Sächsischer Landtag: Eine Mehrheit für Kretschmers Minderheit
Der sächsische Landtag hat Michael Kretschmer als Ministerpräsidenten wiedergewählt. Die AfD scheiterte offenbar mit ihren Tricksereien.
Was nun auf Sachsen zukommt, damit hat der Freistaat keine Erfahrung: Erstmals regiert ein Ministerpräsident ohne Mehrheit.
Seit der Wahl im September sind sieben Parteien im sächsischen Landtag vertreten. Die CDU stellt mit 41 der insgesamt 120 Abgeordneten die größte Fraktion, die zweitmeisten Stimmen hat die AfD mit 40. Auf dem dritten Platz folgt die BSW-Fraktion mit 15 Stimmen, dann die SPD 10, die Grünen 7, die Linke 6, und Matthias Berger vertritt die Freien Wähler allein. Trotz der Auswahl, fand sich keine Mehrheit, die gemeinsam regieren wollte.
Letztlich erarbeiteten CDU und SPD einen gemeinsamen Koalitionsvetrag, obwohl ihren Fraktionen 10 Stimmen bis zur Mehrheit fehlten. Gespräche mit den anderen Fraktionen ergaben keine Zusagen für eine stabile Tolerierung.
Grüne schreiben „Nein“ auf Stimmzettel
Mit dieser Ausgangslage ging Michael Kretschmer am Mittwoch in den ersten Wahlgang. Neben ihm traten noch zwei weitere Kandidaten an: AfD-Chef Jörg Urban und Matthias Berger. Beide bekamen weniger Stimmen als der geschäftsführende Ministerpräsident. Von den 120 Abgeordneten des Landtags stimmten 55 für ihn. Für Urban stimmten 40 Abgeordnete – vermutlich alle aus seiner Fraktion. Berger bekam 6 Stimmen.
12 Abgeordnete enthielten sich. Die 7 Abgeordneten der Grünen schrieben nach eigenen Angaben „Nein“ auf ihre Stimmzettel, um ihre Ablehnung aller drei Kandidaten zu verdeutlichen. Das machte ihre Stimme ungültig. Als Landtagspräsident Alexander Dierks den zweiten Wahlgang ankündigte, applaudierte nur die AfD.
Im zweiten Anlauf überraschten dann gleich zwei Ergebnisse. Zum einen gewann Michael Kretschmer mit absoluter Mehrheit: Von 120 Mitgliedern stimmten 69 für ihn. Zum anderen konnte der Freie Wähler Berger seinen Stimmanteil deutlich ausbauen: Er erhielt nun 39 Stimmen, während AfD-Chef Urban nur noch eine einzige bekam. Offenbar waren die AfD-Abgeordneten auf einen Kemmerich-Moment aus. In Thüringen war es 2020 ihren Partei-Kolleg:innen gelungen, den überrumpelten FDP-Chef Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten zu wählen, was eine Regierungskrise zur Folge hatte. Sachsen blieb das erspart.
Während sich die Grünen nach eigenen Angaben enthielten, stimmten das BSW und die Linke mehrheitlich für Kretschmer. Beide hoffen darauf, Einfluss auf die künftige CDU-SPD-Regierung nehmen zu können.
So weit ist es gekommen: Linke wählen Kretschmer
Sabine Zimmermann sagte nach der Wahl am Rande des Plenarsaals, ihre BSW-Fraktion sei übereingekommen, dass eine Regierung für Sachsen besser sei als keine Regierung, darum hätten sie für Kretschmer gestimmt. Sie bedauere aber nicht, dass das BSW kein Koalitionsmitglied sei, dafür habe das Vertrauen gefehlt.
Dass die Linke in Sachsen einen CDU-Ministerpräsidenten mitwählt, gab es auch noch nicht. Die Umstände hätten ihre Fraktion dazu gebracht, erklärte Linkenvorsitzende Susanne Schaper. Die Linke hoffe auf eine „neue politische Kultur“, sagte sie wenige Stunden nach der Wahl in ihrem Landtagsbüro. Ihre Partei sei jedoch nicht verantwortlich für das Regierungshandeln der Koalition. „Wir wollen in den Konsultationsmechanismus mit eingebunden werden.“ In der oppositionellen Rolle bleibe die Linke weiterhin, etwa beim Thema Migration. Eine klare Bedingung nennt Schaper noch: „Wenn die AfD hier an Einfluss gewinnt, dann sind wir raus.“
Mit einschwörenden Worten schloss Michael Kretschmer seine Antrittsrede. Der „anstrengende Wahlkampf“ sei vorbei, „jetzt geht es darum, diesem Land eine gute Zukunft zu geben, arbeiten Sie alle mit.“ Bald muss er sich wieder auf die Suche nach Mehrheiten machen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren
Grünes Wahlprogramm 2025
Wirtschaft vor Klima
Tod des Fahrradaktivisten Natenom
Öffentliche Verhandlung vor Gericht entfällt
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Parteiprogramme für die Bundestagswahl
Die Groko ist noch nicht gesetzt
Foltergefängnisse in Syrien
Den Kerker im Kopf