piwik no script img

Katastrophenfilm "Hell"Wer nicht geht, geht unter

Wenn die Klimakatastrophe da ist: In "Hell" schleppen sich wenige Überlebende durch eine sengende Hölle, immer auf der Flucht vor Menschenjägern.

Mit dem findig eingesetzten Mittel der ständigen Überbelichtung erschafft Regisseur Fehlbaum auf der Leinwand eine Sonnenkatastrophe, die uns das Fürchten lehrt. Bild: paramount

Es ist eine unserer schlimmsten Horrorvisionen, wer könnte sie besser ausmalen als das Kino! In Tim Fehlbaums Film "Hell" ist die Klimakatastrophe im Turbomodus auf der Erde angelangt: Durch Gasexplosionen auf der Sonne. Das Wasser auf der Erde verdunstet, Europa ist ausgedörrt, die einst grünen Landschaften sehen aus wie nach einem Flächenbrand. Kuh- und andere Gerippe liegen auf Weiden, die aussehen wie die Serengeti.

Mit Kleidern, Kapuzen und Sonnenbrillen vermummen sich die Überlebenden schwitzend vor den sengenden Strahlen. Es ist eine fast ausgestorbene Hölle. Über eine leere Autobahn fahren drei Menschen in einem Auto: Phillip (Lars Eidinger), Marie (Hannah Herzsprung) und deren jüngere Schwester Sarah. In der Endzeit muss man zusammenhalten: Ein Wasserdieb, gespielt von Stipe Erceg, wird sich ihnen anschließen. Gemeinsam will man in die Berge, wo es wieder regnen soll. Doch dann geraten die vier in eine Falle. Die Jüngste wird entführt.

Roland Emmerich, "unser Spielbergle in Hollywood" (Georg Seeßlen) war bei diesem Regiedebüt ausführender Produzent, was für einen gewissen Spannungsgehalt der Geschichte spricht. Und tatsächlich, schon nach den ersten Minuten von "Hell" ist klar, dass der Schweizer Nachwuchsregisseur Tim Fehlbaum ein echtes Talent ist. Mit dem findig eingesetzten Mittel der ständigen Überbelichtung erschafft er auf der Leinwand eine Sonnenkatastrophe, die uns das Fürchten lehrt.

Dabei lässt sich hier zunächst nur erahnen, wie schnell die Zivilisation zusammenbricht, auf welch entsetzliche Weise der Darwinismus regiert. Etwa, wenn man sich ausmalt, weshalb eine Bande auf Menschenjagd geht. Fehlbaum stellt die Frage, wie man im Albtraum einen Rest Humanismus bewahrt. Etwa, indem man angesichts der Entführung nicht einfach die eigene Haut retten will, sondern wie Stipe Ercegs Charakter versucht, die verschleppte Kameradin mit einem Molotowcocktail zu retten.

Du musst dich entscheiden

Eine Art Prolog eröffnet diesen moralischen Diskurs: Ein Auto überschlägt sich, als es wegen einer Straßensperre den Hang hinunter rast. Die Frau wird herausgeschleudert. Verzweifelt versucht sie, bei ihrem eingeklemmten Mann zu bleiben. Doch schon hört man die sich nähernden Stimmen der Menschenfänger. Die Ehefrau verharrt den entscheidenden Moment zu lange.

Beharrlich verhandelt Tim Fehlbaum diese in einem Katastrophenfilm stets ins Moralische umschlagende Frage des Flüchtens oder Bleibens: Kommt man dem anderen zur Hilfe oder rettet man sich selbst, um nicht zusammen zu sterben? Oder gibt es Situationen, in denen man gemeinsam untergeht, weil man in der Welt, in der man überleben würde, nicht leben will? Auch Marie muss sich entscheiden: Will sie ihre kleine Schwester retten, muss sie den verletzten Phillip zurücklassen.

Diese erzählerische Klugheit wird auch in Fehlbaums Casting gespiegelt: Hannah Herzsprung kann ihren manchmal etwas enervierenden Sturm und Drang in einer physischen Rolle austoben. Lars Eidinger spielt eine perfekte Gratwanderung zwischen pragmatischem Selbstschutz und Feigheit. Stipe Erceg ist der schöne Draufgänger, der er ist. Und es gibt einen großartigen Auftritt von Angela Winkler: Als Marie erschöpft in einer Kirche zusammenbricht, wird sie von einer geradezu mythischen Muttergestalt aufgeweckt. Winkler spielt diese Figur mit einer leicht entrückten Gutherzigkeit - die sich bald als überlebenskämpferische Perfidie entpuppt. Aber immerhin, einen Moment lang gibt man sich der Illusion hin, dass es vielleicht doch noch einen Rest Zivilisation, Solidarität, Fürsorge, Nächstenliebe geben mag.

Tim Fehlbaums Film zeigt, auf welch brutale Art die Zivilisation entgleisen kann, in Schmutz, Dreck, Mord und Kannibalismus mündet. Aber den extremsten Auswuchs dieser Brutalität muss der Film selbst gar nicht zeigen, denn er findet in unserer Vorstellung statt. "Hell" zeigt, dass man auch mit kleinem Budget vielschichtiges Genrekino drehen und große Fragen verhandeln kann. Angesichts dieses Regiedebüts kann man Tim Fehlbaums kommenden Filmen nur entgegenfiebern. Oder entgegen schwitzen.

"Hell - Die Sonne wird euch verbrennen". Regie: Tim Fehlbaum. Mit Hannah Herzsprung, Lars Eidinger u. a. Deutschland 2011, 89 Min.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

2 Kommentare

 / 
  • P
    Paul

    Wär das toll, wenn es jetzt hier einen Link zum Trailer geben würde. Macht bei einer Filmvorstellung durchaus Sinn, oder?

  • H
    hto

    Ein Film der mit dem derzeitigen Klimawandel nichts zu tun hat, denn dieser wird schneller als propagiert in einer Eiszeit für die nördliche Halbkugel münden, wenn die Sonnenaktivitäten nicht doch noch schneller abebben. Viel mehr ist das auch wieder ein Film der nur am blödsinnig konsum- und profitautistisch gepflegten Zeitgeist ausgerichtet ist. Außerdem ist er ein Remake mit stumpfsinnigen Erweiterungen, des Science-Fiction von 1961: Der Tag an dem die Erde Feuer fing.