaffen für diejenigen, die zur Miete wohnen und deswegen keinen Einfluss auf die Heizung haben, dass hier auch die Vermieter*innen in die Pflicht genommen werden“, so Verlinden. Zugleich müsste mit staatlichen Investitionen, etwa in erneuerbare Fernwärme und den ÖPNV-Ausbau, eine klimafreundliche Infrastruktur geschaffen werden.
Die Linkspartei fordert, dass Vermieter:innen nicht aufgrund von Heizungstausch oder Sanierung die Miete erhöhen könne. Die CDU setzt auf Steuersenkungen als Ausgleich für höhere CO2-Preise. Lukas Köhler von der FDP will die Flexibilität des ETS besser nutzen: Zum Beispiel könnten in den kommenden Jahren mehr Zertifikate ausgeschüttet werden, um Unternehmen mehr Zeit für Investitionen zu geben und Anreize für saubere Technologien zu schaffen. Entscheidend sei, „dass die Gesamtmenge an Zertifikaten gedeckelt bleibt und die Klimaziele garantiert erreicht werden“.
Die SPD-Abgeordnete Nina Scheer sagt, der ETS sei ein ergänzendes Klimaschutzinstrument. Sie hält ein Klimageld für nötig, „um den weiteren Anstieg des CO2-Preises handhabbar zu machen“. Darin ist sie sich einig mit Grünen, CDU, FDP und Linkspartei. Monatlich soll jeder Einzelperson ein fester Betrag überwiesen werden, bezahlt mit den Einnahmen aus dem ETS. Ärmere Haushalte, die meist weniger CO2 ausstoßen als reichere, erhalten so mehr Geld zurück, als sie wegen des CO2-Preises ausgegeben haben. Linkspartei und Grüne wollen zudem das Klimageld sozial staffeln, sodass Ärmere mehr und Reichere weniger bekommen.
Die Ideen sind da, doch in Europa formiert sich Widerstand. Tschechien, die Slowakei und Polen wollen den Start des ETS2 verschieben. „In Polen heizen noch 3 Millionen Haushalte mit Kohle“, sagt Politikberaterin Nesselhauf. „Die Voraussetzungen in den Mitgliedsstaaten – Infrastruktur, Kaufkraft, eventuell bereits existierender CO2-Preis – sind extrem unterschiedlich.“ Schwedische Heizungen beispielsweise wurden 2021 zu über 80 Prozent mit Elektrizität oder Fernwärme betrieben, beides lässt sich gut dekarbonisieren. In Irland erzeugten Öl-, Kohle- und Gasheizungen 90 Prozent der Wärme. Kaufkraftbereinigt liegt der Durchschnittslohn in Griechenland bei 2.000 Euro, in Deutschland bei 4.000 Euro.
Damit ärmere EU-Länder nicht völlig überfordert werden, soll es auch auf EU-Ebene eine Art Klimageld geben – den Social Climate Fund SCF. Ein Teil der Einnahmen aus dem ETS2 wird damit von Ländern mit hohen Einkommen zu Ländern mit niedrigen Einkommen umverteilt.
Dennoch werden viele Menschen in Europa bei einem hohen CO2-Preis am Ende des Monats weniger Geld in der Tasche haben. „Ambitionierter Klimaschutz ist eine Herausforderung – die leicht umsetzbaren Maßnahmen haben wir längst ausgeschöpft“, sagt Michael Pahle. Er ist Emissionshandel-Experte beim Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. „Ich glaube auch nicht, dass eine Verschiebung sinnvoll ist oder beiträgt, die Maßnahmen sozial verträglicher zu gestalten“, sagt er. Schließlich sei spätestens Ende 2022 klar gewesen, dass der ETS2 2027 an den Start gehen würde: „Da kann man viel machen.“
Wenn ein paar EU-Staaten den ETS2 verschieben wollen, müssen sie dafür eine qualifizierte Mehrheit zusammenbekommen und die EU-Kommission überzeugen. Aber: „Die Kommission hat ein sehr großes Interesse am Gelingen des ETS2“, sagt Levi Henze vom Thinktank Dezernat Zukunft.
Dieses Interesse wird auch Deutschland stützen. Vor allem eine CDU-geführte Regierung. Eine Parteisprecherin nennt den ETS insgesamt „das Leitinstrument“ der Klimapolitik. Und es gibt noch einen weiteren Grund: Der Bund braucht die Einnahmen aus dem CO2-Handel. Allein für 2027 sind schon Milliarden verplant.
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