: Vorwürfe gegen Parlamentarier
Stefan Gelbhaar verzichtet überraschend auf seine Kandidatur für die Liste der Berliner Grünen
Aus Berlin Stefan Alberti
Der grüne Bundestagsabgeordnete Stefan Gelbhaar hat seine erneute Kandidatur für die Berliner Landesliste für die vorgezogene Bundestagswahl überraschend zurückgezogen. Kurz vor Beginn des Landesparteitags am Samstag erklärte er in einer E-Mail an Journalisten, er werde nicht für Listenplatz 2 kandidieren, „denn in den letzten Tagen sind Vorwürfe gegen mich erhoben worden“.
Konkreter beschreibt Gelbhaar, derzeit verkehrspolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag, die Vorwürfe gegen ihn nicht. Das müsse parteiintern geklärt werden. „Ich werde aktiv daran mitarbeiten, hier für Klärung zu sorgen.“ Er verweist dazu auf „geordnete Strukturen bei der Ombudsstelle in der Bundesgeschäftsstelle“. Diese Stelle sei eine „Ombudsstelle gegen sexualisierte Gewalt“, erklärt der Fraktionschef im Berliner Abgeordnetenhaus, Werner Graf, der taz.
Ursprünglich war erwartet worden, dass es hinter der Spitzenkandidatin Lisa Paus eine Kampfabstimmung um Listenplatz 2 zwischen Gelbhaar und dem Neuköllner Andreas Audretsch, der auch Bundeswahlkampfleiter ist, geben würde. Gelbhaar hatte 2021 in Berlin-Pankow als bundesweit einziger Grüner einen Ost-Wahlkreis gewonnen. Bei der Teilwiederholungswahl im Februar dieses Jahres hatte er gegen den Trend sein Ergebnis noch verbessert. „Mich treibt es um, eine Berliner, eine Ostberliner Perspektive einzubringen“, sagte der 48-jährige Rechtsanwalt der taz noch wenige Tage vor dem Parteitreffen.
Hintergründe zu seinem Rückzug von der Kandidatur nannte Gelbhaar in seiner E-Mail nicht. Zur Begründung gab er an, dass Vertraulichkeit zentral für das weitere Vorgehen sei. „Daher bitte ich von weiteren Anfragen abzusehen, aus Respekt vor dem Verfahren wie vor mir als Person und meiner Familie“, schreibt er.
Dass es Vorwürfe gegen Gelbhaar gibt, kursiert laut Fraktionschef Graf, dem linken Parteiflügel zuzuordnen, seit Wochenbeginn. Gelbhaars Bewerbungsschreiben für Platz 2 auf der Grünen-Plattform „Antragsgrün“ datiert von Montagmittag um 13.29 Uhr. Üblicherweise gut informierte Vertreter des Realo-Flügels wollen am Freitag erstmals von Vorwürfen gehört haben. Als Direktkandidat im Wahlkreis hatten die Pankower Grünen Gelbhaar am 12. November gewählt.
Ob Gelbhaar seine Bewerbung als Direktkandidat aufrechterhält, ist offen. Abgabeschluss für Kandidatenlisten und Wahlkreisvorschläge bei der Landeswahlleitung ist erst am 20. Januar. Auch zu hören ist, dass Gelbhaar am Freitag geäußert haben soll, er wisse weder von wem die Vorwürfe stammen noch den konkreten Inhalt.
Der RBB zitierte am Samstag die Grüne-Jugend-Chefin Leonie Wingerath mit der Forderung, Gelbhaar solle auch seine Direktkandidatur zurückziehen. Es sei wichtig, den Betroffenen Glauben zu schenken und sich darum professionell zu kümmern, gibt sie der Sender wieder. Der Landesparlamentarier Andreas Otto, wie Gelbhaar aus Pankow und mit ihm von 2011 bis 2017 zusammen im Abgeordnetenhaus, sieht die Lage anders. „Für mich gilt erst mal die Unschuldsvermutung“, sagte er der taz.
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