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Der Quadratmeter reicht tief

Das Wohnen ist privat und politisch zugleich. Das nimmt die Ausstellung „Our House“ in der Villa Giersch in Frankfurt am Main in den künstlerischen Blick, vom Spuk im Herrenzimmer bis zum „Poverty Porn“

Von Katharina J. Cichosch

Im Herrenzimmer huschen die Schatten namenloser Salongäste von links nach rechts, im Klavierzimmer spielen Tasten wie von unsichtbarer Hand, auf der Treppe nach oben streift eine unheimliche Verewigung der Künstlerin selbst den Weg. Zilla Leutenegger bespielt die Villa am Frankfurter Mainufer, die heute das Museum Giersch ist, mit freundlichem Spuk. „Our House“ heißt die Schau, sie versammelt verschiedene künstlerische Perspektiven auf das Wohnen, vom frühen 20. Jahrhundert bis heute.

Zu Leuteneggers Klavierklängen kann der Blick aus dem Erdgeschoss der Villa, die 1910 für eine Unternehmerfamilie im Stil des Neoklassizismus errichtet wurde, hinaus in den Vorgarten auf eine Skulptur fallen: Der Bronzeakt der 19-jährigen Margrit Schlömer, so steht es auf dem Fensterglas, wurde von Bildhauer Fritz Klimsch angefertigt und war einst für Adolf Hitlers „Führermuseum“ in Linz vorgesehen. Ein nachträglicher Abguss jener Skulptur kam 2009 in die Sammlung des Museums Giersch, ein Jahr später folgte eine kritische Retrospektive zu Fritz Klimsch. Was hier in kuratorischer Klarheit zu lesen ist, gilt generell für „schwierige“ Kunst: Auch von ihrer kritischen Aufarbeitung kann eine Museumssammlung profitieren.

Einen zweiten Klimsch gibt es dann noch mit dem Blick aus der „WG-Küche“ in den Garten. In dieser erstmalig für BesucherInnen geöffneten Teamküche könnte man auch Platz nehmen und eine Limo trinken. Ohnehin hat die gesamte Schau eine diebische Freude am Als-ob, als ob man hier wohnen könnte, zumindest übergangsweise. Die Großzügigkeit der ehemaligen Privat- und dann Handelsvilla wird fortgeführt. Oft lohnt der Blick auf die Nebenschauplätze, Fenster, Ecken.

Von der Freude am Einrichten schlechthin zeugen eine bühnenartige Wohnrauminstallation von Matthias Weischer und kleinformatige Aquarelle von Elizabeth Ravn, die während der Coronapandemie Pflanzen, Pinsel und den Blick aus dem eigenen Fenster festgehalten hat. Wiedersehen mit einer großartigen Fotoserie: Seit Jahrzehnten porträtiert Inge Werth Menschen im Bett, vom lesbischen Paar über das alternative Wohnprojekt bis zum exzentrischen Jugendzimmer. Jetzt hat sie nachgelegt – mit Bekannten aus der Seniorenresidenz, in der die inzwischen 93-jährige Frankfurter Fotografin heute selbst lebt.

Wofür in aktuellen Wohndiskursen sonst ein wenig die Vorstellungen fehlen, das ist, was Simpsons-Charakter Bart einmal die „unterste untere Mittelschicht“ genannt hatte: zu „reich“ für die Sozialwohnung, zu arm für den ganz normalen Wohnungsmarktwahnsinn. Aber vielleicht findet sie sich ja in Susanne Kutters Videoarbeit wieder: Zentimeter für Zentimeter werden da in beklemmender Konsequenz Couchgarnitur, Blumen, Schränke zusammengeschoben, bis nurmehr ein Presswohnzimmer übrig bleibt. Man fühlt sich an „Byt (The Flat)“ von 1968 erinnert, den surrealistischen Kurzfilm des Tschechen Jan Švankmajer, in dem die prekären Besitz- und Wohnverhältnisse schließlich im physischen Zusammenbruch jener Wohnstruktur münden.

Von schlagartiger Schwere sind die schwarz-weißen Fotografien von Robert Haas. Auf ihnen sind zunächst nur Wohnzimmer, Treppen oder Esstische zu sehen. Es sind die Wohnungen jüdischer Familien, die den Wiener Fotografen noch 1938 gebeten hatten, ihr Zuhause im Bild festzuhalten. Nichts deutet darauf hin, dass ihre Bewohner wussten, was ihnen bevorsteht – oder ist die erschütternde Aufgeräumtheit auf Haas’Bildern gerade doch ein Hinweis darauf, dass man in dunkler Vorahnung alles ordentlich hinterlassen wollte? 70.000 Wohnungen wurden über Nacht „frei“, erfährt man hier, weil ihre BewohnerInnen vertrieben, oftmals ermordet wurden. Dass übrigens die Wandtextvariante in einfacher Sprache die Shoa mit „Krieg“ übersetzt, irritiert.

Ohnehin hat die gesamte Schau eine diebische Freude am Als-ob, als ob man hier wohnen könnte

Von hier aus kann es keinen eleganten Übergang geben. In dieser Ausstellung treffen die heiteren und existenziellen Aspekte des Wohnens unmittelbar aufeinander. Wie auch die Familienfotografien via Zoom aus dem Corona-Lockdown und eine Fotoinstallation über die dreieinhalb Quadratmeter Wohnraum, die Geflüchteten 2015 durchschnittlich zur Verfügung standen.

Im größten Raum hat Jana Sophia Nolle enorm präzise das Wohnzimmer eines kulturaffinen Durchschnittspublikums nachgezeichnet – von der USM-Haller-Kommode bis zur nach Farben sortierten Bücherwand. Mittendrin installierte sie das Hab und Gut eines obdachlosen Menschen. Der plakative Kontrast zwischen guter Situiertheit und Wohnungslosigkeit hält uns ganz nebenbei einen Blick auf soziales Leid vor, der Armut nur ästhetisiert – „Poverty Porn“ würde man im Englischen sagen. Doch Nolle lässt auch eine gewisse Widerständigkeit der von Armut Betroffenen erkennen, den Willen zur Gestaltung der Lebensumgebung. Thronend darin ist ein Regenschirm mit dem Aufdruck Xizi Real Estate. So heißt die Immobiliensparte eines der größten Unternehmen Chinas, die handelt freilich auch mit Wohnimmobilien.

„Our House“. Villa Giersch der Goethe Universität Frankfurt a. M., bis 16. Februar 2025

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