Regisseur über Film „September 5“: „Die Grundfragen sind dieselben geblieben“
Im Kinofilm „September 5“ geht es um das Attentat bei den Olympischen Spielen 1972 in München. Regisseur Tim Fehlbaum beleuchtet dabei die Rolle der Medien.
taz: Herr Fehlbaum, Ihr neuer Film „September 5“ thematisiert das Attentat palästinensischer Terroristen bei den Olympischen Spielen 1972 in München. Sie zeigen dabei nicht so sehr die schrecklichen Ereignisse selbst, sondern fokussieren einen Wendepunkt in der Mediengeschichte. Warum ausgerechnet dieser Tag?
Tim Fehlbaum: Weil sich bei Olympia 72 ein entscheidender medialer Umbruch vollzog. Die Spiele waren als weltoffenes, friedliches Gegenbild zu 1936 geplant – mit aufwendigsten technischen Neuerungen in der TV-Übertragung. Als dann der Anschlag geschah, kippte der gigantische Produktionsapparat plötzlich von Sport- in Krisenberichterstattung. Das war weltweit live zu sehen, via Satellit, etwas völlig Neues. Gerade darin liegt die historische Bedeutung dieses Datums: Der Tag markiert einen Wendepunkt, an dem sich zeigte, wie sehr Mediengeschehen und Terrorakte miteinander verwoben sind.
„September 5“. Regie: Tim Fehlbaum. Mit Peter Sarsgaard, John Magaro u. a. Deutschland 2024, 91 Min, ab 9. Januar 2025 im Kino.
taz: Ihr Film beschäftigt sich mit medienethischen Fragen. Was stand für Sie in dieser Hinsicht im Vordergrund?
Fehlbaum: Etwa die Überlegung, wie ein Sender reagiert, wenn er befürchten muss, dass vor laufender Kamera Menschen erschossen werden. Zeigt man das live? Was bedeutet das für die Angehörigen, die zuschauen könnten? Es ging um die Verantwortung der Berichterstattung und um die Frage, wie weit man gehen darf, um „die Wahrheit“ zu zeigen. Es ist ein Dilemma, das damals erstmals so akut und global sichtbar wurde.
taz: Sie sind Jahrgang 1982 und haben die Ereignisse nicht selbst miterlebt. Wie sind Sie zum Thema gekommen?
Fehlbaum: Als Teenager habe ich „One Day in September“ von Kevin Macdonald gesehen, eine Dokumentation über das Attentat. Das hat mich schon damals beeindruckt und nie ganz losgelassen. Später habe ich in München Film studiert, war immer wieder auf dem Olympiagelände. Der Ort ist nach wie vor präsent, und die Tragödie hat sich tief ins kollektive Gedächtnis eingeschrieben.
taz: Der Film ist ausschließlich aus der Perspektive des berichterstattenden TV-Teams erzählt. Andere Perspektiven – etwa auch die der israelischen Opfer – zeigt der Film nicht. Warum diese strenge Fokussierung?
Fehlbaum: Unser Film reflektiert die Rolle der Medien an diesem Tag, und entsprechend wollten wir den Film ganz streng aus der Sicht der Fernsehberichterstatter erzählen. Gerade aus heutiger Sicht, wo wir von einer sich dermaßen rapide entwickelnden Medienlandschaft umgeben sind, schien uns diese Thematik relevant.
Zudem habe ich, als jemand, der selber in den Medien tätig ist, zu diesem Aspekt einen direkten Bezug. Zum anderen fasziniert mich als Filmemacher gerade diese Einschränkung: Wir bleiben in einem Studio, die Leute dort sind eigentlich Sportreporter, plötzlich müssen sie über ein tödliches Geiseldrama berichten – und das live. Da treffen journalistische Unerfahrenheit in Krisensituationen und ein technologisches Novum aufeinander. Diese begrenzte Perspektive erlaubt es, den medialen Ausnahmezustand aus nächster Nähe zu erzählen, ohne ständig zwischen Schauplätzen zu springen.
taz: Ihr Film erinnert an ein Kammerspiel mit Kameras. Welche ästhetischen Entscheidungen haben Sie getroffen, um die Epoche authentisch einzufangen?
Fehlbaum: Wir haben akribisch recherchiert und versucht, die damalige TV-Technik originalgetreu abzubilden. Für uns war wichtig, dass die Darsteller physisch mit den alten Monitoren, Mischpulten und Kameras interagieren, damit es echt wirkt. Unser Ausstattungsteam hat die Original-Baupläne des ABC-Studios ausgewertet. Wir wollten ein Gefühl von Echtheit erzeugen, um den Zuschauer in diese Epoche zurückzuversetzen.
Da es in unserem Film auch darum geht, was für einen Einfluss technologische Entwicklungen auf unseren Konsum von Nachrichten haben, war uns eine akkurate und eindringliche Darstellung des technologischen Apparates besonders wichtig.
Der Regisseur Tim Fehlbaum wurde 1982 in Basel geboren. Er studierte Regie an der Hochschule für Fernsehen und Film München. Sein Debütfilm „Hell“ (2011) gewann mehrere Preise. „Tides“ hatte 2021 auf der Berlinale Premiere, „September 5“ zeigte Fehlbaum erstmals 2024 bei den Filmfestspielen von Venedig.
taz: Es gab bereits mehrere Filme und Dokumentationen zu München 72. Warum jetzt ein weiteres Werk darüber?
Fehlbaum: Der Tag ist historisch so bedeutend, dass man ihn nicht oft genug aufarbeiten kann. Aber wir erzählen eine neue, spezifische Geschichte: Nicht aus der politischen oder polizeilichen Perspektive, sondern aus dem Blickwinkel von Menschen, die eigentlich nur Sport übertragen sollten und urplötzlich in eine Krisensituation gerieten. Das ist ein Ansatz, der sich klar von Spielberg („München“) oder anderen Verfilmungen unterscheidet.
taz: Haben Sie im Zuge Ihrer Recherchen auch direkt mit Zeugen gesprochen?
Fehlbaum: Ja, das war entscheidend. Ein Gespräch mit Geoffrey Mason, einem damaligen ABC-Mitarbeiter, hat uns darin bestärkt, den Film konsequent aus dieser Medienperspektive zu erzählen. Von ihm und weiteren Zeitzeugen erfuhren wir Details, die selbst intensive Archivarbeit nicht liefern konnte. Wir hatten außerdem Zugang zu Originalbändern von ABC, was sehr aufschlussreich war.
Empfohlener externer Inhalt
Trailer „September 5“
taz: In Ihrem Film taucht die Perspektive der Opfer und ihrer Angehörigen nur indirekt auf. Besteht durch Ihre Perspektivwahl nicht die Gefahr, das Opferleid auszublenden?
Fehlbaum: Wir haben das im Team diskutiert. Uns war aber klar, dass wir für diesen Film eine eng gefasste Perspektive wählen: ein Tag, ein Studio, ein Fernsehteam. Natürlich blendet das einiges aus. Doch genau darin liegt auch unsere Aussage. Wir zeigen nicht den ganzen Kosmos des Attentats, sondern wie Medienmenschen in einem hermetischen Raum versuchen, mit einer unfassbaren Situation umzugehen.
taz: Ihr Film feierte bei Festivals Premiere, es gab zahlreiche Vorab-Screenings vor Publikum. Haben Sie bereits Reaktionen aus Israel erhalten?
Fehlbaum: Bislang ist mir dazu noch nichts Konkretes zugetragen worden. Aber klar, wir wissen, dass dieser Tag für Israel und besonders für die Hinterbliebenen der Opfer ein extrem schmerzhafter Punkt ist. Wir hoffen, dass man erkennt, dass wir hier nicht die Opferperspektive kleinreden, sondern eine spezifische journalistische Geschichte erzählen.
taz: Der Film gilt als Anwärter für die ganz großen Filmpreise, bei denen stets auch ein politischer Faktor mitschwingt. Gibt es politische Diskussionen um die Darstellung des Terrors oder um eine „fehlende palästinensische Perspektive“?
Fehlbaum: Einige fragen sicher, warum wir nur diese eine Perspektive beleuchten. Mir schien es unmöglich, innerhalb unserer Erzählperspektive den politischen Hintergründen in all ihrer Komplexität gerecht zu werden. Aber unser Ziel war es, einen historischen Tag aus dem Sendezentrum heraus nachzuvollziehen. Wir wollen verstehen, wie Journalisten damals agiert haben. Das heißt nicht, dass andere Sichtweisen unerheblich wären, aber sie sind nicht Teil dieses Projekts.
taz: Hat die Eskalation im Nahostkonflikt nach dem 7. Oktober Ihre Sicht auf das Thema verändert?
Fehlbaum: Als der Konflikt in dieser ungeahnten Weise aufflammte, war unser Film schon fertig. Aktuelle Ereignisse werden die Rezeption möglicherweise beeinflussen, aber unser Werk soll vor allem dazu anregen, über mediale Vermittlung nachzudenken. Wie konsumieren wir Nachrichten heute? Welche Verantwortung tragen Medien? Diese Fragen sind damals wie heute zentral.
taz: Könnten wir aus der damaligen Medienberichterstattung etwas für den Umgang mit heutigen Krisen lernen?
Fehlbaum: Die Grundfragen sind dieselben geblieben: Was zeigt man? Was zensiert man? Wie überprüft man Informationen? Die Technologie hat sich stark verändert, aber die moralischen Dilemmata ähneln sich. Es ist vielleicht tröstlich zu sehen, dass es selbst in einer so frühen Phase der globalen Live-Berichterstattung schon Bewusstsein für diese Probleme gab. Konkrete Patentrezepte gibt es nicht, aber es sensibilisiert uns, bewusster mit Bildern und Informationen umzugehen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!